5. März 2024
Real Estate

Share Deals in den Fängen kommunaler Vorkaufsrechte

Hamburg hat erstmals ein kommunales Vorkaufsrecht bei einem Share Deal ausgeübt und es bleiben alle Fragen offen.

Kommunale Vorkaufsrechte erfreuen sich als Mittel zur Durchsetzung stadtpolitischer und städtebaulicher Ziele großer Beliebtheit. Am praxisrelevantesten sind solche Vorkaufsrechte in Sanierungs- und sozialen Erhaltungsgebieten (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BauGB). In sozialen Erhaltungsgebieten bezweckt die Gemeinde z. T. gar nicht den Ankauf eines Grundstücks, sondern den Abschluss einer sog. Abwendungsvereinbarung. Damit sollen sich Käufer zu einer Nutzung des Grundstücks verpflichten, die den Zielen der sozialen Erhaltungssatzung entspricht.

Im Jahr 2021 hat das Bundesverwaltungsgericht den Anwendungsbereich kommunaler Vorkaufsrechte unter Verweis auf den Ausschluss nach § 28 Nr. 4 BauGB zwar eingeschränkt (s. dazu näher Tschüss Vorkaufsrecht? Aktuelle Entwicklung zum Vorkaufsrecht bei Immobilientransaktionen (cmshs-bloggt.de). Eine gegenläufige Entwicklung scheint es jedoch bei der Frage zu geben, ob kommunale Vorkaufsrechte auch auf Share Deals Anwendung finden. So hat das Bezirksamt Neukölln im Jahr 2021 zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft ein Vorkaufsrecht bei einem Share Deal ausgeübt. Vollzogen und gerichtlich geklärt wurde dieser Vorgang jedoch nie, da der entsprechende Vorkaufsausübungsbescheid infolge der oben genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zurückgenommen werden musste. Im Februar 2024 wurde nun bekannt, dass der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) der Freien und Hansestadt Hamburg Ende 2022 das Vorkaufsrecht für das Gelände des „Freudenberger Areals“ in Harburg ausgeübt hatte, das im Wege eines Share Deals veräußert werden sollte.

Anlass genug, sich mit dem aktuellen Diskussionsstand um kommunale Vorkaufsrechte bei Share Deals zu beschäftigen.

Kommunale Vorkaufsrechte sind eigentlich nur bei Asset Deals anwendbar

Kommunale Vorkaufsrechte sind grundsätzlich nur bei Asset Deals anwendbar, also Grundstückskaufverträgen. Denn nur dann liegt der „Kauf eines Grundstücks“ vor, wie es § 24 Abs. 1 BauGB – und auch jedes sonstige Vorkaufsrecht – verlangt. Der Kauf führt letztlich zu einem Wechsel des Eigentümers des Grundstücks.

Nach Mitteilung des rechtswirksamen Kaufvertrages hat die Gemeinde drei Monate Zeit, ihr Vorkaufsrecht auszuüben. Das geschieht durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt (§ 28 Abs. 2 S. 1 BauGB).

Hierdurch tritt die Gemeinde nicht in den Grundstückskaufvertrag zwischen Verkäufer und Erstkäufer ein. Vielmehr kommt ein selbständiger neuer Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Gemeinde zustande. Dies geschieht bereits mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts, nicht erst mit dessen Bestandskraft.

Der Inhalt des neuen Kaufvertrages bestimmt sich nach dem Ausgangsvertrag (Grundsatz der Vertragsidentität). Sofern dies aufgrund vertraglicher Besonderheiten erforderlich ist, wird der Vertrag sinnentsprechend angepasst; im Detail bestehen hierbei zahlreiche Streitfragen.

Die Gemeinde hat grundsätzlich den im Erstkaufvertrag vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Überschreitet dieser den Verkehrswert, kann die Gemeinde den zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufs bestimmen; dann steht dem Verkäufer aber ein Rücktrittsrecht zu (§ 28 Abs. 3 BauGB).

Das kommunale Vorkaufsrecht hat keine dingliche Wirkung und kann nicht im Grundbuch eingetragen werden. Daher wird es durch eine Grundbuchsperre abgesichert: Die Eigentumsumschreibung im Grundbuch vom Verkäufer auf den Käufer darf das Grundbuchamt nur eintragen, wenn das Nichtbestehen oder die Nichtausübung des Vorkaufsrechts durch eine Bescheinigung der Gemeinde nachgewiesen wird (§ 28 Abs. 1 S. 2 BauGB).

Als weiteres Instrument zur Durchsetzung des Vorkaufsrechts kann die Gemeinde das Grundbuchamt um Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch des betroffenen Grundstücks ersuchen (§ 28 Abs. 2 S. 3 BauGB). Die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks ist damit einstweilen dahin. Das Grundbuchtamt hat nicht zu prüfen, ob das Ersuchen inhaltlich richtig ist; hierfür trägt die ersuchende Behörde die Verantwortung.

