Seit 2021 ist der Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit sowie die Überschuldung gesetzlich konkretisiert und die Insolvenzantragsfrist in Überschuldungsfällen verlängert.
Im Jahr 2020 war die Insolvenzantragspflicht anlässlich der COVID-19-Pandemie unter den besonderen Bedingungen des sog. COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG) teilweise ausgesetzt. Zu Beginn des Jahres 2021 wurde mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) zum einen die Insolvenzantragsregelungen der InsO allgemein nachjustiert, zum anderen die Sondertatbestände des COVInsAG verlängert sowie teilweise erweitert.
Zahlungsunfähigkeit als allgemeiner Eröffnungsgrund für Insolvenzverfahren
Unverändert setzt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes voraus.
Als „allgemeiner‟ Eröffnungsgrund fungiert weiterhin die Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO, da diese für sämtliche Schuldner, also für natürliche Personen wie Gesellschaften gleichermaßen gilt. Die Zahlungsunfähigkeit wurde als einziger Insolvenztatbestand durch das SanInsFoG nicht geändert. Zahlungsunfähigkeit liegt gemäß § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, wobei eine Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.
Überschuldung als besonderer Eröffnungsgrund für Insolvenzverfahren
Demgegenüber stellt die Überschuldung gemäß § 19 InsO lediglich für juristische Personen (bspw. GmbH und AG) und gleichgestellte Personengesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (bspw. GmbH & Co. KG), einen weiteren „besonderen‟ Eröffnungsgrund dar.
Nach der bisherigen Fassung des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO lag eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Schuldnergesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckte, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens war nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Prüfung der Überschuldung erfolgte demnach zweistufig, wobei in der Praxis vor der rechnerischen Überschuldung zunächst das Vorliegen der sog. positiven Fortführungsprognose geprüft i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 InsO wurde.
Ein fester Zeitraum für die Bestimmung der Fortführungsprognose war bis zum Erlass des SanInsFoG nicht gesetzlich geregelt. Zwar wurde überwiegend ein Zeitraum als angemessen bewertet, der das aktuelle und das folgende Geschäftsjahr umfasst. Dieser konnte jedoch beispielsweise aufgrund branchenspezifischer Besonderheiten abweichen.
Weiterer Eröffnungsgrund für Insolvenzverfahren: Die drohende Zahlungsunfähigkeit
Der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO findet wie der Eröffnungsgrund der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auf sämtliche Schuldner, mithin auch auf natürliche Personen, Anwendung. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Hierfür ist eine Prognose in Form eines Finanzplans zu erstellen, in dem die prognostizierten Einzahlungen den absehbaren Auszahlungen für einen gewissen Zeitraum gegenübergestellt werden.
Da auch für diese Prognose in der bisherigen InsO kein fester Zeitraum normiert war, bestanden hier in der Praxis gleichermaßen oft Unsicherheiten.
Während bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und/oder der Überschuldung einer juristischen Person oder gleichgestellten haftungsbeschränkten Personengesellschaft die jeweiligen Geschäftsleiter gemäß § 15a InsO zivil- wie strafrechtlich haftungsbewehrt verpflichtet sind, ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzantrag zu stellen, ist die drohende Zahlungsunfähigkeit nur ein Eröffnungsgrund, sofern der jeweilige Schuldner die Verfahrenseröffnung „freiwillig‟ beantragt. Ein Gläubigerantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit scheidet folglich aus.
Die drohende Zahlungsunfähigkeit stellt nicht nur einen Eröffnungsgrund bezüglich eines Insolvenzverfahrens dar, sondern ist auch Zugangsvoraussetzung für eine Restrukturierung nach dem ebenfalls im Zuge des SanInsFoG in Kraft getretenen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), welches erstmalig ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren für drohend zahlungsunfähige Unternehmen gesetzlich etabliert.
Die im Vorfeld des SanInsFoG nicht selten zu beobachtenden Unsicherheiten bei der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung erschwerten nicht nur insbesondere die Abgrenzung dieser Eröffnungsgründe, sondern generell Sanierungen. Nunmehr hat der Gesetzgeber die Prognosezeiträume präzisiert und gleichzeitig die Insolvenzantragsfrist im Fall der Überschuldung verlängert.
