In diesem Teil unserer Blogserie „Kartellrecht Kompakt – Kompaktwissen zu Antitrust, Competition & Trade“ geht es um Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, sog. „Horizontale Vereinbarungen“. Unter welchen Voraussetzungen sind diese zulässig und vor allem wo liegen die Grenzen?
Ausgehend vom Kartellverbot Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB (behandelt in dem Auftakt dieser Blogserie) sind Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern enge Grenzen gesetzt. Im Grundsatz sollen Wettbewerber unabhängig voneinander agieren und miteinander in Konkurrenz stehen.
Was sind horizontale Vereinbarungen?
Horizontale Vereinbarungen sind Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die auf der gleichen Marktstufe tätig sind, d. h. Vereinbarungen zwischen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbern in Bezug auf substituierbare Güter. Als potenzielle Wettbewerber gelten Wettbewerber, die gegenwärtig zwar kein konkurrierendes Produkt herstellen, jedoch innerhalb eines angemessenen Zeitraums die erforderlichen Investitionen für einen Markteintritt tätigen könnten und bei einer geringfügigen, jedoch nachhaltigen Erhöhung der relativen Preise des betreffenden Produkts voraussichtlich tatsächlich mit der Produktion beginnen würden.
Im Gegensatz hierzu betreffen vertikale Vereinbarungen Absprachen zwischen Unternehmen, die in einer Lieferanten-Nachfrager-Beziehung stehen und somit auf unterschiedlichen Marktstufen tätig sind, wie beispielsweise zwischen Herstellern und Händlern. Diese werden nach der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 (Vertikal-GVO) und den zugehörigen Leitlinien behandelt. Näheres dazu erfahren Sie in dem Beitrag zur Vertikal-GVO dieser Blogserie.
Die „Hardcore“-Kartelle: besonders gravierende Wettbewerbsbeschränkungen unter Konkurrenten
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen gelten im Kartellrecht als besonders gravierende Verstöße, da sie das grundlegende Wettbewerbsprinzip des Gegeneinanders unmittelbar beeinträchtigen. Insbesondere sogenannte „Hardcore“-Kartelle sind „per se“ verboten, sodass es keiner gesonderten Prüfung der tatsächlichen Marktbeeinträchtigung bedarf. Dazu zählen Vereinbarungen mit denen Preise festgesetzt, die Produktion beschränkt oder Märkte oder Kunden aufgeteilt werden.
Preisabsprachen
Nach dem sogenannten Selbständigkeitspostulat muss jedes Unternehmen seine Preisgestaltung eigenständig festlegen und eigenverantwortlich darüber entscheiden, welche (Preis-)Politik es am Markt verfolgt und mit welchen Mitteln es diese umsetzt.
Unzulässig ist damit jede Absprache zwischen Wettbewerbern, die Preise, Preisnachlässe oder den Zeitpunkt und das Ausmaß von Preisänderungen betrifft. Erfasst werden nicht nur unmittelbare Preisfestlegungen, sondern auch mittelbare Preisabstimmungen, etwa über preisbildende Faktoren wie Handelsspannen oder Kalkulationsgrundlagen. Solche Vereinbarungen führen dazu, dass der Preiswettbewerb ausgeschaltet wird.
Zulässig bleibt hingegen die einseitige Anpassung der eigenen Preise an beobachtete Markt- oder Preisentwicklungen, solange diese ohne vorherige Abstimmung oder wechselseitige Verständigung erfolgt.
Verknappung des Angebots und Einschränkung des Innovationswettbewerbs
Regelmäßig unzulässig sind Vereinbarungen, mit denen sich Unternehmen verpflichten, Produktionsmengen oder Verkaufsquoten zu begrenzen, um dadurch eine künstliche Verknappung herbeizuführen und Preisniveaus stabil zu halten. Derartige Absprachen beeinträchtigen den Leistungswettbewerb unmittelbar und widersprechen dem Grundprinzip des freien Marktzugangs. Entsprechendes gilt für eine Einschränkung des Innovationswettbewerbs, z.B. im Bereich Forschung und Entwicklung.
Gebietskartelle und Marktaufteilungen
Auch die Aufteilung von Märkten zwischen Wettbewerbern stellt einen typischen Hardcore-Verstoß gegen das Kartellverbot dar und ist grundsätzlich stets unzulässig. Eine solche Marktaufteilung erfolgt regelmäßig dadurch, dass sich Wettbewerber verpflichten, bestimmte Kunden, Regionen oder Absatzgebiete der jeweils anderen Partei nicht zu beliefern.
