Alert! Alert! Eine Meldung im Hinweisgebersystem ist eingetroffen. Wir zeigen, welche (arbeitsrechtlichen) Maßnahmen sofort zu ergreifen sind!
Meldungen in Hinweisgebersystemen können Einzelfälle betreffen, aber auch komplexere Schadensachverhalte, deren wirtschaftliche Dimensionen erst nach und nach sichtbar werden. Generell gilt: Wenn eine Meldung eingeht, ist zügiges Handeln geboten.
Je schneller ein Team, das aus versierten internen und ggf. externen Ansprechpartnern* formiert ist, desto geringer ist das Risiko, dass taktisch unkluge Ermittlungswege gewählt oder Gefahren falsch eingeschätzt werden. Es geht darum, den Überblick zu behalten, vernetzt zu arbeiten und die Unternehmensinteressen zu wahren.
Erfahrungsgemäß stellen sich sofort eine Reihe von Fragen: Welche Sicherungsmaßnahmen sind als Erstes zu ergreifen? Muss das Unternehmen aufklären? Müssen bzw. sollten Strafanzeigen gestellt werden? Welche Fristen bestehen arbeitsrechtlich?
In der Regel muss noch keine Strafanzeige gestellt werden
Dass Unternehmen jedenfalls bei nicht offensichtlich völlig vagen Hinweisen verpflichtet sind, diesen nachzugehen, ergibt sich schon aus dem Sinn und Zweck des Hinweisgebersystems selbst sowie aus der Legalitätspflicht der Unternehmensleitung. Die Erfahrung zeigt, dass dabei gerade die Phase unmittelbar nach den ersten Anzeichen für einen möglichen Compliance-Vorfall von großer Bedeutung ist. Häufig werden hier bereits die entscheidenden Weichen für den Erfolg der weiteren Ermittlungen gestellt.
Selbst wenn eine mögliche strafrechtliche Relevanz des angezeigten Vorfalles im Raum steht, liegt im Regelfall dennoch (zunächst) keine Rechtspflicht des Unternehmens zur Strafanzeige als Ad-hoc-Maßnahme vor. Denn die Nichtanzeige einer möglichen Straftat stellt keine Strafvereitelung durch Unterlassen i.S.d. § 258 StGB dar. Die hierfür rechtlich erforderliche Garantenstellung der Unternehmensführung wird im Normalfall nicht gegeben sein. Auch aus § 130 OWiG folgt keine Pflicht der Unternehmensführung, eine zur Kenntnis gelangte Rechtsverletzung bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. § 130 OWiG räumt der Unternehmensführung vielmehr ein weites Ermessen bei der Wahl des zweckmäßigen Vorgehens ein. Hierzu können – statt der Einschaltung der staatlichen Strafverfolgungsbehörden – auch interne Ermittlungen im Unternehmen gehören.
Welche Vorgehensweise im Einzelfall empfehlenswert ist, hängt darüber hinaus von den Umständen ab. Ermittelt die Staatsanwaltschaft bereits? Ist unklar, ob neben dem verdächtigten Mitarbeiter andere beteiligt sind? Hat eine eigene Strafanzeige ggf. Vorteile für die Kommunikation gegenüber Stakeholdern oder der Öffentlichkeit? Erfolgen künftige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft voraussichtlich „geordnet“ oder bergen sie Risiken wie z.B. Unruhe innerhalb der Belegschaft oder bei Geschäftspartnern?
Schutz des operativen Geschäfts durch gute Kommunikation
Aus Sicht des Unternehmens von überragender Bedeutung ist es, dass das operative Geschäft so wenig wie möglich beeinträchtigt wird. Ob mit einem involvierten externen Vertragspartner weitergearbeitet werden kann, muss schon unter diesem Gesichtspunkt so schnell wie möglich geklärt werden. Müssen laufende Verträge unverzüglich beendet, bestehende Vertragsbeziehungen abgewickelt werden? Welche Diktion und welche Verhandlungsergebnisse führen zum aus Unternehmenssicht notwendigen Ergebnis, ohne negative Folgewirkungen für etwaige Schadenersatzprozesse zu entfalten?
Wichtig ist auch, dass Verunsicherungen unter den Arbeitnehmern verhindert bzw. zumindest schnellstmöglich ausgeräumt werden.