Prognosezeitraum für die Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit
Seit diesem Jahr ist nun im neu eingefügten § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO erstmalig geregelt, dass zur Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist, wobei die Besonderheiten des Schuldners oder seines Geschäftsbetriebs zu einer Verkürzung oder Verlängerung des Prognosezeitraums führen können.
Prognosezeitraum für die Prüfung der Überschuldung
Bezüglich der Überschuldung wurde hingegen in § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 InsO ein Prognosezeitraum von zwölf Monaten verankert. Deswegen ist nun im Rahmen der zweistufigen Feststellung der Überschuldung bezüglich der positiven Fortführungsprognose zu prüfen, ob überwiegend wahrscheinlich ist, dass das Schuldnerunternehmen in den kommenden zwölf Monaten in der Lage sein wird, seine Verbindlichkeiten fortlaufend zu erfüllen.
Erleichterung der Überschuldungsprüfung nach § 4 COVInsAG
Gemäß § 4 Satz 1 COVInsAG ist der Prognosezeitraum für die Feststellung der Überschuldung in diesem Jahr auf vier Monate beschränkt, sofern die Überschuldung des Unternehmens auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Dies wird nach Satz 2 vermutet, wenn
- der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war,
- er in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
- der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.
Die Verkürzung des Prognosezeitraums soll verhindern, dass Insolvenzanträge allein aufgrund von Prognoseunsicherheiten in Pandemiezeiten gestellt werden müssen. Sofern die Vermutungsregel in Satz 2 nicht greift, sollte der Prüfung der Überschuldung allerdings in Zweifelsfällen der reguläre Prognosezeitraum von zwölf Monaten zugrunde gelegt werden, da weder § 4 COVInsAG noch die zugehörigen Gesetzgebungsdokumente der Praxis griffige Kriterien zur Beantwortung der Frage an die Hand geben, wann die Überschuldung des Unternehmens auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist.
Sechswöchige Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung
Zudem wurde die Insolvenzantragsfrist für den Fall der Überschuldung auf sechs Wochen verlängert. Waren insbesondere die Geschäftsführer einer GmbH und die Vorstandsmitglieder einer AG nach dem bisherigen § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO immer verpflichtet, spätestens drei Wochen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, muss nunmehr nach dem Insolvenzgrund differenziert werden.
Für die Zahlungsunfähigkeit bleibt die Antragsfrist von drei Wochen bestehen. Im Fall der Überschuldung des Unternehmens muss der Antragspflichtige gemäß des neuen § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO zukünftig spätestens sechs Wochen nach dem Eintritt der Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen.
Hierdurch sollen Sanierungen, beispielsweise über das neue StaRUG-Verfahren oder über ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, ordentlich und gewissenhaft vorbereitet werden können.
Unverändert handelt es sich bei diesen Antragsfristen um Höchstfristen, die nur ausgeschöpft werden dürfen, soweit eine konkrete und ernsthafte Aussicht besteht, die Insolvenzgründe noch innerhalb der Frist beseitigen zu können. Deswegen ist der Insolvenzantrag gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO immer „ohne schuldhaftes Zögern‟ zu stellen, also in manchen Fällen sofort.
Teilweise Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie für viele Unternehmen hatte der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht im Jahr 2020 durch § 1 COVInsAG zunächst allgemein vom 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 ausgesetzt und diese Aussetzung sodann für den Insolvenzgrund der Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 verlängert, wobei dies jeweils nicht gilt, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Diese Privilegierung wurde durch das SanInsFoG nicht generell verlängert, sodass seit dem 1. Januar 2021 die Insolvenzantragspflichten grundsätzlich wieder greifen.
Allerdings führte die aufwendige Umsetzung der angesichts des Lockdowns Ende 2020 aufgelegten staatlichen Hilfsprogramme letztlich doch auf den letzten Metern des SanInsFoG-Gesetzgebungsverfahrens zumindest zu einer teilweisen Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Schließlich verzögerte sich nicht nur die Bearbeitung der gestellten Anträge auf die sog. „November- und Dezemberhilfen‟, sondern war häufig bereits die betreffende Antragstellung aus rechtlichen und vor allem technischen Gründen nicht möglich.
