10. Dezember 2010
Internationale Zuständigkeit
Real Estate

Sind 34 Monate Prozessverschleppung „verständlich″?

Zu einer der Lieblingsaufgaben des Rechtsanwalts gehört es, dem Mandanten zu erklären, warum sein Gerichtsverfahren so lange dauert. Insbesondere Bauprozesse können sich ja bekanntlich über Jahre hinziehen. Wenn über Mängel beim Bau gestritten wird, sind häufig umfangreiche Sachverständigengutachten einzuholen es müssen Ortstermine durchgeführt werden oder um einzelne Rechnungspositionen gestritten werden. Allerdings kann es vorkommen, dass nicht die Schwierigkeit der Sache selbst zu einer überlangen Verfahrensdauer führt. Die Gerichte sind häufig überlastet und manchmal auch nicht gerade bemüht, das Verfahren schnell abzuschließen. Ein Erfahrungssatz kann da lauten: „Je ländlicher, desto länger!″ Was kann man also machen, wenn man überzeugt ist, dass das Gericht schuld daran ist, das alles so lange gedauert hat? Bislang beißt man sich an der Justiz die Zähne aus.

In einer vor kurzem ergangenen Entscheidung des BGH (Urteil vom 04.11.2010, Az. III ZR 32/10) hatten die Gerichte den Prozess erwiesenermaßen für insgesamt 34 Monate verschleppt. Als das Verfahren schließlich fast beendet war, geriet die Beklagte in Insolvenz und der Kläger ging nach all der Zeit am Ende leer aus. Bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung wäre der Kläger dagegen an sein Geld gekommen. Deshalb nahm der Kläger das Land NRW auf Schadensersatz in Anspruch. Doch der Kläger hätte wissen müssen, dass Richter ungern ihre Kollegen „in die Pfanne hauen″. Schadensersatz wegen zu langer Verfahrensdauer könne man nämlich nur bekommen, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht (was eigentlich nie vorkommt) oder

„wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist″.

Zu letzterer Alternative sei angemerkt, dass für einen Richter das richterliche Verhalten der Kollegen fast immer verständlich ist. Die Richter – so der BGH – seien nicht verpflichtet, die Prozessführung nach dem Zeitfaktor auszurichten. Diese Verpflichtung sei mit dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit nicht vereinbar. Das sieht übrigens insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte etwas anders und hat die Bundesrepublik in letzter Zeit wiederholt zu Schadensersatzzahlungen verurteilt. Nachdem der Rechtsstreit nun – das kann dauern – an das Oberlandesgericht zurückverwiesen wurde, dürfen wir uns wieder gedulden.

Wie die Sache auch ausgeht: Mit der sanktionslosen Verschleppung könnte ohnehin bald Schluss sein. Am 17. November 2010 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf veröffentlicht, durch den die bisherige Rechtslage in Deutschland grundlegend geändert werden soll. Das neue Gesetz sieht ausdrücklich einen Schadensersatzanspruch gegen den Staat vor, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange dauert. Laut Entwurfsbegründung will man „eine Rechtsschutzlücke schließen″, weil Rechtsschutz nur dann effektiv sei, wenn er nicht zu spät komme. Nun sollte unser Wunsch nicht unbedingt dieser sein, dass die Gerichte selbst schwierige Fälle schmalspurig behandeln, um ja keinen Schadensersatzanspruch gegen ihren Dienstherrn zu begründen. Vielleicht sorgt dieses Gesetz jedoch dafür, dass die Justiz endlich einmal mit ausreichendem Personal ausgestattet wird. Das könnte für die Staatskasse am Ende nämlich günstiger sein.

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