2. November 2023
Polykrise
Restrukturierung und Insolvenz

Unternehmen in der Polykrise

Die Polykrise greift um sich: Neue Herausforderungen und Chancen erfordern Anpassungen der Unternehmensstrategie. Sanierungsrechtliche Möglichkeiten bestehen.

Die moderne Wirtschaftswelt sieht sich mit einem neuen Phänomen konfrontiert: Der Polykrise – ein Begriff, der das gleichzeitige Auftreten von ökonomischen, sozialen und geopolitischen Krisen beschreiben soll. Was die Polykrise von regulären Krisenphasen unterscheidet, ist die Komplexität, die sich durch die Verflechtung paralleler Problematiken ergibt. Die Polykrise stellt viele Unternehmen vor schwierige, teilweise existenzielle Herausforderungen, birgt aber auch Chancen für diejenigen, die bereit sind, sich anzupassen und innovativ zu sein. 

Von 2008 bis 2023: Eine Chronologie der Polykrise

Die Finanzkrise von 2008 wird als Ausgangspunkt für die heutige Polykrise gesehen. Sie erschütterte das Vertrauen in das globale Finanzsystem und führte zu schweren wirtschaftlichen Turbulenzen. Unternehmen weltweit mussten sich anpassen und ihre Finanzstrategien überdenken. Die Lehren aus dieser Krise (beispielsweise die verschärfte Bankenregulierung nach Basel III) sind bis heute relevant und betonen die Bedeutung einer soliden finanziellen Planung.

Auf die Finanzkrise folgte ab 2010 die Eurokrise, die zwar nicht allein, jedoch zumindest teilweise durch die Folgen der vorausgegangenen Finanzkrise ausgelöst wurde. Auch sie führte zu erheblicher Unsicherheit auf den Finanzmärkten und in der europäischen Wirtschaft. Das Vertrauen in die Stabilität der Europäischen Währungsunion wurde nachhaltig geschädigt. Unternehmen, die in der Eurozone tätig waren, sahen sich mit Währungsrisiken und politischer Instabilität konfrontiert. Die Eurokrise verdeutlichte die Bedeutung einer diversifizierten Geschäftsstrategie. 

Auf die Eurokrise folgten in Europa ab 2014 der Krieg im Donbas und die Migrationskrise der Jahre 2015/2016 als Folge des syrischen Bürgerkrieges.

Ab 2018 entstand zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Erde, China und den USA, ein Handelskonflikt.

Die Covid-19-Pandemie brachte nicht nur eine Gesundheitskrise, sondern auch eine tiefe wirtschaftliche Krise mit sich. Weltweit sahen sich Unternehmen mit sinkenden Umsätzen und wirtschaftlicher Unsicherheit konfrontiert. Die „Zero-Covid Strategie“ in China und vielen anderen ostasiatischen Staaten, sowie die anfänglichen Lockdowns auf der ganzen Welt verursachten massive Lieferkettenprobleme deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. 

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat erneute wirtschaftliche Verwerfungen durch die umfangreichen Sanktionspakete und die massiv gestiegenen Energiekosten zur Folge. Auch andere geopolitische Spannungen, wie der schwelende Konflikt um Taiwan, haben Auswirkungen auf viele Unternehmen, insbesondere mit Hinblick auf die Versorgung mit Halbleitern. Zölle, Sanktionen und politische Unsicherheit führen zu erheblichen Herausforderungen. Unternehmen müssen die geopolitischen Risiken sorgfältig abwägen und alternative Märkte in Betracht ziehen.

Umfassende Covid-Hilfsprogramme, eine langjährige Niedrigzinspolitik in Europa und den USA sowie die gestiegenen Energiepreise seit der russischen Invasion führten in fast allen Industrienationen zu einer Inflation und somit steigenden Lebenshaltungskosten.

Aber über all dem schwebt die Klimakrise, die die Lebensbedingungen vieler Menschen in den nächsten Jahrzehnten bedroht und deren Bekämpfung eine globale Anstrengung und Lösungen bedarf. 
Umweltkatastrophen, wie länger anhaltende Dürren und schwere Fluten betreffen Unternehmen in allen Branchen. Zudem werden besonders in den westlichen Industrienationen langsam, aber zunehmend (unzweifelhaft notwendige) Regulierungen und Mechanismen zur Bekämpfung der Klimakrise erlassen.

