Die Ampelkoalition will die Datei „Gewalttäter Sport“ reformieren und modernisieren. Gelingt dieses Unterfangen?
Der Sport elektrisiert die Massen. Die große gesellschaftliche Bedeutung des Spitzensports impliziert angesichts des breit gefächerten Publikums eine staatliche Verantwortung, im Rahmen von Sportveranstaltungen für deren sicheren und möglichst friedlichen Ablauf zu sorgen. Zur Erfüllung dieser Zwecke führt das Bundeskriminalamt seit 1994 die Datei „Gewalttäter Sport“, die der Polizei das Gewinnen von Anhaltspunkten für die sachgerechte und effektive Vornahme von organisatorisch-taktischen Maßnahmen sowie gezielten Eingriffen ermöglicht. Es handelt sich gem. § 29 Abs. 1–5 BKAG (Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten) um eine Verbunddatei, die es der jeweiligen Landes- sowie der Bundespolizei erlaubt, personenbezogene Daten der betroffenen Personen zu speichern und in das INPOL-Fahndungssystem zu integrieren (Datei Gewalttäter Sport (polizei.nrw)).
Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist als polizeiliches Informationssystem fachlich bei der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“ des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste des Landes Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Duisburg angesiedelt. Einträge in der Verbunddatei sind gleichwohl von allen Polizeibeamtinnen und -beamten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (etwa im Rahmen von Fahrzeugkontrollen) einsehbar (BT-Drs. 19/29703, S. 1).
Derzeitiger Inhalt der Verbunddatei
Neben gewichtigen Gewalttaten, etwa Straftaten unter Anwendung von Gewalt gegen Leib oder Leben oder fremde Sachen mit der Folge eines nicht unerheblichen Sachschadens oder häufige Delikte rund um Sportveranstaltungen wie beispielsweise Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), Verstöße gegen das Sprengstoff- bzw. Waffengesetz oder Landfriedensbruch (§§ 125 ff. StGB), geben derzeit auch niedrigschwellige(re) Delikte wie Beleidigung (§ 185 StGB) oder Diebstahl (§ 242 StGB) mit Bezug zu einem Sportevent Anlass zu einer Speicherung in der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“. Dabei erfolgt eine Erfassung der Daten nach den Feststellungen des Deutschen Bundestags oftmals bereits, bevor überhaupt das Vorliegen eines Anfangsverdachts festgestellt wird: So bildeten „Personalienfeststellung, Platzverweis und Ingewahrsamnahme“ mit Stand vom 4. Februar 2021 etwa 20 Prozent der zu diesem Zeitpunkt insgesamt 9.815 Eintragungsgründe ab (BT-Drs. 19/29703, S. 1). Ferner führt derzeit weder eine Einstellung des Strafverfahrens im Ermittlungs- noch ein Nichteröffnungsbeschluss im Zwischen- noch ein Freispruch im gerichtlichen Hauptverfahren zu einer Löschung der in der Datei gespeicherten Daten bis zum Ablauf der maximalen Speicherdauer von fünf Jahren (BT-Drs. 19/29703, S. 1). Dies wurde in der Vergangenheit vielfach ebenso kritisch gesehen wie der Umstand, dass eine vorzeitige Löschung aus der Verbunddatei einen dahingehenden Antrag der oder des Betroffenen erfordert, die Eingetragenen aus Gründen des Schutzes laufender Ermittlungen zugleich jedoch oftmals nicht über ihre Eintragung informiert werden (BT-Drs. 19/29703, S. 1 f.).
Einige Aufmerksamkeit erfuhr in jüngerer Vergangenheit der Umstand, dass im Zeitraum zwischen den Monaten März und Dezember 2020, der maßgeblich von den Maßnahmen zur Einschränkung der COVID-19-Pandemie geprägt war und in dem lediglich bei einzelnen Spielen eine beschränkte Anzahl von Zuschauerinnen und Zuschauern zugelassen war, 1.056 Neueintragungen in der Datei „Gewalttäter Sport“ vorgenommen wurden (BT-Drs. 19/26371, S. 1). Wenngleich zwischen dem Zeitpunkt der maßgeblichen Tat und der Eintragung teilweise längere Zeitspannen gelegen haben und zudem auch im Umfeld von Geisterspielen „Drittort-Auseinandersetzungen“ zwischen rivalisierenden Fangruppen stattgefunden haben dürften, bleiben zumindest im Hinblick auf die Eintragungstransparenz Fragen bezüglich der Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen offen.