Vor diesem Hintergrund sollten die Ad-hoc-Maßnahmen außerdem von Beginn an mit einer richtigen Kommunikationsstrategie nach innen wie nach außen verbunden werden. Natürlich sollte grds. so lange wie möglich Vertraulichkeit über eingeleitete interne Ermittlungen gewahrt werden. Spätestens mit dem Beginn von Mitarbeiter-Interviews oder -Freistellungen lässt sich die „Gerüchteküche“ im Unternehmen aber nicht mehr verhindern. Um dem Einhalt zu gebieten, sollten erste Informationen zwar erteilt werden, diese sind aber kurz, wahr und fundiert zu halten, sodass spätere Berichtigungen des Sachverhalts – welche die Glaubwürdigkeit beeinträchtigen könnten – abgewendet werden können. Abhängig von der Dimension und der vermuteten Eintrittswahrscheinlichkeit des angezeigten Compliance-Vorfalls ist auch in Betracht zu ziehen, die Unternehmenskommunikation schnell durch eine professionelle Kommunikationsberatung begleiten oder durchführen zu lassen.
(Beweis-)Sicherungsmaßnahmen – von der Inverschlussnahme geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen bis zur Abkoppelung vom IT-System
Neben der Einleitung der im Einzelfall angemessenen und erforderlichen Ermittlungsschritte, der Sichtung von Unterlagen, Vorbereitung des E-Scans, Einbindung der Betriebsräte u.v.m. ist aus Sicht des betroffenen Unternehmens die Sicherung von möglichen Beweisen, Gegenständen etc. erforderlich. Ggf. muss ein Hausverbot erteilt werden. Geheimhaltungsbedürftige Unterlagen z.B. müssen sofort unter Verschluss genommen werden, schon um deren weitere Verbreitung zu verhindern. Es müssen geeignete Schritte unternommen werden, um die Gefahr der Anfertigung von Duplikaten nach Möglichkeit zu unterbinden, und zwar sowohl faktisch als auch in technischer und rechtlicher Hinsicht. Je nachdem wie konkret die Hinweise sich auf einzelne Personen beziehen und wie schlüssig die Meldung erscheint, kann es notwendig sein, die „beschuldigten Personen“ unverzüglich vom Zugriff auf Dokumente und dem IT-System zu trennen.
Ggf. müssen Mitarbeiter in die Ermittlungen einbezogen werden. Dabei stellt sich die Frage der Wahrung der Vertraulichkeit. Erschwerend hinzu kommen kann, dass sensible Unternehmensbereiche betroffen sind. Dies kann bspw. der Fall sein, wenn die Hinweise auf einen IT-Mitarbeiter mit weitreichenden Administratorbefugnissen deuten und aufgrund dessen neben Beweisvernichtung auch Manipulationen am IT-System des Unternehmens zu befürchten stehen.
Insbesondere – aber nicht nur – in diesem Spezialfall bietet es sich als Ad-hoc-Maßnahme an, frühzeitig externe IT-Dienstleister einzuschalten, um auch diesbezüglich die notwendige Kompetenz zu gewährleisten und das Risiko eines „Blackouts“ der IT-Systeme aufzufangen.
Ausspruch von außerordentlichen Kündigungen erst nach Ermittlungsabschluss
Aus arbeitsrechtlicher Sicht wichtig ist zudem der versierte Umgang mit verdächtigen Mitarbeitern, die – ggf. auf Anraten ihrer Anwälte –„Ausweichmanöver“ betreiben, bspw. indem sie einer beabsichtigten Anhörung zur Verdachtskündigung fernbleiben. Dann geht es auch darum, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, wann fristlos zu kündigen ist. Für den Beginn der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB genügt nicht allein die Kenntnis des Arbeitgebers vom konkreten Anlass, d.h. des „Vorfalls“, der einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen kann. Hat der Arbeitgeber Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zunächst Ermittlungen anstellen (z.B. Beweismittel beschaffen), ohne dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Die erforderlichen Ermittlungen müssen dafür indes zügig und mit der gebotenen Eile erfolgen. Wie das BAG jüngst ausdrücklich betonte, bedeutet dies allerdings nicht, dass der Arbeitgeber eine Compliance-Untersuchung stets erst entsprechend einem von ihm selbst vorgegebenen Erkenntnisinteresse zu Ende führen könnte, bevor die Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen begönne. So dienen etwa Ermittlungen, mit denen jenseits der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße unternehmensbezogene (Präventions-)Ziele verfolgt werden, grds. nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen (BAG, Urteil v. 5. Mai 2022 – 2 AZR 483/21).
