23. Oktober 2024
Real Estate

Zweckentfremdung von Wohnraum: Ein Basta aus München

Eine neue Gerichtsentscheidung zeigt: Das Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum ist keine Allzweckwaffe gegen die Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt.

Der Wohnungsmarkt in vielen Kommunen ist von einem Mangel an (erschwinglichen) Wohnungen geprägt. Während der Wohnungsneubau weiterhin stagniert, versuchen sich diese Kommunen anders zu helfen. So gehen sie etwa verstärkt gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum vor, also gegen dessen gewerbliche Nutzung als Ferienunterkunft, Fremdenbeherbergung und ähnlichem. Dass dieser Wohnraum wieder dem regulären Mietwohnungsmarkt zugeführt wird, kann mit dem Zweckentfremdungsrecht aber nicht erzwungen werden, wie eine neue Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München zeigt.

Klägerin vermietet Co-Living-Spaces

Die Klägerin im entschiedenen Rechtsstreit vermietet Wohnungen mit einem sog. Co-Living-Konzept, u. a. in München. Die Wohnungen sind möbliert und werden mit unterschiedlichen Serviceleistungen angeboten. Den Bewohnern steht jeweils ein eigenes Zimmer zur Verfügung, während sie Küchen und Bäder gemeinsam nutzen. Zu den Serviceleistungen gehören eine Basisgrundausstattung für Küche und Toiletten sowie ein Reinigungsdienst. Die Mietverträge werden auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Mieter bleiben für Zeiträume bis zu zwei Jahren in den Wohnungen. Eine Wohndauer von sechs Monaten wird nur in Einzelfällen unterschritten.

Landeshauptstadt München sieht darin eine Zweckentfremdung

Die Landeshauptstadt München erblickte darin eine zweckentfremdungsrechtlich verbotene sog. Fremdenbeherbergung. Sie forderte die Klägerin durch Bescheid auf, die Wohnung wieder Wohnzwecken zuzuführen. Fünf der sechs Zimmer der Wohnung waren zu diesem Zeitpunkt an ausländische Bewohner vermietet, die im Besitz von befristeten Visa- und Aufenthaltserlaubnissen zu Arbeitszwecken waren. Ein Zimmer stand leer.

Recht bekam die Klägerin erst in zweiter Instanz

Die gegen den Bescheid gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht München in der ersten Instanz abgewiesen (Urteil v. 14. Juli 2021 – M 9 K 20.4088). Es teilte die Auffassung, dass die Wohnung einer Fremdenbeherbergung diene, da sie einen Servicebetrieb beinhalte sowie eine flexible Mietdauer biete.

Die Klägerin beantrage daraufhin die Zulassung der Berufung, der der Verwaltungsgerichtshof München wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils stattgab (Beschluss v. 20. November 2023 – 12 ZB 22.80). Auch die nachfolgende Berufung hatte Erfolg: Der Verwaltungsgerichtshof München hob das erstinstanzliche Urteil auf (Urteil v. 15. Juli 2024 – 12 B 23.2195).

Grundlage für das behördliche Einschreiten ist das Bayrische Zweckentfremdungsgesetz, das den Regelungen in anderen Bundesländern vergleichbar ist

Der angegriffene Bescheid stützt sich auf das Bayrische Zweckentfremdungsgesetz (BayZwEGW) und die Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS). Danach liegt eine verbotene Zweckentfremdung u. a. dann vor, wenn Wohnraum mehr als insgesamt acht Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird (Art. 1 S. 2 Nr. 3 BayZwEWG).

Vergleichbare Zweckentfremdungsverbote gibt es auch in anderen Bundesländern, die ganz oder teilweise von einer angespannten Wohnungssituation betroffen sind. Auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen im Detail abweichen, geht es doch stets um die Bewahrung der vorgefundenen Wohnnutzung, um die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen zu gewährleisten (s. beispielsweise § 1 Abs. 1 ZwVbG Berlin; § 1 ZwEWG BW; § 12 Abs. 1 WohnStG NRW; § 9 Abs. 1 HmbWoSchG).

Abgrenzung von Fremdenbeherbergung und Wohnnutzung

Zunächst grenzt der Verwaltungsgerichtshof in überzeugender Weise die – verbotene – Fremdenbeherbergung von der – erlaubten – Wohnnutzung ab.

So handele es sich bei einer Fremdenbeherbergung um die Überlassung von Wohnraum an Personen, die am Beherbergungsort nur vorübergehend unterkommen und ihre eigentliche Wohnung und ihren Lebensmittelpunkt typischerweise an einem anderen Ort haben. Der Aufenthalt zeichne sich durch ein übergangsweises, nicht alltägliches Wohnen bzw. durch ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Eine starre Mindest- oder Höchstaufenthaltsdauer könne nicht festgelegt werden.

Eine Wohnnutzung liege demgegenüber vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestatte, während Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf Dauer angelegt sei, ändere daran nichts.

Maßgeblich für die Beurteilung sei das jeweils zugrunde liegende Nutzungskonzept, das anhand der Mietverträge, der konkreten Mietpraxis und anderer Indizien im Einzelfall festzustellen sei.

Dementsprechend erfolge die Vermietung eines WG-Zimmers an einen (ausländischen) Studenten, der sich für ein halbes Jahr oder länger in München aufhalte und dort währenddessen seinen Lebensmittelpunkt habe, zu Wohnzwecken. Denn der Student komme in seinem WG-Zimmer nicht nur übergangsweise und provisorisch unter. Dies müsse auch für die Vermietung eines WG-Zimmers an einen (ausländischen) Arbeitnehmer gelten, der sich anlässlich eines Arbeitsauftrags vorübergehend in München aufhalte.

