10. Februar 2016
Selbstreinigung Unternehmen
Kartellrecht Vergaberecht

Kartell- und Vergaberecht: Auch Kronzeugen müssen sich selbst reinigen

Kronzeugenstatus eines Unternehmens schützt zwar ggf. vor Kartellbußen, nicht jedoch vor erforderlicher Selbstreinigung und etwaigen personellen Änderungen.

Ein unzuverlässiger Bieter, der nicht die erforderliche Gesetzestreue an den Tag legt, ist grundsätzlich vom Vergabeverfahren auszuschließen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass sich der Bieter mit dem Fehlverhalten auseinandersetzt und Maßnahmen ergreift, die eine günstige Prognose für sein zukünftiges Verhalten erlauben. In einem Nachprüfungsverfahren gegen den Ausschluss eines Bieters hatten die 2. Vergabekammer des Bundes und das OLG Düsseldorf Gelegenheit, sich näher mit den Anforderungen an eine solche Selbstreinigung eines unzuverlässigen Unternehmens zu befassen.

Die Entscheidung der Vergabekammer zeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, präventiv tätig zu werden, „Compliance″ sicherzustellen und im Fall von Fehlverhalten angemessen zu reagieren.

Vormals Beteiligung an einem Submissionskartell – ohne personelle Konsequenzen

Die Geschäftsführer der Antragstellerin, (mittelbare) Gesellschafter und andere Gesellschaften der gleichen Unternehmensgruppe hatten sich an einem Submissionskartell zu Lasten der Antragsgegnerin sowie der Bestechung im geschäftlichen Verkehr beteiligt. Wegen dieser wettbewerbswidrigen Absprachen wurden vom Bundeskartellamt hohe Geldbußen verhängt, von denen die Antragstellerin als Kronzeugin verschont blieb.

In dem nun streitgegenständlichen Vergabeverfahren waren die Bewerber aufgefordert, zu den nachträglichen Maßnahmen einer Selbstreinigung nähere Informationen zu geben. Anhand einer detaillierten Checkliste sollten die Unternehmen Auskunft über die Sachverhaltsaufklärung sowie personelle und organisatorische Konsequenzen geben, soweit sie von den Vorwürfen betroffen waren. Die Maßnahmen sollten von dritter Seite auditiert werden.

In ihrem Teilnahmeantrag berief sich die Antragstellerin auf ihre erheblichen Beiträge zur Sachverhaltsaufklärung und das von ihr eingerichtete umfassende Compliance-Management-System. Personelle Konsequenzen hatte die Antragstellerin hingegen nicht gezogen.

Verspätete Selbstreinigung des Unternehmens durch Austausch der Geschäftsführung erst im Nachprüfungsverfahren

Die Antragsgegnerin schloss die Antragstellerin im Teilnahmewettbewerb wegen mangelnder Zuverlässigkeit und Gesetzestreue aus. Eine Selbstreinigung des Unternehmens fand nicht unmittelbar statt. Erst im Nachprüfungsverfahren tauschte die Antragstellerin die gesamte Geschäftsführung aus.

Nach Ansicht der Vergabekammer (VK Bund, Beschluss vom 12.06.2015 – VK 2-31/15) begründe jedoch bereits das Festhalten an den Geschäftsführern, denen persönlich schweres Fehlverhalten vorzuwerfen war, eine eigenständige schwere Verfehlung der Antragstellerin.

Im Übrigen seien der Antragstellerin die schweren Verfehlungen innerhalb der Unternehmensgruppe zuzurechnen gewesen. Die Bewertung der Antragsgegnerin, dass die getroffenen Maßnahmen unzureichend seien, um die Zuverlässigkeit wiederherzustellen, überschreite nach Ansicht der Vergabekammer nicht deren Einschätzungsspielraum.

Wie in Artikel 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU kodifiziert, seien die verschiedenen Kategorien von Selbstreinigungsmaßnahmen kumulativ zu berücksichtigen. Das letztlich durchschlagende Defizit bei personellen Konsequenzen könne nicht durch Maßnahmen in anderen Bereichen kompensiert werden.

Den Austausch der Geschäftsführung unter dem Eindruck des Nachprüfungsverfahrens sah die Vergabekammer als verspätet an. Die Selbstreinigung hätte eher erfolgen müssen. Ein Nachschieben neuer Eignungsaspekte nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs sei nicht mehr zulässig. Die Teilnahmeantragsfrist lege den Zeitpunkt fest, zu dem der Auftraggeber die Eignungsprüfung durchführen könne.

Eine Berücksichtigung nachträglich neu geschaffener Sachverhalte dürfe unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (Beschluss v. 07.01.2014 – X ZB 15/13) auch aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung mit anderen Bewerbern nicht erfolgen.

Im Hinblick auf andere ehemalige Kartellanten sei ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ebenfalls nicht gegeben. Die Würdigung von Selbstreinigungsmaßnahmen erfordere eine differenzierte, unternehmensbezogene Betrachtung des Einzelfalls aufgrund eines einheitlichen Maßstabs. Eine solche Prüfung habe die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Verfahren durchgeführt.

Ein Kronzeugenstatus schützt nicht vor notwendigen personellen Änderungen

Sind vertretungsberechtigte Organmitglieder persönlich betroffen, dürften einschneidende personelle Konsequenzen unausweichlich sein.

Auch der Kronzeugenstatus – unabhängig davon, ob er im vorliegenden Fall zu Recht zuerkannt wurde – sichert einem Unternehmen nicht automatisch die vergaberechtliche Zuverlässigkeit. Denn der Anreiz, „reinen Tisch″ im Hinblick auf die Vergangenheit zu machen und Sanktionen zu vermeiden oder wenigstens abzumildern, zwingt für sich genommen noch nicht zu dem Schluss, dass alle erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden, um sicherzustellen, dass sich das Unternehmen zukünftig gesetzestreu verhält und zuverlässig ist.

Die mündliche Verhandlung vor dem OLG Düsseldorf (Sofortige Beschwerde zum OLG Düsseldorf, VII-Verg 38/15 – von Antragstellerin zurückgenommen) machte zudem deutlich, dass natürliche Personen auch als (mittelbare) Gesellschafter ein hohes Risiko eingehen, wenn sie sich persönlich an Straftaten, die die Eignung ihrer Gesellschaften in Frage stellen, beteiligen. Eine effektive Selbstreinigung kann in solchen Fällen sehr einschneidende Maßnahmen erfordern.

Auftraggeber sind gut beraten, wenn sie den das Fehlverhalten begründenden Sachverhalt sorgfältig ermitteln und betroffene Wettbewerber möglichst frühzeitig zur Offenlegung der Verfehlungen und der ergriffenen Maßnahmen anhalten. Eine Checkliste mit detaillierten Vorgaben sowie eine vergleichende, ggf. tabellarische Auswertung kann hilfreich sein, um Gleichbehandlung und einheitliche Bewertungsmaßstäbe zu gewährleisten.

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