18. April 2024
#MeToo und Compliance

#MeToo: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und die potenzielle Strafbarkeit von „Catcalling“

Der Umgang mit #MeToo-Vorfällen kann Arbeitgeber vor Herausforderungen stellen – insbesondere in Fällen von ausschließlich verbalen Belästigungen.

Die korrekte rechtliche Einordnung und damit auch die Frage, welche rechtlichen Folgen es für den Arbeitgeber* haben kann, wenn im Unternehmen der Vorwurf einer im alltäglichen Sprachgebrauch so bezeichneten „sexuellen Belästigung“ erhoben wird, ist trotz – oder gerade wegen – umfangreicher gesetzgeberischer Reformbemühungen weiterhin mit einigen Unsicherheiten behaftet. Dies gilt insbesondere für Fälle ohne körperliche Berührung wie dem sog. „Catcalling“.

Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, inwieweit die rechtliche Einordnung von als sexuell belästigend empfundenen Verhaltensweisen am Arbeitsplatz für Arbeitgeber von Relevanz ist, welche dahingehenden praktischen Herausforderungen sich unter Berücksichtigung der Reformierung des Sexualstrafrechts durch den Gesetzgeber stellen und wie vor diesem Hintergrund insbesondere mit Formen von verbalen Belästigungen wie dem sog. „Catcalling“ umzugehen ist.  

Phänomen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz

Dass übergriffige, sexuell motivierte Äußerungen und andere nonverbale Formen sexueller Belästigung Frauen und Männern nicht nur im privaten Umfeld oder in der Öffentlichkeit, sondern auch am Arbeitsplatz begegnen, ist bereits lange bekannt. So gaben u.a. auch im Rahmen einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 die Hälfte der 1002 Befragten an, bereits eine gesetzlich verbotene sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt zu haben. In diesem Kontext fällt auch immer wieder der Begriff des sog. „Catcallings“, das umgangssprachlich als verbale sexuelle Belästigung eingeordnet werden könnte. Konkret fallen dabei unter Catcalling sexuell konnotierte Verhaltensweisen wie anzügliche Bemerkungen, Pfeif- oder Kussgeräusche oder auch obszöne Gesten. Anhand der Tatsache, dass in der genannten Umfrage aus dem Jahr 2015 speziell verbale Formen sexueller Belästigung von den Befragten am häufigsten erlebt wurden, wird die praktische Relevanz verbaler Formen sexueller Belästigung und somit auch des sog. Catcalling zweifellos deutlich.

Spätestens seitdem Unternehmen zur Unterhaltung von Whistleblower-Systemen verpflichtet sind, steht auch den von einer sexuellen Belästigung betroffenen Personen die Möglichkeit offen, durch die Erteilung entsprechender Hinweise das Pflichtenprogramm des Hinweisgeberschutzgesetzes auszulösen, womit das Unternehmen in aller Regel zu einer – wenigstens rudimentären – rechtlichen Prüfung und Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet wird.

Ungeachtet des Umstands, dass Unternehmen unter dem AGG ggf. bereits unterhalb der Strafbarkeitsschwelle zur Ergreifung von Aufklärungs- und Präventivmaßnahmen verpflichtet sein können, ist die für die Entscheidung über das weitere Vorgehen und insbesondere die unternehmensseitig zu ergreifenden Maßnahmen zunächst entscheidende Weichenstellung die Beantwortung der Frage, ob das betreffende Verhalten als strafrechtlich relevant einzuordnen ist oder nicht. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Unternehmen insbesondere bei strafrechtlich relevantem Verhalten entsprechende Ermittlungen anstoßen und begleiten muss. Dabei lässt sich die Frage nach dem Vorliegen eines strafrechtlich relevanten Verhaltens, speziell wenn es „lediglich“ um verbales Verhalten geht, jedoch nicht ohne Weiteres beantworten. 

Dies mag womöglich auch damit zusammenhängen, dass der Gesetzgeber zur Erhöhung des Schutzniveaus für die Opfer von Sexualstraftaten in den letzten Jahren umfangreiche Änderungen am Sexualstrafrecht vorgenommen hat. Denn die damit einhergehende Verschiebung und durch öffentliche Diskussionen begleitete Neujustierung der Strafbarkeitsschwelle hat gleichzeitig zu vielen neuen Unsicherheiten und Abgrenzungsfragen geführt, die die Handhabung des konkreten Einzelfalles nicht immer vereinfacht haben. Insbesondere in Situationen, in denen ambivalentes Verhalten Gegenstand der (unternehmensinternen oder staatlichen) Ermittlungen bildet, muss oft die Frage beantwortet werden, ab wann von den Betroffenen als belästigend empfundene Verhaltensformen tatsächliche die Schwelle zu strafrechtlich relevanten Belästigungshandlungen überschreiten. 

