29. November 2021
Koalitionsvertrag Digitales Aufbruch
Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages

Der „digitale Aufbruch“ der Koalitionsparteien

Die Koalitionsparteien haben sich mitunter die „Digitalisierung“ auf die Fahne geschrieben. Was erwartet uns hier die nächsten vier Jahre?

Bereits die Präambel des Koalitionsvertrags nennt die Digitalisierung als eine der zentralen Herausforderungen für Deutschland. Neben dem eigens der Digitalisierung gewidmeten Kapitel „Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen“ zieht sich die „digitale Aufbruchsstimmung“ wie ein roter Faden durch den gesamten Koalitionsvertrag: 226 Treffer für das Stichwort „digital“ auf 177 Seiten verdeutlichen, dass die kommende Regierung hier einen ihrer Schwerpunkte setzt.

Worum geht es?

„Digitaler Aufbruch“ mit „zentralem zusätzlichen Digitalbudget“

Die Koalitionspartner stellen fest: „Deutschland braucht einen umfassenden digitalen Aufbruch.“ Dies klingt auf den Blick nach Aufbruch; es zeigt aber auch, dass die Koalitionäre sich einig sind, dass es in Deutschland noch viel zu tun gibt, um den Anschluss nicht zu verpassen. 

Der Weg und die Umsetzung dieses Aufbruchs sind in dem Papier in großen Teilen noch eher vage umrissen und es lässt viel Raum, wie dieser in der Zukunft mit Leben gefüllt werden soll. 

Entgegen früheren Diskussionen wird es zunächst doch kein eigenes Ministerium für Digitales geben. Stattdessen soll das Verkehrsministerium diese Aufgabe mitübernehmen. Dafür wird aus dem bisherigen „Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur“ nun das „Bundesministerium für Verkehr und Digitales“. Aber unabhängig von dieser (namentlichen) Änderung des Ministeriums sollen die

Kompetenzen in der Bundesregierung […] neu geordnet und gebündelt […sowie] ein zentrales zusätzliches Digitalbudget eingeführt

werden. Das sorgt für Hoffnung und Spannung gleichermaßen, da bisher keine weiteren Informationen bekannt sind. Insofern ist insbesondere noch unbekannt, wie hoch dieses Digitalbudget ausfallen und welche Stelle hierüber verfügen wird. Dem Koalitionspapier ist in diesem Zusammenhang zudem nicht zu entnehmen, ob das erst 2018 geschaffene und im Kanzleramt angesiedelte Amt der Staatsministerin für Digitalisierung fortbestehen wird.

Digitale Gesetzgebung und Verwaltung

Unabhängig von der Kompetenzverteilung soll sich die Digitalisierung nach Vorstellungen der Koalitionsparteien durch alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens ziehen. Dadurch soll „das Potenzial der Digitalisierung in Staat und Gesellschaft besser“ genutzt werden.

Um dies umzusetzen, soll mitunter ein „Gesetzesdigitalcheck“ eingeführt werden. Dabei soll im Vorfeld eines jeden Gesetzgebungsverfahrens die Möglichkeit der digitalen Ausführung geprüft und etwaige Digitalisierungshemmnisse wie Schriftformerfordernisse sollen möglichst beseitigt werden. Hierzu soll ein„Zentrum für Legistik“ errichtet werden. Bei konsequenter Umsetzung könnte dies Chancen für neue Produkte und Anwendungen schaffen, die zurzeit noch an Formerfordernissen scheitern. 

Außerdem soll ein digitales Gesetzgebungsportal geschaffen werden, über das einsehbar ist, in welcher Phase sich Gesetzesvorhaben befinden. Das Besondere dabei: Die Öffentlichkeit soll die Möglichkeit haben, die Gesetzesvorhaben zu kommentieren. Ob derartige Kommentare Einfluss haben werden und, wenn ja, welchen, wird die Zukunft zeigen. Es ist aber zu hoffen, dass insgesamt mehr Fachleute (auch aus Unternehmen) zu den verschiedenen Gesetzesvorhaben rechtzeitig angehört werden. Vor allem in Bezug auf neue Technologien ist es wichtig, dass der Gesetzgeber die Hintergründe richtig durchdringt. 