Informationsaustausch
Neben ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen kann auch der bloße Austausch strategischer Informationen zwischen Wettbewerbern eine unzulässige horizontale Wettbewerbsbeschränkung sein. Dies betrifft insbesondere den Austausch von Daten über künftige Preise, Produktionsmengen, Marktstrategien oder Kunden. Während die Weitergabe öffentlicher oder allgemein zugänglicher Informationen unproblematisch ist, sind gezielte Absprachen über strategisch relevante Marktdaten regelmäßig kartellrechtswidrig. Solche Absprachen können den Wettbewerb beschränken, da Unternehmen ihre Entscheidungen nicht mehr selbstständig, sondern auf Basis ausgetauschter Informationen treffen.
Dabei sind Art und Medium des Austauschs unerheblich: sowohl informelle Treffen (bspw. auf Fachmessen) als auch der Austausch über Verbände können einen Verstoß begründen.
Eine aufbereitete und ausreichend anonymisierte Weitergabe strategisch relevanter Daten durch einen unabhängigen Rechtsberater kann unter Umständen kartellrechtliche Bedenken ausräumen.
Die Horizontal-Leitlinien: Rahmenbedingungen für Kooperationen zwischen Wettbewerbern
Die Regelungen zu horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen stützen sich im Wesentlichen auf die Horizontalleitlinien der Europäischen Kommission sowie auf zwei zentrale Gruppenfreistellungsverordnungen: die Verordnung über Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (FuE-GVO) und die Verordnung über Spezialisierungsvereinbarungen (Spezialisierungs-GVO).
Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung
Die Horizontalleitlinien behandeln unter anderem Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (FuE) zwischen Wettbewerbern. Solche Kooperationen können sehr unterschiedliche Ziele verfolgen: Dazu zählen etwa die Auslagerung eigener FuE-Aufgaben aus Gründen der Kosteneffizienz oder fehlender Expertise, die gemeinsame Weiterentwicklung bestehender Technologien und Produkte sowie die Forschung, Entwicklung und Vermarktung völlig neuer Produkte, um Märkte mit innovativen Produkten zu erschließen.
Gleichzeitig bergen FuE-Kooperationen auch potenzielle Risiken für den Wettbewerb. Zwar können sie Innovation und Wachstum fördern, doch können sie auch den freien Wettbewerb beschränken. Forschungs- und Entwicklungskooperationen, sei es zwischen Unternehmen oder mit unternehmerisch tätigen Forschungsinstituten, unterliegen daher grundsätzlich dem Kartellverbot.
Ausnahmen ergeben sich aus der Forschungs- und Entwicklungs-Gruppenfreistellungsverordnung (FuE-GVO). FuE-Kooperationen sind demnach im Regelfall erlaubt, entweder, wenn sie zwischen Nicht-Wettbewerbern stattfinden oder der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Wettbewerber 25% nicht überschreitet.
Voraussetzung für die Freistellung ist, dass alle Beteiligten uneingeschränkten Zugang zu den Ergebnissen der gemeinsamen Forschung und Entwicklung erhalten, sowohl zum Zwecke der weiteren Forschung als auch für die spätere Verwertung. Bei Kooperationen ohne nachfolgende gemeinsame Verwertung müssen die Parteien zusätzlich Zugriff auf ihr Alt-Know-how gewähren, soweit dieses für die Nutzung der Ergebnisse erforderlich ist. Entspricht eine FuE-Vereinbarung nicht den Kriterien der FuE-GVO, schränkt den Wettbewerb jedoch ein, ist eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu prüfen.
Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion
Mit Produktionsvereinbarungen können Unternehmen festlegen, dass die Fertigung entweder ausschließlich von einer Partei übernommen wird, in einem Gemeinschaftsunternehmen erfolgt oder dass ein Unternehmen die andere Partei als Zulieferer beauftragt. Solche Absprachen können zu einer Koordinierung des Wettbewerbs oder darüber hinaus zu einer wettbewerbswidrigen Marktabschottung gegenüber Dritten führen und deshalb kartellrechtlich bedenklich sein.
Ähnlich wie bei Forschungs- und Entwicklungskooperationen gibt es für Produktionsvereinbarungen eine Gruppenfreistellungsverordnung, die sogenannte Spezialisierungs-GVO, die einen „Safe Harbour“ für bestimmte Formen gemeinsamer Produktion bietet. Diese erfasst drei Typen von Spezialisierungsvereinbarungen:
- Einseitige Spezialisierung: Eine Partei stellt die Produktion bestimmter Produkte ein und bezieht diese künftig von einem Konkurrenten, der sich zur Herstellung verpflichtet.
- Gegenseitige Spezialisierung: Zwei oder mehrere Unternehmen spezialisieren sich auf unterschiedliche Produkte und beziehen diese gegenseitig voneinander.
- Gemeinsame Produktion: Mehrere Unternehmen fertigen bestimmte Produkte gemeinsam.