Reform des Sexualstrafrechts

Insbesondere um bestehende Schutzlücken für die Opfer von Sexualdelikten zu schließen, hat der Gesetzgeber das Sexualstrafrecht im November 2016 grundlegend reformiert und verschärft. Nicht zuletzt die Ereignisse der “Kölner Silvesternacht” 2015 wirkten in der öffentlichen Debatte dabei wie ein Treiber der Reformbestrebungen. Weiteren Anstoß für die Reformen stellte zudem die Umsetzung von Art. 36 der sog. Istanbul-Konvention aus dem Jahr 2011 dar, der die Strafbarkeit vorsätzlicher, nicht einverständlicher sexueller Handlungen fordert. Ziel des deutschen Reformgesetzgebers war es erklärtermaßen, dieser Konvention durch die Anpassungen im Sexualstrafrecht besser gerecht zu werden.

Änderungen ergeben sich damit insbesondere mit Blick auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Neben der Umgestaltung des § 177 StGB (Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) wurden im Zuge der Reform auch zwei Grundtatbestände neu eingeführt, namentlich der § 184i StGB (Sexuelle Belästigung) und der § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen). 

Anwendungsbereich des neuen §184i StGB (Sexuelle Belästigung)

Der im Zuge der vorgenommenen Reformen wohl wesentlichste Paradigmenwechsel besteht dabei in der Implementierung der „Nein-heißt-Nein-Lösung“, wodurch nach dem gesetzgeberischen Leitbild die Strafbarkeitsschwelle nicht mehr wie bisher grundsätzlich erst bei der Überwindung des Widerstandes des (Nötigungs-)Opfers überschritten wird, sondern es fortan auf den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers ankommt, unabhängig davon, ob dieses sich wehrt oder in einer schutzlosen Lage befindet.

Der Gesetzgeber kam den Forderungen nach einer Neujustierung des in den Strafvorschriften zum Ausdruck kommenden Unrechtsverständnisses dabei u.a. mit der Schaffung des neuen § 184i StGB nach. Der neue Tatbestand setzt eine körperliche Berührung des Opfers in sexuell bestimmter Weise voraus, durch die sich das Opfer sexuell belästigt fühlt. So erfasst der Tatbestand vor allem solche Berührungen, die typischerweise eine intimere Beziehung zwischen den Beteiligten voraussetzen, beispielsweise ein Kuss auf den Mund oder ein Streicheln der Innenseite des Oberschenkels. Nicht vom Tatbestand erfasst sind (auch nach der Reform) kontaktlose sexuelle Handlungen wie etwa das „Catcalling“. 

Jedoch bestehen auch bei der Anwendung der durch die Strafrechtsreform von 2016 geschaffenen Normen zum Teil erhebliche Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten. Dies beginnt schon mit der Auslegung des Merkmals „in sexuell bestimmter Weise“. Aus dem Wortlaut geht nicht eindeutig hervor, ob dieser Begriff rein objektiv oder aus Sicht des Täters oder Opfers zu verstehen ist oder ob es sich um eine Mischung beider Varianten handelt. Mag diese Frage bei eindeutig sexuell konnotierten Handlungen noch leicht zu beantworten sein, ergeben sich gerade bei äußerlich ambivalenten Berührungen, wie etwa dem im Regierungsentwurf herangezogenen Kuss auf die Wange, entsprechende Unklarheiten. Ob ein solch ambivalentes Verhalten, das auch außerhalb intimer Beziehungen üblich bzw. sozialadäquat sein kann, als straflose „Ungehörigkeit“ oder als strafbare sexuelle Belästigung zu bewerten ist, kann je nach dem, ob man ein subjektives oder objektives Verständnis zugrunde legt, durchaus unterschiedlich bewertet werden.

Praktische Unsicherheiten ergeben sich ebenfalls mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der (sexuellen) Belästigung. So kommt es nach überwiegender Auffassung vor allem darauf an, dass bei dem Opfer ein Gefühl der subjektiven Belästigung hervorgerufen wird. Dabei reicht in der Praxis bereits die plausible Darlegung einer zu der subjektiven Empfindung hinzutretenden Berührung in sexueller Weise aus, um den Anfangsverdacht einer Straftat zu begründen. Eine überwiegende Zahl der Fälle, in denen von der hinweisgebenden Person bzw. dem Anzeigeerstatter eine körperliche Berührung angezeigt wird, dürfte daher den Voraussetzungen genügen, die zur Einleitung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens führen oder das Unternehmen zur Vornahme einer internen Sachverhaltsaufklärung verpflichten. 

Nicht zuletzt die beschriebenen Unsicherheiten in der Auslegung des Tatbestands sowie die besonderen Schwierigkeiten, die bei der Ermittlung insbesondere subjektiver Tatbestandskomponenten auftreten, dürften aber auf der anderen Seite zumindest bei der Beurteilung ambivalenter Situationen oft dazu führen, dass in vielen der angezeigten Fälle letztlich kein Tatnachweis zu führen ist.  

