4. April 2024
MeToo Ermittlungspflicht
#MeToo und Compliance

#MeToo: Ermittlungspflicht des Arbeitgebers

#MeToo-Vorfälle am Arbeitsplatz sind keine Privatsache: Arbeitgeber sind zur Aufklärung verpflichtet.

Seit der medialen Verbreitung der #MeToo-Bewegung im Oktober 2017 steigen die Beschwerden über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. So stehen nach Berichten von Compliance-Beauftragten mittlerweile 70 Prozent aller unternehmensinternen Meldungen im Zusammenhang mit #MeToo. Unternehmen stehen hier oft vor einer Reihe von Herausforderungen: Ist bereits jedem Hinweis nachzugehen? Was ist, wenn der Hinweis nur dazu missbraucht wird, um dem vermeintlichen Täter* zu schaden? Handelt es sich bei den meisten #MeToo-Vorwürfen nicht eher um eine reine Privatangelegenheit?

Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, welche Pflichten den Arbeitgeber bei Aufkommen eines #MeToo-Hinweises treffen und insbesondere, ab wann zu handeln ist.

#MeToo regelmäßig vom AGG erfasst

#MeToo steht für viele Formen sexueller Belästigung. Darunter fallen nicht nur körperliche Übergriffe, sondern auch andere sexuelle Belästigungen, die verbal oder non-verbal erfolgen. Dies können beispielsweise sexuell anzügliche Witze, aufdringliches Anstarren oder Hinterherpfeifen, sexuelle Anspielungen (z.B. Fragen mit sexuellem Inhalt zum Privatleben), unangemessene körperliche Berührungen (z.B. Tätscheln, Streicheln, Umarmungen) oder wiederholte körperliche Annäherung bei Überschreitung der üblichen körperlichen Distanz (ca. eine Armlänge) sein. Während die körperliche sexuelle Belästigung nach § 184i StGB strafbar ist, stellt sich bei einer Belästigung ohne körperlichen Kontakt häufig die Frage der rechtlichen Einordnung.

Erfolgt die sexuelle Belästigung – sei es körperlich, verbal oder non-verbal – im Bereich der Arbeitswelt, liegt regelmäßig eine relevante Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vor. Dieses verbietet in § 3 Abs. 4 AGG ausdrücklich die sexuelle Belästigung. Im Gegensatz zum Strafgesetzbuch ist der Anwendungsbereich des AGG sehr weit gefasst. Erfasst wird jedes beleidigende, erniedrigende oder beschämende sexualisierte oder geschlechtsbezogene Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt. Dabei reicht es aus, dass das Opfer das Verhalten als unerwünschte Würdeverletzung empfindet. Es kommt nicht darauf an, ob dies vom Täter auch beabsichtigt war. Ebenso ist es nicht erforderlich, dass das Verhalten vom Opfer abgelehnt oder zurückgewiesen wird.

Natürlich fällt nicht jeder Flirt bereits unter die verbotenen Verhaltensweisen des AGG. Wichtigstes Abgrenzungskriterium ist immer das Vorliegen eines beiderseitigen Einverständnisses. Allerdings gilt auch hier wie in vielen Rechtsbereichen: Schweigen ist kein Einverständnis.

Ermittlungspflicht bei Verdacht auf sexuelle Belästigung

Wird über die gesetzlich vorgeschriebene AGG-Beschwerdestelle eine Meldung über eine sexuelle Belästigung abgegeben, ist der Arbeitgeber nach § 13 Abs. 1 S. 2 AGG zur Überprüfung verpflichtet.

Aber auch außerhalb dieses Beschwerdeweges gilt: Erlangt der Arbeitgeber Kenntnis von einem Verdacht auf sexuelle Belästigung eines Beschäftigten im Arbeitsumfeld, darf er nicht untätig bleiben. Das AGG verpflichtet den Arbeitgeber vielmehr dazu, dem Verdacht nachzugehen. Hintergrund ist folgender: Im Arbeitskontext besteht die Besonderheit, dass die betroffene Person dem Belästiger regelmäßig nicht ausweichen kann, ohne die dem Arbeitgeber geschuldete Arbeitsleistung zu vernachlässigen. In der Folge trifft den Arbeitgeber eine aus der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht abgeleitete Schutzpflicht gegenüber seinen Beschäftigten. Bei Verdacht auf sexuelle Belästigung ist dieser daher zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Ihre gesetzliche Grundlage findet diese Ermittlungspflicht in § 12 Abs. 1 AGG:

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen.

Compliance erfordert interne Untersuchung

Auch unabhängig von der gesetzlichen Verpflichtung liegt die Durchführung einer internen Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts regelmäßig im Interesse des Unternehmens und sollte daher ernst genommen werden:

  • #MeToo hat gezeigt, dass entsprechende Sachverhalte schnell an die Öffentlichkeit gelangen können – insbesondere dann, wenn die Betroffenen das Gefühl haben, nicht gehört zu werden. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die Reputation innerhalb und außerhalb des Unternehmens haben. Für daraus resultierende Schäden kann das Management haftbar gemacht werden, wenn erfolgversprechende Maßnahmen zumindest fahrlässig unterlassen wurden.
  • Ist der Vorwurf zudem erst einmal verbreitet, gerät der vermeintliche Täter schnell ins Kreuzfeuer – unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. In diesem Fall wird es für den Arbeitgeber sehr schwierig, den Verdächtigen vor einer Vorverurteilung zu schützen, wozu er aber aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht ebenfalls verpflichtet ist.