Kommunale Vorkaufsrechte kommen bei Share Deals aber jedenfalls in Umgehungskonstellationen in Betracht

Bei einem Share Deal werden die Anteile an der das Grundstück haltenden Gesellschaft übertragen. Es findet also keine rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung am Grundstück statt. Im Grundbuch des betreffenden Grundstücks wird kein neuer Eigentümer eingetragen; allenfalls wird das Grundbuch berichtigt, sollte der Eigentümer infolge des Share Deals eine Umfirmierung erfahren. Es liegt damit kein Vorkaufsfall vor, sodass kommunale Vorkaufsrechte grundsätzlich nicht anwendbar sind.

Die Rechtsprechung hält Vorkaufsrechte aber auch auf solche Vertragsgestaltungen anwendbar, die bei materieller Betrachtung einem Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts so nahekommen, dass sie ihm gleichgestellt werden können. Man spricht hierbei von „Umgehungsgeschäften“ oder „kaufähnlichen Gestaltungen“.  

Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Umgehungsgeschäfts ist nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 27. Januar 2012 – V ZR 272/10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2021 – OVG 2 S 46/20) zu berücksichtigen,

  • ob ein interessengerechtes Verständnis der gewählten Vertragsgestaltung zu dem Ergebnis führt, dass allen formellen Vereinbarungen zum Trotz der Wille der Vertragsschließenden auf eine Eigentumsübertragung (auch) der vorkaufsbelasteten Sache gegen Zahlung eines bestimmten Preises gerichtet war,
  • ob das wirtschaftliche Ergebnis der Transaktion dasselbe ist wie bei einem Verkauf des Grundstücks und
  • ob einziger Zweck der Gesellschaftsgründung die Verwaltung oder Übertragung des belasteten Grundstücks war oder dieser Zweck erkennbar im Vordergrund stand.

Ob nach diesen Maßstäben von einem Umgehungsgeschäft auszugehen ist, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und ist stets eine Wertungsfrage. Der Nachweis einer Umgehungsabsicht ist nicht erforderlich; vielmehr kommt es auf die objektive Interessenlage der Vertragsparteien an.

Als geradezu klassischer Umgehungsfall wird angesehen, wenn der Eigentümer die mit einem Vorkaufsrecht belastete Immobilie in eine von ihm beherrschte Gesellschaft einbringt und die Anteile anschließend entgeltlich einem Dritten überträgt (BGH, Urteil vom 27. Januar 2012 – V ZR 272/10) . Bei einem steuerlich motivierten gestreckten Anteilserwerb oder bei sonstigen Sachgründen, die für einen Share Deal sprechen, dürfte es dagegen anders aussehen. Rechtssicher wäre dies aber erst durch eine Anfechtungsklage gegen den Vorkaufsrechtsausübungsbescheid zu klären.

Eine praktische Schwierigkeit ergibt sich auch daraus, dass Gemeinden in der Regel keine Kenntnis von Share Deals erhalten. Grundbuchliche Änderungen gibt es nicht, zudem gilt die Mitteilungspflicht der Parteien nur für Grundstücks-, nicht für Anteilskaufverträge (vgl. § 28 Abs. 1 S. 1 BauGB). Wird ein Anteilskaufvertrag aber als Umgehungsgeschäft bewertet, gilt auch die mit der Mitteilung ausgelöste dreimonatige Ausübungsfrist nicht. Das kommunale Vorkaufsrecht kann also sehr lange drohend über der ggf. bereits vollzogenen Transaktion schweben.

Rechtsfolgen der Ausübung eines Vorkaufsrechts bei Share Deals sind völlig unklar

Bisher kaum diskutiert und praktisch nicht erprobt sind die Rechtsfolgen der Ausübung eines kommunalen Vorkaufsrechts bei Share Deals. Die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen sind auf diese Konstellation ersichtlich nicht zugeschnitten.