Auch die Inanspruchnahme von Serviceleistungen – insbesondere die Reinigung der Gemeinschaftsräume und die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Reinigungsdiensts für den selbst bewohnten Raum – und eine hohe Miete schlössen eine Wohnnutzung nicht aus.

Verwaltungsgerichtshof hält das Co-Living-Konzept der Klägerin für erlaubte Wohnnutzung

Auf dieser Grundlage sieht der Verwaltungsgerichtshof in der Tätigkeit der Klägerin keine gewerbliche Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, sondern eine Vermietung zu Wohnzwecken.

Er hebt dabei hervor, dass jedem Bewohner eine Rückzugsmöglichkeit ins Private zur Verfügung stehe und dass eine Wohngemeinschaft als Zusammenleben einer Gruppe von Personen, die eine Wohnung gemeinsam bewohnen, ohne verwandt zu sein, keineswegs ungewöhnlich und ohne weiteres eine Wohnnutzung sei. Es handele sich auch nicht um eine „Zwangs-WG“: So könne jeder Bewohner frei entschieden, einen Mietvertrag abzuschließen oder eben nicht.

Auch auf die Verweildauer der Mieter geht der Verwaltungsgerichtshof ein, die jedenfalls so lange sei, dass die Mieter – wie für die Fremdenbeherbergung charakteristisch – nicht ständig wechselten. Für die bauplanungsrechtliche Einordnung einer Wohnnutzung würden bereits Vermietungen zwischen drei und acht Monaten als ausreichend angesehen. Vorliegend blieben die Bewohner deutlich länger und nur in Einzelfällen weniger als sechs Monate. Die Verweildauer sei ferner nur eins von mehreren Indizien und nicht allein ausschlaggebend.

Auch die angebotenen Serviceleistungen schlössen eine selbstständige Regelung und Organisation des täglichen Lebens durch die Mieter und damit eine Wohnnutzung nicht per se aus. Sie dienten hier lediglich dazu, die Gründung eines neuen Hausstands zu einer Nutzung zu dauerhaften Wohnzwecken und damit die Schaffung einer Heimstatt zu erleichtern.

Zweckentfremdungsrecht erlaubt keine Bewertung und Priorisierung verschiedener Wohnnutzungen

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt auch ausdrücklich Stellung zu Zielsetzung und Grenzen des Zweckentfremdungsverbots. Es definiert damit klare Leitplanken für die künftige Anwendung des Zweckentfremdungsrechts.

So erschöpfe sich dieses im „Bestandsschutz von Wohnraum“. Es vermittele aber kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer Wertigkeit zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten. Das Zweckentfremdungsrecht gestatte weder eine Wohnraumbewirtschaftung noch dürfe es als Mittel eingesetzt werden, um allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt zu unterbinden.

Dies hatten vor geraumer Zeit bereits das Bundesverfassungsgericht (Urteil v. 4. Februar 1975 – 2 BvL 5/74) und das Bundesverwaltungsgericht (Urteil v. 17. Oktober 1997 – 8 C 18/96) klargestellt, was von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Zweckentfremdungsrecht aber kaum rezipiert wurde.

Darin liegt auch der besondere Wert der Entscheidung: Sie dient als Weckruf, dass das Zweckentfremdungsrecht keine „Allzweckwaffe“ gegen sämtliche Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt ist, sondern einem bestimmten, klar definierten Ziel dient. Es gibt auch zulässige Wohnnutzungen außerhalb des regulären Mietwohnungsmarkts. Das Zweckentfremdungsrecht kann somit insbesondere nicht dazu genutzt werden, Wohnungen wieder diesem Markt zuzuführen.

Zweckentfremdungsrecht bleibt für viele Akteure in der Immobilienwirtschaft relevant

Zusammenfassend zeichnet sich eine Wohnnutzung durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dazu ist u. a. erforderlich, dass es private Rückzugsräume gibt, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises ermöglichen. Serviceleistungen können zwar angeboten werden; sie sollten aber keinen Umfang annehmen, wie er für Hotels oder vergleichbare Beherbergungsstätten typisch ist. Die Verweildauer ist von eher geringer Bedeutung, solange sie eine Untergrenze von etwa sechs Monaten nicht systematisch unterschreitet. Auch Wohnen auf kurze Zeit kann Wohnen sein.

Bewegt sich die konkrete Nutzung innerhalb der Bandbreite möglicher Wohnnutzungen, ist sie zweckentfremdungsrechtlich erlaubt. Dass aus einer regulären Mietwohnung etwa eine Kurzzeitunterkunft für ausländische Arbeitnehmer wird, mag auf einem angespannten Wohnungsmarkt tatsächlich zu einer Reduktion des Wohnraums für die eingesessene Bevölkerung führen. Zweckentfremdungsrechtlich kann dies jedoch nicht verhindert werden.

Das Zweckentfremdungsrecht ist und bleibt relevant für all diejenigen, die vom Altbekannten abweichende Beherbergungs- und Vermietungskonzepte anbieten. Durch die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze lässt sich die zweckentfremdungsrechtliche Zulässigkeit solcher Konzepte mittlerweile zwar einigermaßen verlässlich einschätzen. Die Übergänge zwischen einer zulässigen und einer unzulässigen Nutzung sind jedoch fließend. Daher empfiehlt sich stets eine profunde rechtliche Analyse des jeweiligen Konzepts, noch bevor es umgesetzt wird.

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