Da eine stigmatisierende Wirkung der Eintragung in die – von allen Polizeibeamtinnen und -beamten des Bundesgebiets einsehbare – Datei im Rahmen von Routinekontrollen ebenso nicht ausgeschlossen werden kann wie auf die Eintragung gestützte Maßnahmen wie Meldeauflagen, Betretungsverbote oder Maßnahmen nach dem Pass- oder Personalausweisgesetz (BT-Drs. 19/29703, S. 2), sah die neue Bundesregierung sich – nicht zuletzt infolge mehrerer Initiativen der FDP sowie von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (vgl. parlamentarische Initiativen nach BT-Drs. 18/10724, 19/946, 19/4618) – veranlasst, sich der Reformierung der Datei „Gewalttäter Sport“ im Wege einer Überarbeitung hinsichtlich deren Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz anzunehmen.
Dieses Ansinnen hat die neue Bundesregierung nunmehr als Bestandteil des „Entwicklungsplan[s] Sport“ im Koalitionsvertrag verankert (S. 114 des Koalitionsvertrags):
Das Nationale Konzept Sport und Sicherheit wird weiterentwickelt. Die Datei „Gewalttäter Sport“ wird in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz reformiert.
Evaluierung anhand der allgemeinen Grundprinzipien des Datenschutzrechts wünschenswert
Es bleibt abzuwarten, ob die Ampelkoalition der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ durch die nunmehr umzusetzenden Reformierungsmaßnahmen zu mehr Rechtsstaatlichkeit verhelfen wird.
Bei der Führung der Verbunddatei dürfte es sich um eine behördliche Datenverarbeitung zum Zweck der Verhütung von Straftaten und des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit handeln. Die Vorgaben der DSGVO sind gem. Art. 2 Abs. 2 lit. d) dann nicht unmittelbar einschlägig. Gleichwohl wäre ein sinnvoller Reformansatz eine Evaluierung anhand der allgemeinen Grundprinzipien des Datenschutzrechts. Zu diesen sind die Rechtmäßigkeit, Transparenz, Zweckbindung, Datenminimierung, Richtigkeit der verarbeiteten Daten sowie Rechenschaftspflicht der oder des Verantwortlichen zu zählen.
So dürfte mit der Überarbeitung eine umfassende Überprüfung der Bestandsdaten durch Erhebung und anonymisierte Analyse des aktuellen Datenbestandes einhergehen (BT-Drs. 19/29703, S. 2). Unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes wäre eine Verbesserung der Transparenz der Verbunddatei hinsichtlich der jeweils betroffenen Datenkategorien zudem ebenso begrüßenswert wie die Schaffung eines transparenten Auskunftsrechts sowie einer rechtlichen Belehrung für Betroffene. Auch eine Information über eine etwaige Übermittlung der Daten ins Ausland sollte in jedem Fall stattfinden (BT-Drs. 19/29703, S. 2). Damit die Betroffenen ihre Rechte wirksam geltend machen können, wäre zudem eine standardisierte Benachrichtigung im Vorfeld der Eintragung sowie vor jeder Änderung ebenso ein denkbarer Schritt wie die Anhebung der Anlassschwelle für die Datenerhebung und die strikte Umsetzung der Anforderungen der §§ 77, 78 BKAG (BT-Drs. 19/29703, S. 2).
In unserer Blog-Serie „Ampel 21 – Auswirkungen des Koalitionsvertrages“ halten wir Sie zu den Auswirkungen des Koalitionsvertrages für in den verschiedenen Sektoren tätige Unternehmen auf dem Laufenden.