„Wettbewerbsfähigkeit“ ist eins der Schlüsselwörter des Koalitionsvertrags. Konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs- und Kartellrechts sind jedoch rar.
Die neue Koalition zwischen CDU/CSU und SPD beabsichtigt, wirtschaftliches Wachstum, Innovationskraft und Standortattraktivität zu fördern. Den Sektoren Energie, Medizinprodukte, Pharma, Telekommunikation und Verkehr (einschließlich Luftverkehr) misst die Koalition eine besonders hohe Bedeutung bei. Dabei will sie digitale und ökologische Transformationen regulatorisch begleiten. Kartellrechtliche Verfahren sollen effizienter und effektiver werden. Indes bleiben Details zur Umsetzung vage. Vieles wird sich erst im Laufe der Legislatur konkretisieren.
Beachtenswert sind aus unserer Sicht die folgenden Aspekte (dabei werden nachfolgend die außenwirtschaftsrechtlichen Gesichtspunkte des Koalitionsvertrags nicht behandelt):
Kartellrecht, Fusionskontrolle, Wettbewerbsfähigkeit
Im Kartellrecht will die neue Koalition klare Schwerpunkte auf Digitalisierung und Verfahrensbeschleunigung setzen, insbesondere die effektive Durchsetzung des Digital Market Acts. Zudem will die Koalition beim Bundeswirtschaftsministerium eine Expertenkommission „Wettbewerb und Künstliche Intelligenz“ etablieren, welche strategische Empfehlungen zur Regulierung und Förderung wettbewerbskonformer KI-Anwendungen entwickeln soll.
Ihren politischen Gestaltungswillen äußert die Koalition insbesondere im Bereich Fusionskontrolle. Hier sollen Aspekte der europäischen Souveränität und Sicherheit eine größere Rolle spielen. Wie und auf welcher gesetzlichen Grundlage das Bundeskartellamt das umsetzen soll, bleibt offen. Wenn das Bundeskartellamt bei der Prüfung, ob ein Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb erheblich behindert (§ 36 Abs. 1 GWB) Sicherheitsinteressen (wie zum Beispiel die Priorisierung europäischer Hersteller in der Beschaffungspolitik für strategische Sektoren) verstärkt berücksichtigt, droht eine Politisierung der Fusionskontrolle.
Die Koalition will das Medienwettbewerbsrecht stärker mit dem Medienkonzentrationsrecht verzahnen, um eine effektive Kontrolle von Fusionen zwischen Medienunternehmen und Betreibern medienrelevanter Infrastrukturen zu ermöglichen. Die Einführung einer wettbewerbsrechtlichen Bereichsausnahme soll die Zusammenarbeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie zwischen privaten Medienhäusern rechtlich erleichtern. Bislang unterlagen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs z.B. Absprachen der öffentlich-rechtlichen Sender dem Kartellvorbehalt. Ob eine laxere Anwendung des Kartellverbots auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt, erscheint fraglich.
Die Koalition plant eine gezielte Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Im Mittelpunkt stehen langfristige Auftragsvergabe, vereinfachter Kapitalzugang und der Aufbau resilienter Lieferketten, um die sicherheitspolitische Handlungsautonomie zu erhöhen. Auch will die Koalition Hemmnisse in Bezug auf zivilmilitärische Forschungskooperationen und Dual-Use-Forschung abbauen.
In zentralen Schlüsseltechnologien, wie im Bereich der Erneuerbaren Energien, will die Koalition Abhängigkeiten abbauen und die Resilienz inländischer Produktion stärken. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, will die Koalition die Energiekosten für Unternehmen und Verbraucher dauerhaft um mindestens fünf Cent pro kWh senken. Für energieintensive Unternehmen soll ein sog. Industriestrompreis für Entlastung sorgen. Die Dauer von Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen will die Koalition durch Bürokratieabbau verkürzen.
