Das gibt es nicht oft! Der Fall Suhrkamp spricht Literaturliebhaber und Juristen gleichermaßen an. Das Interesse ist allerdings nicht gleichgerichtet. Denn während die einen sich um die Zukunft einer Institution des deutschen Literaturbetriebs sorgen, geht es für die anderen um nichts weniger als die Einheit der Rechtsordnung. Es geht um den offen zu Tage getretenen Konflikt zweier Rechtsgebiete. Es heißt: Ring frei – Insolvenzrecht vs. Gesellschaftsrecht:
Das Suhrkamp-Manöver: Vereinfacht lässt sich der hier relevante Teil des Falls Suhrkamp wie folgt zusammenfassen: Die Minderheitsgesellschafterin der Verlags KG verfügt über gesellschaftsrechtliche Sonderrechte, die der Mehrheitsgesellschafterin ein Dorn im Auge sind. Da hat die Mehrheitsgesellschafterin eine Idee. Sie veranlasst die Geschäftsführung der Verlags KG zur Stellung eines Insolvenzantrags und nutzt dabei die nach dem ESUG gegebenen Möglichkeiten der Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens, um die unliebsame Minderheitsgesellschafterin über ein Insolvenzplanverfahren durch die Umwandlung der Verlags KG in eine AG ihrer Sonderrechte – nach Auffassung der Minderheitsgesellschafterin – zu berauben.
Rechtsschutz? Fehlanzeige! Die Minderheitsgesellschafterin setzte sich hiergegen mit allerlei Mitteln zu Wehr. Doch es half nichts. Auf ihren Antrag hatte zwar zunächst das LG Frankfurt a.M. (Urteil vom 10.09.2013, Az. 3-09 O 96/13) die Mehrheitsgesellschafterin mit Hinweis auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht durch einstweilige Verfügung verpflichtet, gegen den von ihr selbst initiierten Insolvenzplan zu stimmen. Dann aber konstatierte das OLG Frankfurt a.M. (Urteil vom 01.10.2013, Az. 5 U 145/13) ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis der Minderheitsgesellschafterin sowie eine unzulässige Beeinträchtigung des Insolvenzplanverfahrens und versagte damit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Insolvenzplanverfahren schlechterdings die Daseinsberechtigung.
Und was sagt die – juristische – Literatur dazu? Ob dieses grundsätzlichen Disputs ließen die ersten Kommentare in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht lange auf sich warten. Die insolvenzrechtsfreundliche Auffassung des OLG wird dabei bislang wohl überwiegend begrüßt (vgl. etwa Thole, ZIP 2013, S. 1937 ff.), aber auch das Gesellschaftsrecht hat seine Fürsprecher (vgl. etwa C. Schäfer, ZIP 2013, S. 2237 ff.). Vielfältige Argumente werden ins Feld geführt. Leitmotiv seiner argumentativen Bemühungen ist dem insolvenzrechtlichen Lager die Effizienz des Insolvenzplanverfahrens. Das gesellschaftsrechtliche Lager sieht hierin keine Rechtfertigung, die Anwendbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu negieren und ihre Absicherung durch effektiven Rechtsschutz zu versagen.
Keine Treuepflicht – Kann das sein? Nun ist ein Blogbeitrag weder geeignet, die konkreten Umstände des Falls Suhrkamp juristisch zu beleuchten, noch die grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren zu beantworten. Dennoch stellen sich aus gesellschaftsrechtlicher Sicht Fragen, die zweifeln lassen, ob der Etappensieg des insolvenzrechtlichen Lagers nachhaltig sein wird: Kann es richtig sein, dass das Insolvenzrecht auch zwingendes Gesellschaftsrecht außer Kraft setzt? Warum sollte ein fakultativer Eigenantrag nach zutreffender Auffassung eine – wenn auch von der Geschäftsführung umzusetzende – Entscheidung der Gesellschafter sein, eine Entscheidung also, die von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht beeinflusst wird, die Treuepflicht dann aber mit Insolvenzantragsstellung ihre Existenzberechtigung verlieren? Was, wenn nicht die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, kann Maßstab für einen rechtsmissbräuchlichen Einsatz des Insolvenzplanverfahrens in der hier interessierenden Konstellation sein?
Und wie sieht es mit dem Rechtsschutz aus? Mag man auch nicht glauben, dass die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzplanverfahren den Heldentod stirbt, bleibt immer noch die Frage des effektiven Rechtsschutzes. Wünschenswert ist sicher, den verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutz in das Insolvenzverfahrens zu integrieren. Der Minderheitsgesellschafter, der einen Verstoß des Mehrheitsgesellschafters gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht rügen will, wird hier allerdings bislang allein gelassen. Der Mut des LG Frankfurt a.M. zu handeln, verdient daher Respekt, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass von effektivem Rechtsschutz zurzeit noch keine Rede sein kann.
Gesetzgeber, bitte melde Dich. Eines dürfte letztlich feststehen: Rechtssicherheit in der Praxis in materiell- wie prozessrechtlicher Hinsicht kann kurzfristig nur der Gesetzgeber schaffen. Er, der den Konflikt heraufbeschworen hat, sollte Verantwortung übernehmen und das Verhältnis von Gesellschafts- und Insolvenzrecht im Insolvenzplanverfahren klarstellend regeln. Ansonsten wird es sicherlich zukünftig noch des Öfteren heißen: Insolvenzrecht vs. Gesellschaftsrecht – Ring frei zur nächsten Runde!