Freistellungen von der Arbeitspflicht mit Fingerspitzengefühl handhaben
Häufig ist es in der Praxis notwendig, die Beschuldigten – zeitlich befristet – von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen, um die internen Untersuchungen (z.B. die Sichtung des E-Mail-Postfaches des Beschuldigten) vorantreiben zu können. Die meisten aktuellen Arbeitsverträge enthalten bereits eine wirksame Klausel, die Arbeitgebern eine bezahlte Freistellung auch unabhängig von der Erklärung einer Kündigung ermöglicht. Welche Anforderungen im Übrigen an eine rechtmäßige Freistellung zu stellen sind, ist in den Einzelheiten umstritten.
Unabhängig von der reinen Rechtslage ist bei der Durchführung der Freistellung häufig besonderes Fingerspitzengefühl der Arbeitgeber gefragt. Bei noch diffuser Verdachtslage kann es sich anbieten, statt einer Freistellung gesichtswahrendere Gestaltungen, wie bspw. die Teilnahme an einer Fortbildung, zu wählen. Denn den „Makel“ einer Freistellung würde ein Mitarbeiter mit großer Wahrscheinlichkeit selbst bei späterer Entlastung nicht mehr los, sodass ein behutsameres Vorgehen insbesondere bei Mitarbeitern geprüft werden sollte, die für das Unternehmen besonders wichtig sind.
Schulungen, anonyme Hinweisgeberverfahren und andere Mechanismen zum Opferschutz
Zuweilen drohen Mitarbeiter oder Mitglieder der Unternehmensführung zu Opfern des Hinweisgebersystems zu werden. Falsche, wiederkehrende, eskalierende oder bewusst diffamierende Hinweise sind leider ebenso wenig eine Seltenheit wie eine „Lästigkeitsstrategie“ durch immer wieder neue Nachrichten in einem sog. Fall, die zwar aller Voraussicht nach (und auch im Ergebnis) zu keinem Compliance-relevanten Sachverhalt führen, aber aufgrund der Rechtspflichten der Unternehmensführung untersucht und beantwortet werden müssen.
In manchen Fällen kann diesem Risiko präventiv begegnet werden: Angemessene Schulungen im Voraus mit Fallbeispielen sind hier sicher ein wichtiger Baustein. Auch die Reaktion der internen Meldestelle auf einen entsprechenden Hinweis kann als Ad-hoc-Maßnahme entscheidend sein. Sachlich zu reagieren, Beweise für aufgestellte Behauptungen zu erfragen, Rückfragen zu stellen oder Gesprächsangebote zu unterbreiten sind nur einige der denkbaren Optionen.
Die Reaktion des angezählten Vorstands, das Hinweisgebersystem eben „einfach wieder abzuschaffen“, mag im Einzelfall verständlich sein, sie lässt sich ab einer bestimmten Unternehmensgröße wegen der alsbald zu erwartenden Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in Deutschland nicht mehr realisieren. Im Gegenteil: Auf Grundlage des voraussichtlich spätestens im Herbst 2022 in Kraft tretenden Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) werden dann u.a. alle Unternehmen ab einer Zahl von mindestens 50 Beschäftigten zur Einrichtung von Meldestellen und internen Meldekanälen verpflichtet.
Es kann aber der Weg des gewählten Meldekanals verändert werden. Zudem stellt sich die Frage, ob man falschen bzw. diffamierenden Hinweisen damit begegnen sollte, zumindest anonyme Hinweise nicht mehr zu ermöglichen. Die EU-Whistleblower-Richtlinie hatte es ausdrücklich den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie Unternehmen auch zur Annahme anonymer Hinweise verpflichten wollen. Auch gem. § 16 Abs. 1 S. 5 des Regierungsentwurfs des HinSchG besteht für Unternehmen keine Verpflichtung, die Meldekanäle so zu gestalten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen. Dennoch sollte dies sorgfältig abgewogen werden. Denn die Wahrung der Anonymität ist ein hohes und schützenswertes Gut, das die Gefahr eines ungestraften Missbrauchs des Systems möglicherweise überwiegt.
In besonderen Fällen werden auch Nachforschungen zum Hinweisgeber erfolgen können. Inwieweit hier der dringende Verdacht des Missbrauchs des Systems nachgewiesen werden kann und arbeitsrechtliche Schritte bis hin zu Schadenersatzansprüchen des Arbeitsgebers in Betracht kommen, bleibt eine Einzelfallentscheidung.
Alles in allem ein spannendes Feld, das Schnittstellenkompetenz verlangt. Wir freuen uns darauf, Ihnen in unserer Blogserie zum Whistleblowing dieses Feld durch unser arbeitsrechtliches Brennglas vorzustellen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.