Unabhängig von dem Vorgesagten ist die Aufklärung eines Verdachts auf sexuelle Belästigung aber auch zur Wahrung der Compliance-Kultur zwingend erforderlich. Die strukturierte Aufklärung und Beseitigung von Compliance-Verstößen ist wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden Compliance-Management-Systems. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Verstoß unmittelbar zum Nachteil des Unternehmens selbst oder „nur“ zum Nachteil eines Beschäftigten ausgewirkt hat. Mit der Aufklärung von Verdachtsfällen bekräftigt der Arbeitgeber sein Bekenntnis zu den selbst gesetzten ethischen Werten und Prinzipien und macht deutlich, dass sexuelle Belästigung nicht geduldet und toleriert wird. Regelmäßig enthält auch der unternehmensinterne Code of Conduct Regelungen zur sexuellen Belästigung oder zumindest zum respektvollen Umgang miteinander. Damit wird jeder #MeToo-Vorfall im beruflichen Umfeld zur Angelegenheit des Arbeitgebers. Wegschauen mit dem Argument, es handele sich doch um eine reine Privatsache, ist hier fehl am Platz. Vielmehr ist der Arbeitgeber zwangsläufig dazu verpflichtet, entsprechenden Verstößen nachzugehen, sie aufzuklären und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen der Beschäftigten in die Integrität des Unternehmens, sondern unterstreicht auch die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit des Compliance-Management-Systems. Langfristig wird sich dies zudem in einem Rückgang weiterer Compliance-Verstöße niederschlagen.

Wann beginnt die Ermittlungspflicht?

In der Praxis stellt sich häufig die Frage, wann die Ermittlungspflicht beginnt. Genügt bereits ein Gerücht oder bedarf es konkreter Anhaltspunkte? Bei der Beantwortung dieser Frage sind zwei Aspekte zu berücksichtigen:

  • Opfer einer sexuellen Belästigung haben nach § 15 AGG einen Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz gegen den Arbeitgeber. Nach überwiegender Auffassung ist der Anspruch wegen Europarechtswidrigkeit verschuldensunabhängig, entsteht also auch dann, wenn der Arbeitgeber von der sexuellen Belästigung keine Kenntnis hatte. Damit wird implizit ein Anreiz für den Arbeitgeber geschaffen, jedem Verdacht nachzugehen und damit Schadensersatzansprüchen entgegenzuwirken.
  • Gleichzeitig dürfen jedoch die datenschutzrechtlichen Vorgaben sowie die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht außer Acht gelassen werden. Diese verbieten dem Arbeitgeber die Durchführung interner Ermittlungen „ins Blaue hinein“. Nicht zu vergessen ist auch das erhebliche Missbrauchspotential von #MeToo-Gerüchten, weshalb in diesem Zusammenhang besondere Sensibilität und Vertraulichkeit geboten ist.

In der Zusammenschau ist Unternehmen zu raten, aufkommende Gerüchte über sexuelle Belästigung in einem ersten Schritt so weit wie möglich auf Plausibilität zu prüfen. Reichen die Informationen hierfür nicht aus, sollte in jedem Fall überprüft werden, ob ausreichende präventive Maßnahmen umgesetzt wurden. Hierzu zählt u. a. die Einrichtung eines Hinweisgebersystems und/oder der AGG-Beschwerdestelle. Über diese Kanäle können weitere Informationen gemeldet werden, die eine Bewertung des Gerüchts ermöglichen. Dabei empfiehlt es sich, die Nutzung des Hinweisgebersystems auf freiwilliger Basis auch auf die Meldung von nicht strafrechtlich relevanten #MeToo-Fällen auszuweiten, um zu verhindern, dass Gerüchte außerhalb dieser Meldesysteme kursieren. Darüber hinaus sollte darauf geachtet werden, dass diese Meldekanäle den Beschäftigten hinreichend bekannt sind. Bestehen diesbezüglich Zweifel, bietet sich eine erneute Kommunikation an, verbunden mit der Ermutigung, die Meldekanäle bei Vorfällen zu nutzen. Eine interne Untersuchung sollte hingegen erst dann eingeleitet werden, wenn sich das Gerücht aufgrund konkreter und objektiver Tatsachen so verdichtet hat, dass von einem ernstzunehmenden Verdacht auszugehen ist.

Ermittlungspflicht von Reaktionspflicht zu unterscheiden

Der Arbeitgeber ist also bereits bei Vorliegen eines konkreten Verdachts verpflichtet zu prüfen, ob tatsächlich eine sexuelle Belästigung vorliegt. Davon zu unterscheiden ist die in § 12 Abs. 3 AGG verankerte Reaktionspflicht des Arbeitgebers:

Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

Der Arbeitgeber muss demnach erst dann Maßnahmen zur Unterbindung ergreifen, wenn feststeht, dass die sexuelle Belästigung tatsächlich stattgefunden hat.

In unserer CMS-Blogserie informieren wir Sie mit Beiträgen über das Phänomen #MeToo im Kontext der Compliance-Beratung.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitgeber Compliance Ermittlungspflicht MeToo