Denkbar ist Folgendes:

  • Zum einen könnte ein Grundstückskaufvertrag zwischen Verkäufer und Gemeinde zustande kommen. Dessen Erfüllung wäre aber (zunächst) unmöglich, da der Verkäufer gar nicht Eigentümer des betreffenden Grundstücks ist, sondern vielmehr Anteile an der Grundstücksgesellschaft hält. Möglicherweise könnte diese aber angewiesen werden, das Grundstück zu übertragen. Neben der Erfüllungsproblematik spricht gegen diesen Ansatz der Grundsatz der Vertragsidentität, da der Anteils- in einen Grundstückskaufvertrag umgedeutet werden müsste.
  • Zum anderen könnte ein Grundstückskaufvertrag zwischen der Grundstücksgesellschaft und der Gemeinde zustande kommen. Dieser könnte zwar erfüllt werden, da die Grundstücksgesellschaft Grundstückeigentümerin ist. Allerdings war die Grundstücksgesellschaft beim ursprünglichen Anteilskaufvertrag nicht Partei, sondern Übertragungsgegenstand; sie war nicht Subjekt, sondern Objekt der Transaktion. Aus welchem Rechtsgrund nun eine Vertragsbeziehung zwischen Grundstücksgesellschaft und Gemeinde entstehen soll, ist rechtlich schwer zu begründen. Zudem liegt auch hier keine Vertragsidentität vor.

    Vermutlich wird dies der in der Praxis bevorzugte Ansatz sein. Denn dieser Weg ermöglicht einen relativ unkomplizierten Zugriff auf das betroffene Grundstück. Soweit bekannt, wurde dieser Weg aber bisher nicht bis zum Ende beschritten und gerichtlich bestätigt. Auch der vom Land Berlin im Februar 2021 in den Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Vorkaufsrechtsstärkungsgesetzes verfolgt wohl diesen Ansatz; der Entwurf wurde aber nicht verabschiedet.
  • Schließlich bleibt die Möglichkeit eines neu entstehenden Anteilskaufvertrags zwischen dem Verkäufer und der Gemeinde, womit die Gemeinde die Anteile an der Grundstücksgesellschaft erwirbt. Die Natur der vertraglichen Beziehung bleibt damit zwar gewahrt. Allerdings wird die Anpassung des Anteilskaufvertrages umfangreicher und streitanfälliger sein als die Anpassung eines Grundstückskaufvertrages, da regelmäßig u. a. auch gesellschafts- und steuerrechtliche Themen zu klären sind. Zudem dürfte die Gemeinde kein Interesse an der Anteilsinhaberschaft haben, sondern lediglich am Grundstück interessiert sein.

Wie der Hamburger Vorkaufsfall abgewickelt wurde, ist öffentlich nicht näher bekannt. Der Käufer hatte bereits im Jahr 2021 sämtliche Anteile an der Grundstücksgesellschaft erworben. Das Vorkaufsrecht ausgeübt wurde aber erst ein Jahr später. Daraufhin folgten längere Verhandlungen, die erst kürzlich abgeschlossen werden konnten. Vermutlich hat der LIG lediglich das Grundstück übernommen, nicht aber die Anteile an der Grundstücksgesellschaft. Zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung und Klärung der zahlreichen offenen Rechtsfragen kam es auch hier nicht.

Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass eine solche Vorkaufsrechtsausübung angesichts der ungewissen Rechtslage derzeit mit einem erheblichen Ressourceneinsatz bei der Gemeinde und den beteiligten Akteuren der Immobilienwirtschaft verbunden ist.

Abhilfe würde nur eine gesamtheitliche gesetzliche Regelung schaffen

Und so lassen auch die bekannten Praxisfälle viele Fragen offen. Zwar kann die Anwendbarkeit kommunaler Vorkaufsrechte auf Share Deals anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien einigermaßen abgeschätzt werden. Dies ermöglicht es, Transaktionen so zu strukturieren, dass das Vorkaufsrisiko abgemildert wird. Ein Restrisiko verbleibt aufgrund des bestehenden Bewertungsspielraums aber immer. Für die praktische Durchführung solcher Fälle bestehen nach wie vor aber weder klare rechtliche Vorgaben noch eine best practice.  

Es gab wiederholt politische Initiativen, die Anwendung kommunaler Vorkaufsrechte auf Share Deals gesetzlich zu regeln, darunter der oben erwähnte Vorstoß des Landes Berlin im Februar 2021. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung hätte den Vorteil größerer Rechtssicherheit für Gemeinden und die Akteure der Immobilienwirtschaft, müsste ein solches Gesetz doch klare Anwendungsvoraussetzungen definieren, die ihrerseits gerichtlich überprüft werden könnten. Dabei dürfte es aber nicht bleiben. Vielmehr müssten auch praktikable rechtliche Vorgaben geschaffen werden, wie Vorkaufsfälle abgewickelt werden. Dabei sollten die häufig beschränkten Ressourcen der Gemeinden und der Gerichtsbarkeit bedacht werden, die auch anderweitig sinnvoll eingesetzt werden können, aber auch die Interessen der Immobilienwirtschaft. Es handelt sich um eine anspruchsvolle Aufgabe, die auf absehbare Zeit wohl nicht erledigt sein wird.

Tags: Mergers & Acquisitions (M&A) Real Estate Share Deal Vorkaufsrecht