6. Mai 2024
MeToo repressive Maßnahmen sexuelle Belästigung
#MeToo und Compliance

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Welche repressiven Maßnahmen dürfen Arbeitgeber ergreifen?

„Das war doch nur ein dummer Spruch“ - Was tun, wenn das Miteinander am Arbeitsplatz durch sexuelle Belästigung gestört wird? Ein Leitfaden für Arbeitgeber.

Zusammenarbeit, Austausch und gegenseitiger Respekt sollten die Grundpfeiler einer modernen Arbeitsumgebung sein. Trotz der verstärkten öffentlichen Sensibilisierung für das Thema, insbesondere durch die #MeToo-Debatte, kommt es leider auch in diesem Umfeld immer noch häufig zu sexuellen Belästigungen.

Laut einer globalen Studie der International Labour Organization zu Gewalt- und Belästigungserfahrungen am Arbeitsplatz aus dem Jahr 2022 hat einer von 15 Erwerbstätigen bzw. etwa 205 Millionen Personen sexuelle Gewalt und Belästigung in ihrem Arbeitsleben erfahren. Von diesen haben mehr als zwei Drittel diese Vorfälle innerhalb der letzten fünf Jahre erlebt.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellte in ihrer Studie aus dem Jahr 2019 „Strategien im Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention“ fest, dass jede elfte erwerbstätige Person (neun Prozent der Befragten*) in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt hat. Frauen waren mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Werden Arbeitgeber mit solchen Situationen konfrontiert, ist erforderlich, dass die Verantwortlichen wissen, wie sie angemessen und effektiv reagieren.

Prävention

Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle aus dem Jahr 2015 legt nahe, dass Aufklärung zur Prävention sexueller Belästigung essenziell ist. Eine durchgeführte Befragung ergab, dass viele Formen von sexueller Belästigung von nur rund zwei Dritteln der Befragten als solche verstanden wurde. Erst recht, wenn #MeToo-Fälle im Unternehmen bekannt werden, sollten grundsätzlich Präventionsmaßnahmen in Betracht gezogen werden. Durch präventive Aktivität des Arbeitgebers wird das Signal gesendet, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert wird, die Mitarbeitenden geschützt werden und über das Thema aufgeklärt werden soll. Geeignete Präventionsmaßnahmen sind insbesondere Schulungen, aber auch Aushänge und Betriebsvereinbarungen.

Interne Untersuchungen durchführen

Bringen Mitarbeitende die Anschuldigung vor, es sei zu einer sexuellen Belästigung gekommen, muss der Vorfall aufgeklärt werden. Für den Arbeitgeber besteht eine Ermittlungspflicht. Insbesondere ist es wichtig, beide Perspektiven zu untersuchen, also auch entlastende Umstände zu ermitteln. Dazu sollten Gespräche mit den betroffenen Mitarbeitenden geführt, Zeugen befragt und alle relevanten Beweise gesammelt werden. Eine transparente und professionelle Untersuchung ist entscheidend, um gerechte Maßnahmen zu ergreifen und das Vertrauen der Mitarbeiter zu wahren. 

Bei der möglichst genauen Ermittlung des Vorfalls haben die Verantwortlichen eine Doppelrolle inne: Auf der einen Seite sind sie dem Schutz der von sexueller Belästigung betroffenen Mitarbeitenden verpflichtet. Auf der anderen Seite müssen etwaige Sanktionen gegenüber den tatsächlich belästigenden Mitarbeitenden auch verhältnismäßig sein und das Thema ist vertraulich zu behandeln. Insbesondere in komplexen Fällen bietet es sich an, externe Hilfe zur Aufklärung in Anspruch zu nehmen. Das hat den Vorteil, dass externe Experten häufig mit einem objektiven Blick auf die Angelegenheit schauen können, sie sind nicht durch interne Dynamiken oder persönliche Beziehungen beeinflusst.

Disziplinarische Maßnahmen 

Ist der Sachverhalt aufgeklärt und hat sich ergeben, dass ein Vorfall sexueller Belästigung stattgefunden hat, muss der Arbeitgeber entscheiden, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Je nach Schwere des ermittelten Sachverhalts können verschiedene Maßnahmen erforderlich sein. Diese können von einer mündlichen Ermahnung über eine schriftliche Abmahnung bis hin zu Versetzungen oder sogar Kündigungen reichen.

Ermahnung oder Abmahnung

Bei erstmaligen Vorfällen geringer Intensität kann eine Ermahnung ausgesprochen werden. Eine Ermahnung ist eine Rüge ohne Kündigungsandrohung. Sie ist als mildestes Mittel beispielsweise sinnvoll, wenn sich der belästigende Mitarbeitende zweideutig verhalten hat, das Verhalten also nach vollständiger Aufklärung und Überzeugung des Arbeitgebers tatsächlich nicht gewollt war, aber als Belästigung bewertet werden kann.