Für den Einzelhandel ist das Ziel ein „level playing field“ gegenüber Drittstaatenanbietern. Der Wettbewerb des Handels soll nicht durch Dumpingpreise aus Drittstaaten untergraben werden. Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern sollen EU-Standards einhalten. Bei Verstößen droht die Sperrung von Onlinehandelsplattformen.
Vergleich des Koalitionsvertrags 2021 mit dem aktuellen Koalitionsvertrag
Die Thematisierung des Kartellrechts in den jeweiligen Koalitionsverträgen offenbart deutliche Unterschiede zwischen der früheren Ampelkoalition und der aktuellen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Während die Digitalisierung, insbesondere die Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA), bereits im Jahr 2021 eine bedeutende Rolle spielte, stand das Kartellrecht unter der damaligen Regierung primär im Kontext von Innovation, Nachhaltigkeit, Verbraucherschutz und sozialer Gerechtigkeit. Ziel war es, die Befugnisse des Bundeskartellamts zu erweitern, um eine stärkere Durchsetzung des Verbraucherrechts sowie von Nachhaltigkeitsaspekten zu ermöglichen. Im Gegensatz dazu setzt die derzeitige Koalition andere Akzente. Der Fokus liegt auf der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der weitgehenden Rückkehr zu einem klassischen Verständnis des Kartellrechts als Instrument der Wettbewerbsregulierung. Im neuen Koalitionsvertrag wird die Novellierung des GWB nicht mehr thematisiert. Während in der vergangenen Legislaturperiode noch ambitionierte Reformen angestrebt und teilweise umgesetzt wurden, scheint eine weitere Novellierung des GWB in den aktuellen Verhandlungen keine Priorität gehabt zu haben. Auch die Erhöhung des Rechtsschutzes gegen das Ministererlaubnisverfahren scheint keine Rolle mehr zu spielen. Konstant geblieben ist hingegen der Einsatz gegen angeblich unfaire Preisstrategien im Einzelhandel.
Beihilferecht
Im Bereich des Beihilferechts beabsichtigt die Koalition, sich entsprechend dem Mission Letter an Kommissarin Ribera für schnellere und schlankere Beihilfeverfahren und den Abbau von Hürden einzusetzen und damit insgesamt eine Modernisierung des Beihilferechts voranzutreiben. Die Koalition strebt insbesondere eine Stärkung, Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren im Rahmen der Important Projects of Common European Interest (IPCEI) an. Dies steht auch im Einklang mit dem kürzlich von der Kommission angekündigten IPCEI Design Support Hub, der die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von IPCEI-Projekten unterstützen soll.
Die Koalition plant darüber hinaus, weiterhin umfangreiche Unterstützung in Form von Beihilfen zu gewähren. Dies betont der Koalitionsvertrag insbesondere für die Aspekte Energiepreise und Wasserstoff. Der Koalitionsvertrag sieht auch die Fortführung großer Förderprogramme wie z.B. der Klimaschutzverträge vor. Im Bereich des Wohnungsbaus fordert die Bundesregierung die Herausnahme des Wohnungsbaus aus dem EU-Beihilferecht.
Fazit: trotz deutlicher Ambitionen wenig konkrete Umsetzungsperspektiven
Die neue Koalition setzt erkennbare Prioritäten, insbesondere im Bereich der Digitalisierung, der Verfahrensbeschleunigung sowie der stärkeren Beachtung europäischer Souveränität und Sicherheit, besonders im Hinblick auf die aktuellen geopolitischen Spannungen. Allerdings bleibt die konkrete Umsetzung dieser Vorhaben schwer fassbar (Wie soll das Kartellrecht „effektiv und effizient“ durchgesetzt werden?). Die geäußerten Ambitionen lassen wichtige Fragen offen. Ihre tatsächliche Tragweite bleibt somit unklar, und es stellt sich die Frage, wie weit der ambitionierte Koalitionsvertrag über bloße Lippenbekenntnisse hinausgeht.
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