Hierdurch droht letztlich die für alle Beteiligten unbefriedigende Situation, dass das Unternehmen zwar zur Ergreifung kosten- und ressourcenintensiver Ermittlungen angehalten ist, diese aber aufgrund der fehlenden Beweisbarkeit zu keinen eindeutigen Ergebnissen führen.  

Und was gilt bei Fällen ohne körperliche Berührung? 

Hinzu kommt, dass gerade ein sehr häufig auftretendes und als belästigend empfundenes Phänomen trotz der öffentlichkeitswirksam betriebenen Gesetzesverschärfungen gerade nicht von den neuen Strafbarkeitsregeln erfasst ist: das sog. „Catcalling“. 

Denn es bleibt auch nach den geschilderten Reformen dabei, dass das deutsche Strafrecht (noch) keinen eigenständigen Straftatbestand des „Catcallings“ kennt. Daraus folgt zwar nicht zwangsläufig, dass jede Form der rein verbalen sexuellen Belästigung straffrei gestellt wäre. Da eine Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung als sog. „Hands-on-Delikt“ eine körperliche Berührung des Opfers voraussetzt (s.o.), verbleibt bei rein verbalen Ausfälligkeiten aber nach aktueller Rechtslage allenfalls eine Strafbarkeit wegen Beleidigung gem. § 185 StGB

Hier ist jedoch zu beachten, dass die Beleidigung ein Straftatbestand zum Schutz der persönlichen Ehre ist. Daher können sexuell unerwünschte Bemerkungen allenfalls dann eine strafbare Beleidigung darstellen, wenn der Äußerung zugleich ehrverletzender Charakter zukommt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt im Zusammenhang mit der Vornahme sexuell motivierter Äußerungen ein Angriff auf die Ehre nur vor, wenn der Täter damit zum Ausdruck bringt, der oder die Betroffene weise einen seine Ehre mindernden Mangel auf (BGH, Beschluss v. 12. November 2017 – 2 StR 415/17). Allein die sexuelle Motivation der Aussage begründet danach für sich genommen die Strafbarkeit noch nicht. Somit sind – nach wie vor – Äußerungen, die zwar einen sexuellen Bezug aufweisen, die betroffene Person jedoch nicht herabwürdigen, sondern – wenn auch unwillkommen – positiv kennzeichnen, nicht strafbar.  

Ungeachtet rechtlicher Unsicherheiten im Einzelfall: Aufklärungs- und Präventionsarbeit auf Arbeitgeberseite geboten

Insgesamt bewegt sich das Sexualstrafrecht in einem fortwährenden Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite entwickelte sich in den letzten Jahren ein immer stärker werdendes gesellschaftliches Bedürfnis nach einem verbesserten Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Diese Entwicklung wird zugleich von einem unternehmensseitig stetigen Anstieg an Compliance-Pflichten flankiert. Ein außerordentlich häufig vorkommendes, umgangssprachlich als „sexuelle Belästigung“ bezeichnetes Phänomen steht dabei, obwohl der Straftatbestand des § 184i StGB selbst die Überschrift „Sexuelle Belästigung“ trägt, trotz der erfolgten Verschärfungen gerade nicht unter Strafe. Die Fälle, in denen Betroffene über neu eingerichtete Meldewege zwar subjektiv als Belästigung empfundene Vorfälle melden, bei denen aber entweder aufgrund mangelnder Beweislage oder aufgrund eines Missverständnisses bezüglich des juristischen Bedeutungsgehaltes des Begriffs einer „sexuellen Belästigung“ am Ende letztlich keine Feststellung von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten steht, dürften sich in Zukunft häufen.

Umso wichtiger ist es für Unternehmen, durch Aufklärungs- und Präventionsarbeit auf der „Täterseite“ für die nötige Sensibilisierung zu sorgen und auf die steigende auch strafrechtliche Relevanz von belästigenden Verhaltensweisen hinzuweisen, die vor wenigen Jahren nicht geeignet gewesen wären, einen strafrechtlichen Anfangsverdacht zu begründen. Darüber hinaus sollten etwaige „Opfer“ potenzieller Belästigungen auch vonseiten der Unternehmen ermutigt werden, die erlebten Vorfälle zu melden und so eine entsprechende Aufklärung sowie Ahndung zu ermöglichen, wenngleich dabei insbesondere Fälle des sog. „Catcallings“ oder beispielsweise auch Situationen, bei denen es womöglich zu ungewollten körperlichen Berührungen kam, nicht „automatisch“ zu einer Bestrafung der verdächtigten „Täter“ führen müssen.  

In unserer CMS-Blogserie informieren wir Sie mit Beiträgen über das Phänomen #MeToo im Kontext der Compliance-Beratung.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: #MeToo und Compliance Catcalling sexuelle Belästigung