Gemäß § 1 Abs. 3 COVInsAG in der Fassung des SanInsFoG wurde die Insolvenzantragspflicht zunächst bis zum 31. Januar 2021 für solche Unternehmen ausgesetzt, deren Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie beruht und die im November oder Dezember 2020 finanzielle Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie entweder beantragt haben oder die trotz grundsätzlicher Antragsberechtigung in diesem Zeitraum einen solchen Antrag aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht stellen konnten (https://www.cmshs-bloggt.de/rechtsthemen/coronavirus-schutzschirm-fuer-die-deutsche-wirtschaft/weitere-teilweise-aussetzung-der-insolvenzantragspflicht/).
Nachdem sich auch zu Beginn dieses Jahres abzeichnete, dass die Bearbeitung der Hilfsanträge noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wurde die Aussetzung durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 vom 15. Februar 2021 rückwirkend zum 1. Februar 2021 bis zum 30. April 2021 verlängert, sofern der Antrag auf die entsprechende Hilfeleistung bis zum 28. Februar 2021 gestellt wurde (https://www.cmshs-bloggt.de/rechtsthemen/coronavirus-schutzschirm-fuer-die-deutsche-wirtschaft/teilweise-aussetzung-der-insolvenzantragspflicht-bis-zum-30-april-2021/#).
Die Aussetzung scheidet freilich aus, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Bewilligung der beantragten Hilfen besteht oder die erlangbare Hilfe zur Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist.
Sanierungschancen steigen – Beratungsbedarf bleibt
Die Änderungen im System der Insolvenzantragsgründe sind zu begrüßen, da sie der Praxis in unterschiedlichem Maße Rechtssicherheit verleihen und Sanierungschancen bieten.
Durch den nun deutlich kürzeren Prognosezeitraum im Rahmen der Überschuldung wird in der Praxis eine trennschärfere Unterscheidung zwischen solchen Unternehmen möglich sein, die zwar bereits drohend zahlungsunfähig, jedoch noch nicht überschuldet sind. Diese Unterscheidung wird für Unternehmen, die sich in der Krise befinden, insbesondere auch vor dem Hintergrund des neu geschaffenen StaRUG-Verfahrens interessant sein.
Hingegen wird durch die Verlängerung der Antragsfrist im Fall der Überschuldung den antragspflichtigen Geschäftsleitern mehr Zeit gegeben, um die Durchführbarkeit möglicher Sanierungsvorhaben prüfen und vorbereiten zu können. In der Praxis sollten die Vertretungsorgane jedoch trotz der Verlängerung der Antragsfrist zeitlich bereits vor dem Eintritt der Insolvenzreife beginnen, Sanierungsmöglichkeiten und Restrukturierungsszenarien zu prüfen und einzuleiten, da Sanierungs- und Restrukturierungsbemühungen umso erfolgversprechender sind, je früher sie vorbereitet und eingeleitet werden.
Es ist jedoch zu beachten, dass abgesehen von dem klar bestimmten Prognosezeitraum bei der regulären und – soweit die Vermutungsregel des § 4 Satz 2 COVInsAG greift – der pandemiebedingten Überschuldungsprüfung sowie der Insolvenzantragsfrist in Überschuldungsfällen insbesondere die Bestimmungen des COVInsAG häufig Rückausnahmen zulassen oder auslegungsbedürftig sind.
Dies ist insbesondere für die Geschäftsleiter misslich, da eine verspätete oder nicht erfolgte Antragstellung strafrechtliche sowie zivilrechtliche Haftungsrisiken birgt und im Zusammenhang mit einer Insolvenzverschleppung stets eine Haftung für verbotene, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung geleistete Zahlungen droht, die im Zuge des SanInsFoG rechtsformneutral in § 15b InsO zusammengefasst und konkretisiert wurde. Während für gut beratene Geschäftsleiter die Änderungen somit Sanierungschancen bieten, besteht für weniger gut beratene Geschäftsleiter die Gefahr, angesichts der Prognose- und Auslegungsfragen den Überblick zu verlieren und „blind″ auf ein nur vermeintliches Nichtbestehen oder Aussetzen der Insolvenzantragspflicht zu vertrauen.