Herausforderungen für Unternehmen in der Polykrise

1. Komplexität und Unsicherheit

Die Polykrise ist gekennzeichnet durch ihre hohe Komplexität und Unsicherheit. Unternehmen müssen in der Lage sein, sich schnell an sich ändernde Bedingungen anzupassen und gleichzeitig mehrere Krisen gleichzeitig zu bewältigen. Eine präzise Risikobewertung und ein effektives Risikomanagement sind unerlässlich. 

2. Ressourcenknappheit

In Zeiten der Polykrise können Unternehmen mit Ressourcenknappheit konfrontiert sein. Gerade die Rohstoffkrise in Folge des Krieges in der Ukraine hat dies verdeutlicht. Finanzielle Engpässe und der Druck zur Kostensenkung können die Fähigkeit zur Innovation und Investition in zukünftiges Wachstum beeinträchtigen. Unternehmen müssen ihre Ressourcen effizient einsetzen und nachhaltige Geschäftspraktiken entwickeln.

3. Reputationsrisiken

Die Polykrise hat das Bewusstsein für Umwelt- und Sozialthemen geschärft. Unternehmen, die ethisch fragwürdige Praktiken an den Tag legen, können ernsthafte Reputationsrisiken eingehen. Eine verantwortungsvolle Geschäftsführung und soziale Verantwortung im Rahmen von ESG sind unerlässlich, um das Vertrauen von Kunden und Investoren zu wahren. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, nachhaltige Praktiken zu entwickeln und in umweltfreundliche Technologien zu investieren, um ihre langfristige Überlebensfähigkeit zu gewährleisten.

Chancen für Unternehmen in der Polykrise

1. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung

Die steigende Nachfrage im Hinblick auf nachhaltige Produkte und Dienstleistungen bietet Unternehmen die Möglichkeit, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und sich als Vorreiter im Bereich Umwelt- und Sozialverantwortung zu positionieren. Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen, können langfristige Wettbewerbsvorteile erzielen. Gerade der Klimaaspekt ist die wahrscheinlich langfristigste Komponente der Polykrise, insofern sind Investitionen erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien nicht nur aus Reputationsgründen sinnvoll, sondern wesentlich, um Unternehmen zu erhalten und zu stärken. 

2. Digitalisierung und Technologie

Die beschleunigte Digitalisierung in der Polykrise durch Technologien wie Künstliche Intelligenz eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, ihre Prozesse zu optimieren und sich an veränderte Kundenbedürfnisse anzupassen. Investitionen in Technologie und Innovation können Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen.

3. Resilienz durch Diversifikation und globale Expansion

Die Polykrise betont die Bedeutung der Diversifikation und der globalen Expansion. Unternehmen müssen neue Märkte erschließen und von unterschiedlichen Wirtschaftszyklen profitieren, um ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken. Eine sorgfältige Marktanalyse und strategische Planung sind dabei unerlässlich. Gerade geopolitische Risiken sind sorgfältig abzuwägen, denn eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Märkten kann im Krisenfall zu Problemen führen.

Die Polykrise als Chance zur Transformation

Die Polykrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, aber sie birgt auch Chancen für Unternehmen, die bereit sind, sich anzupassen und innovativ zu sein. In einer Welt, die von Unsicherheit geprägt ist, sind Anpassungsfähigkeit und Risikomanagement von entscheidender Bedeutung. Unternehmen, die in nachhaltige Praktiken, Technologien und globale Diversifizierung investieren, können die Polykrise nicht nur überstehen, sondern als gestärkte Organisationen daraus hervorgehen. 

Zur Umsetzung dieser Transformation sind neben betriebswirtschaftlichen Entscheidungen auch rechtliche Weichenstellungen erforderlich, konsensuale Vereinbarungen zwischen allen Stakeholdern sind, wo immer rechtlich und wirtschaftlich möglich, anzustreben. Sofern sich einzelne Beteiligte sperren und einen Vorteil durch eine sog. „Hold-Out“-Position erreichen wollen, bietet der Gesetzgeber rechtliche Rahmenbedingungen (u.a. durch das StaRUG) zur Ermöglichung einer Entscheidung im Sinne der Mehrheit aller Beteiligten. Die Umsetzung der rechtlichen Möglichkeiten muss dabei individuell begutachtet werden, sodass eine maßgeschneiderte Lösung der unternehmensspezifischen Probleme aus der Polykrise gefunden werden kann.

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Philipp Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen

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