Daneben soll die gesamte Verwaltung digitaler und agiler werden. Es soll „konsequent aus der Nutzungsperspektive heraus“ gedacht und die Digitalisierung soll fester Bestandteil der Behördenausbildung werden. Die Behördenleiter und Führungskräfte sollen „eine moderne Führungs- und Verwaltungskultur vorantreiben und für digitale Lösungen sorgen“. Die Umsetzungspläne hierzu werden wohl nicht nur von Unternehmensseite mit Spannung erwartet. 

Positiv hervorzuheben sind die Absichten in Bezug auf öffentliche IT-Schnittstellen und -Projekte. Die IT-Schnittstellen zwischen Bund und Ländern sollen standardisiert und eine Cloud der öffentlichen Verwaltung soll aufgebaut werden. Für öffentliche IT-Projekte sollen zukünftig offene Standards, getreu dem Motto „public money, public code“, gelten: 

Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht. Auf Basis einer Multi-Cloud Strategie und offener Schnittstellen sowie strenger Sicherheits- und Transparenzvorgaben bauen wir eine Cloud der öffentlichen Verwaltung auf.

Hiervon dürften insbesondere kleine Unternehmen und Start-ups profitieren, die im öffentlichen Auftrag entwickelte Software unter bestimmten Voraussetzungen selbst nutzen können. 

Für den Bürger soll schließlich der digitale Zugang zur Verwaltung standarisiert und vereinheitlich werden, indem das Onlinezugangsgesetz (OZG) weiterentwickelt wird. Was das genau heißt, bleibt allerdings noch offen.

Digitale Gesellschaft soll geformt und Plattformen sollen verstärkt reguliert werden

Auch die gesamte Zivilgesellschaft soll digitalisiert werden bzw. die Möglichkeit haben, an der Digitalisierung teilzuhaben. Neben allgemeinen Bekenntnissen zum „digitalen Ehrenamt“ und zur Einbindung der Zivilgesellschaft in „digitalpolitische Vorhaben“ kündigt der Koalitionsvertrag grundlegende Überarbeitungen verschiedener Gesetzeswerke an, die insbesondere (Social Media-) Plattformen betreffen:

Beim Digital Services Act setzen wir uns für die Wahrung der Kommunikationsfreiheiten, starke Nutzerrechte, klare Meldeverfahren, den Zugang zu Daten sehr großer Plattformen für Forschungszwecke, die Überprüfbarkeit ihrer algorithmischen Systeme sowie klare Regelungen gegen Desinformationen ein. Auf Grundlage der europäischen Vorgaben werden wir den Rechtsrahmen (u. a. Telemediengesetz, TMG und Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG) grundlegend überarbeiten. Den Aufbau von Plattformräten werden wir voranbringen. Mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt werden wir rechtliche Hürden für Betroffene, wie Lücken bei Auskunftsrechten, abbauen und umfassende Beratungsangebote aufsetzen. Wir schaffen die rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung und für private Verfahren und ermöglichen richterlich angeordnete Accountsperren. Wir werden die Einrichtung einer Bundeszentrale für digitale Bildung prüfen.

Die Zielrichtung scheint also klar: Die (großen) digitalen Plattformen sollen stärker reguliert und digitale Gewalt soll bekämpft werden. Interessant ist hierbei der beabsichtigte Aufbau von Plattformräten. Diese „digital-demokratische“ Idee zur Regulierung der großen (Social Media) Plattformen wird schon länger diskutiert und erfuhr im Zusammenhang mit der dauerhaften Sperrung des Twitter-Accounts des ehemaligen US-Präsidenten Aufwind.

Zudem zeichnet sich ab, dass für die betroffenen Unternehmen ein enormer Handlungsbedarf entstehen dürfte, wenn die Überarbeitung des Rechtsrahmens in diese Stoßrichtung tatsächlich „grundlegend“ ausfallen sollte. Insbesondere die bereits bestehenden Prüfungs- und Überwachungspflichten der großen Plattformen könnten deutlich ausgeweitet und somit könnte die Schaffung neuer Stellen und Strukturen erforderlich werden.