Bei einseitigen und gegenseitigen Spezialisierungen ist nach der Spezialisierungs-GVO eine ausschließliche Liefer- und Bezugsverpflichtung erforderlich, um zu verhindern, dass ein Unternehmen sich vollständig aus einem nachgelagerten Markt zurückzieht.
Zudem greift die Freistellung nur, wenn der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen 20 % nicht überschreitet. Handelt es sich bei den Produkten um Zwischenprodukte, die intern für eine nachgelagerte Produktion verwendet werden, darf der Anteil der Parteien auch an dem für die nachgelagerten Produkte relevanten Markt 20% nicht übersteigen. Überschreitet der Marktanteil im Laufe der Zeit die Schwelle von 20%, bleibt aber unter 25%, gilt die Freistellung noch für die folgenden zwei Kalenderjahre; bei über 25% nur noch für ein Kalenderjahr.
Auch hier gilt: Vereinbarungen, die nicht den Vorgaben der Spezialisierungs-GVO entsprechen und den Wettbewerb einschränken, können nur über eine Einzelfreistellung nach Maßgabe des Art. 101 Abs. 3 AEUV vom Kartellverbot befreit werden.
Einkaufsvereinbarungen
Einkaufskooperationen betreffen Vereinbarungen über den gemeinsamen Einkauf von Waren oder die gemeinsame Beschaffung gewerblicher Leistungen. Unternehmen schließen solche Kooperationen häufig, um Nachfragemacht zu bündeln und dadurch bessere Konditionen bei Lieferanten zu erzielen.
Unter bestimmten Umständen können Einkaufskooperationen wettbewerbsrechtliche Bedenken auslösen, insbesondere wenn sie die Anreize für einen Preiswettbewerb auf den Verbrauchermärkten für die beteiligten Unternehmen deutlich reduzieren. Verfügen die Unternehmen auf den Verkaufsmärkten nicht über hinreichende Marktmacht, ist das Risiko kartellrechtlicher Bedenken gering.
Einkaufsvereinbarungen begründen im Regelfall keine kartellrechtlichen Bedenken, wenn die Parteien auf den betroffenen Einkaufs- und Verkaufsmärkten gemeinsame Marktanteile von nicht mehr als 15 % halten.
Vermarktungsvereinbarungen
Vermarktungsvereinbarungen liegen vor, wenn Unternehmen mit Wettbewerbern Absprachen über Verkauf, Vertrieb oder Verkaufsförderung ihrer austauschbaren Produkte treffen. Solche Vereinbarungen können wettbewerbsrechtlich problematisch sein, wenn sie etwa zu Preisfestsetzungen oder Beschränkungen der Produktionsmenge führen.
Grundsätzlich unterliegen Vermarktungsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern dem Kartellverbot, wenn dadurch Preisfestsetzungen, Beschränkungen der Produktionsmengen oder Aufteilung der relevanten Märkte drohen. Geht es nicht um solche bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen, sondern beispielsweise nur um ein gemeinsames Marketing, sind bei Unternehmen mit gemeinsamen Marktanteilen von nicht über 15 % keine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen zu erwarten oder es kommt jedenfalls eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV in Betracht.
Vereinbarungen über Normen und Standards
Vereinbarungen über Normen und Standards dienen dem Austausch und der Festlegung gemeinsamer technischer oder qualitätsbezogener Anforderungen in unterschiedlichen Bereichen. Dies betrifft insbesondere Anforderungen an Produkte, Herstellungsverfahren, Dienstleistungen und Methoden. Solche Vereinbarungen können positive wirtschaftliche Effekte entfalten, indem sie die Kompatibilität von Produkten fördern, Innovation erleichtern und Effizienzgewinne ermöglichen. Gleichwohl können sie unter bestimmten Umständen auch wettbewerbsrechtlich problematisch sein, insbesondere dann, wenn sie den Preiswettbewerb einschränken oder den Marktzugang für Dritte behindern.
Fazit: Bei Kooperationen zwischen Wettbewerbern ist immer Vorsicht geboten
Für die Geschäftsführung und leitenden Mitarbeiter eines Unternehmens ist es entscheidend zu wissen, in welchen Konstellationen eine kartellrechtliche Prüfung erforderlich ist. Grundsätzlich gilt: Bei jedem Kontakt oder jeder Kooperation mit Wettbewerbern muss geprüft werden, welche kartellrechtlichen Vorgaben gelten und ob diese eingehalten werden.
Bereits vor Aufnahme von Gesprächen oder Verhandlungen sollten die beteiligten Mitarbeiter geschult werden. Dabei ist klar zu vermitteln, welche Themen zulässig sind und welche Gesprächsinhalte zu vermeiden sind. Eine frühzeitige Sensibilisierung hilft, kartellrechtliche Risiken zu erkennen und Haftungsfallen zu vermeiden.
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