Die Abmahnung dagegen hat insbesondere eine Warnfunktion und soll künftigen Pflichtverletzungen vorbeugen. Durch die Abmahnung wird dem belästigenden Mitarbeitenden angedroht, dass ihm bei zukünftigen gleichgelagerten Fällen weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung drohen. Außerdem soll ihr im Rahmen der Hinweis- und Rügefunktion vor Augen geführt werden, dass das vorgefallene Verhalten aus Sicht des Arbeitgebers eine nicht hinnehmbare Pflichtverletzung darstellt. Aus diesem Grund ist es wichtig, das Verhalten ganz genau zu beschreiben. Im Rahmen der Dokumentationsfunktion hält eine (immer zu empfehlende) schriftliche Abmahnung fest, dass der belästigende Mitarbeitende auf drohende Folgen im Wiederholungsfall hingewiesen worden ist. Sie ebnet so den Weg für eine spätere Kündigung, sollte so etwas nochmal vorkommen.

Versetzung 

Ist eine Abmahnung nicht ausreichend, um auf das Verhalten zu reagieren, aber eine Kündigung erwiese sich als unwirksam, ist der belästigende Mitarbeitende zu versetzen. Diese Pflicht ergibt sich aus § 12 Abs. 3 AGG. Eine Versetzung sichert den Schutz der betroffenen Person und sendet das Signal in den Betrieb, dass belästigendes Verhalten nicht toleriert wird.

Hat der belästigende Mitarbeitende die Schwelle des Hinnehmbaren überschritten und ist das Vertrauensverhältnis dadurch zerstört, kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen

Insbesondere in Wiederholungsfällen oder bei Dauertatbeständen kommt eine Kündigung in Betracht. Sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz sind häufig keine einmaligen Vorfälle. Die Auswertungen zur Anzahl belästigender Handlungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in ihrer Studie „Strategien im Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention“ zeigt, dass die große Mehrheit der Betroffenen (83 Prozent) mehr als eine Situation im Zeitraum der letzten drei Jahre erlebt hat: knapp ein Drittel der Betroffenen (31 Prozent) waren mit zwei bis drei Situationen konfrontiert worden, zusammengenommen 39 Prozent mit vier bis zehn Situationen und weitere zwölf Prozent mit mehr als zehn Situationen in den letzten drei Jahren.

Auch außerordentliche Kündigungen sind denkbar

Eine außerordentliche Kündigung ist nur möglich, wenn das Verhalten an sich sowie auch im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände einen wichtigen Grund darstellt. Auch die Interessenabwägung muss zu Lasten des zu kündigenden Arbeitnehmers ausfallen. Eine wirksame außerordentliche Kündigung setzt voraus, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch das Verhalten nachhaltig so gestört sein, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. 

Bei der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung, hat der Arbeitgeber die zweiwöchige Kündigungsfrist zu beachten, die mit Kenntnis des der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalts beginnt. Dabei sind etwaige Verzögerungen einzukalkulieren, die durch Anhörungen von Gremien entstehen können. Der Arbeitgeber darf aber durchaus ermitteln und das auch länger als zwei Wochen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist.

Verdachtskündigung, wenn keine vollständige Aufklärung möglich ist

Für eine Tatkündigung sollte der Arbeitgeber sich entscheiden, wenn nach seiner Überzeugung feststeht, dass das strafbare Verhalten bzw. die schwerwiegende Pflichtverletzung durch den belästigenden Mitarbeitenden tatsächlich stattgefunden hat. Eine Aufklärung des Vorfalls durch eine Anhörung des belästigenden Mitarbeitenden ist in diesen Fällen rechtlich nicht erforderlich.

Sollte sich der Arbeitgeber allerdings nicht vollständig sicher sein, dass eine sexuelle Belästigung stattgefunden hat, kann auch eine Verdachtskündigung in Betracht kommen. Hier liegt der Kündigungsgrund im dringenden Verdacht der Begehung einer Straftat oder einer schwerwiegenden Pflichtverletzung. Für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist die vorherige Anhörung des zu kündigenden Mitarbeitenden zu dem Verdacht zwingend erforderlich. Der Arbeitgeber muss nämlich alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen.

Dabei ist zu beachten, dass bei einer Tat und einer Verdachtskündigung unterschiedliche Kündigungsgründe vorliegen, sodass etwaige Anhörungs- und Zustimmungserfordernisse für den jeweiligen Grund – ggf. für beide Gründe – erfüllt werden müssen.

Entscheidet sich der Arbeitgeber für die Kündigung, sollte der belästigende Mitarbeitende freigestellt werden

In der Beratungspraxis hat sich gezeigt, dass sich eine sofortige Freistellung nach dem Gespräch mit dem belästigenden Mitarbeitenden anbietet. So wird die Situation im Betrieb entschärft, der betroffene Mitarbeitende geschützt und die Gemüter können sich beruhigen. Außerdem sendet der Arbeitgeber dadurch auch langfristig das Signal der Null-Toleranz-Politik an die Belegschaft.

In unserer CMS-Blogserie informieren wir Sie mit Beiträgen über das Phänomen #MeToo im Kontext der Compliance-Beratung.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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