Auch im Medienbereich soll die bereits bestehende Regulierung der (großen) digitalen Plattformen verschärft werden. Die zukünftige Regierungskoalition will dabei die „digitale Transformation der Medienlandschaft“ begleiten:

Die Herausforderungen der digitalen Transformation der Medienlandschaft wollen wir durch faire Regulierung der Plattformen und Intermediäre begleiten, um kommunikative Chancengleichheit sicherzustellen.

Dies dürfte mitunter die bereits diskutierten Fragen zur monetären Teilhabe der Medien betreffen, aber letztlich genauso skizzenhaft sein, wie die diesbezüglichen Vorhaben auf europäischer Ebene: 

Auf europäischer Ebene setzen wir uns dafür ein, dass Digital Service Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) sowie Media Freedom Act auch Pluralismus und Vielfalt abbilden sowie eine staatsferne Medienaufsicht und Regulierung gewährleisten. Wir werden die Machbarkeit einer technologieoffenen, barrierefreien und europaweiten Medienplattform prüfen.

Weitere Bereiche der Digitalisierung

Neben diesen Aspekten der Digitalisierung sind dem Koalitionspapier zahlreiche weitere Punkte mit Bezug zur Digitalisierung zu entnehmen, die wir in gesonderten Blogbeiträgen beleuchten werden.

Hervorzuheben sind hier Vorhaben beim Datenschutz und bei der Datenpolitik, der IT-Sicherheit, im Bereich der digitalen Finanzdienstleistungen (FinTech, InsurTech) und der digitalen Währungen sowie im Verbraucherschutz. Auch die großen Vorhaben in der Klima-, Bildungs- und Gesundheitspolitik sollen durch bzw. mit Hilfe der Digitalisierung vorangetrieben werden. Dabei soll auch die (kartellrechtliche) Regulierung der (ganz großen) Plattformen für Chancengleichheit und Teilhabe sorgen. Die Koalitionsparteien wollen unter anderem hierzu mit den Anbietern der digitalen Plattformen in Dialog treten. Hierdurch sollen auch die digitale Arbeitswelt und neue Technologien mit einem „menschenzentrierten Ansatz“ zum Wohle aller gefördert werden. Dies betrifft nicht zuletzt auch digitale Technologien wie die künstliche Intelligenz (KI).

Die Umsetzung großer Digitalisierungspläne wird mit großer Spannung erwartet

Insgesamt ist festzuhalten, dass die „Digitalisierung“ alle Ebenen und Bereiche durchdringen soll. Während einzelne Vorhaben teilweise genauer erläutert werden, bleibt der Koalitionsvertrag in vielen Bereich aber vage. 

Unabhängig davon dürfte klar sein, dass sich für viele Unternehmen (neue) Chancen bieten werden. Wenn Digitalisierungshemmnisse zukünftig stärker beseitigt werden, schafft dies Raum für neue Angebote. Gleichzeitig scheint aber auch offensichtlich, dass für viele Unternehmen der digitalen Wirtschaft in den nächsten Jahren ein enormer Handlungsbedarf aufkommen wird. Dies betrifft nicht zuletzt die Anbieter großer digitaler Plattformen, die bereits Adressat etlicher neuer Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene sind. Aber auch dies kann bzw. sollte als Chance begriffen werden: Die Compliance mit den verschiedenen (gesetzlichen) Vorgaben kann ein Aushängeschild für Unternehmen sein, mit dem Qualität bewiesen wird und Vertrauen und Marktvorsprung geschaffen werden.

Letztlich wird sich zeigen, inwiefern das Handeln der zukünftigen Regierung wirklich einen „digitalen Aufbruch“ darstellt und nicht nur ein weiteres Lippenbekenntnis. Dies dürfte nicht zuletzt auch davon abhängen, wie die angekündigte „zentrale Stelle für Digitalisierung“ tatsächlich ausgestaltet wird.

In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.

Tags: Aufbruch Digitales Koalitionsvertrag TMC