14. April 2022
Matrixorganisation Struktur
Steuerrecht

Risiken einer Matrixorganisation für (Tax) Compliance

Eine Unternehmensgruppe sollte effektiv strukturiert werden. Matrixstrukturen können betriebswirtschaftlich eine Lösung sein, doch sind sie es auch unter rechtlichen Gesichtspunkten?

Die Organisationsstruktur eines Unternehmens prägt dieses ganz entscheidend. Sie beschreibt die Hierarchie im Unternehmen und grenzt die Kompetenzen von Teilbereichen sowie im Unternehmen tätigen Personen voneinander ab. Sie setzt den Rahmen für das Funktionieren der arbeitsteiligen Zusammenarbeit im Unternehmen.

Unternehmen wählen unterschiedlichste Organisationsmodelle. Ganz wesentliche Auswirkungen haben diese Modelle auch auf Compliance-Management-Systeme. Nicht selten ist die Ausgestaltung des Modells die Ursache für ein Versagen der Compliance-Vorkehrungen. Bestimmte Organisationsmodelle sind dabei anfälliger als andere, z.B. die Matrixstruktur, auf die wir hier näher eingehen. 

Auch die Umgestaltung einer Organisationsstruktur erhöht das Risiko ganz erheblich, dass das implementierte Compliance-Management-System (CMS) an Wirkung verliert. Dabei ist unwesentlich, ob es sich um eine umfangreiche Umgestaltung der Organisation handelt oder um geringfügige Anpassungen auf Mikro-Ebene, die im lebenden Organismus eines laufenden Unternehmens praktisch durchgehend an irgendeiner Stelle geschehen, z.B. ein Mitarbeiterwechsel. 

Compliance-Management-Systeme bedürfen deshalb, auch aufgrund dauernder Änderungen der regulatorischen Vorgaben, einer ständigen Überwachung und Anpassung.

Nicht ordnungsgemäßes Compliance-Management-System kann zivil- und strafrechtliche Folgen haben

Die Wahl des falschen Organisationsmodells kann zur Nichtanerkennung des Compliance-Management-Systems durch die Rechtsprechung führen. Die Konsequenzen für das jeweilige Unternehmen sind unabsehbar und nicht selten existenzbedrohend. Insbesondere die Geschäftsführung oder der Vorstand wird zivil- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, wenn sie oder er kein ordnungsgemäßes CMS implementiert und unterhalten hat. 

Diese finanzielle Haftung, ebenso wie Geld- oder Gefängnisstrafen, können sogar einfache Mitarbeiter* treffen. Auch das Unternehmen kann mit Geldbußen in Millionenhöhe belegt werden. Zudem können die Strafverfolgungsbehörden Gegenstände und Geldmittel ohne betragsmäßige Obergrenze ggf. in Milliardenhöhe einziehen. Bemessen werden diese Einziehungen an den Umsätzen, die in Zusammenhang mit der unerlaubten Handlung des Unternehmens stehen (Taterträge), oder an den durch das Unterlassen der Implementierung eines ordnungsgemäßen CMS eingesparten Aufwendungen.

Häufige Organisationsmodelle in Unternehmen sind Spartenorganisation, Funktionalorganisation oder Kombinationen daraus

Besondere Vorsicht ist bei der Implementierung eines CMS unserer Erfahrung nach bei Mehrliniensystemen und sog. Matrixstrukturen angebracht. Auch und gerade große Konzerne sind diesbezüglich anfällig und werden nach unserer Erfahrung häufig von Behörden und Gerichten vor konkrete Probleme gestellt.

Die Aufbauorganisation eines Unternehmens grenzt Zuständigkeitsbereiche voneinander ab. Hierbei können verschiedene Organisationsmodelle gewählt werden, die sich nach einem oder mehreren Kriterien (ein- oder mehrdimensionale Organisationsstruktur) richten. 

Ein typisches Beispiel für eindimensionale Strukturen ist die Spartenorganisation. Bei der Spartenorganisation sind der Unternehmensleitung verschiedene Sparten unterstellt, gegliedert z.B. nach Kriterien wie Produkten oder Märkten, sodass jede Sparte als eigenverantwortliches Profit-Center isoliert von den anderen Sparten agieren kann. Eine andere eindimensionale Struktur ist die Funktionalorganisation, bei der der Unternehmensleitung tätigkeitsspezifische Teilbereiche nachgeordnet sind, z.B. Abteilungen für Vertrieb, Produktion, Finanzen und Personal. Bei diesen Organisationsmodellen werden Weisungen typischerweise entlang einer Linie von der oberen an die untere Hierarchieebene weitergegeben, sodass jede Stelle nur einen Vorgesetzten hat (Einliniensystem). In der Praxis treten solche Organisationsmodelle häufig modifiziert auf und werden etwa um Stabsstellen erweitert, die keine Weisungsbefugnis haben, oder es existieren zusätzliche Weisungsrechte, sodass eine untergeordnete Stelle mehrere Vorgesetzte haben kann (Mehrliniensystem). Diese Strukturen finden sich oft auch über mehrere Unternehmen eines Konzerns und insbesondere auch über Ländergrenzen hinweg.

Zunehmend sind Unternehmen auch in Matrixstrukturen organisiert. Häufig handelt es sich hierbei um eine Kombination aus Sparten- und Funktionalorganisation, sodass eine untergeordnete Stelle zwei übergeordnete Stellen hat, z.B. einen Vorgesetzten für Produkt A und einen Vorgesetzten für den Vertrieb. Eine solche Organisationsform, aber auch bereits ein Mehrliniensystem, weist mehrere Vorteile auf, die die jeweiligen Unternehmen nutzen möchten, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Beispielsweise können Probleme aus beiden Perspektiven betrachtet und gelöst werden – das Unternehmen kombiniert die Vorteile der Sparten- und Funktionalorganisation, indem es fachliche Spezialisierung erlaubt, aber zugleich das „ganze“ Produkt / den ganzen Markt im Auge behält.

Probleme durch Matrixstrukturen und Mehrliniensysteme in Compliance-Management-Systemen basieren oft auf Zuständigkeitskonflikten

Für Compliance-Management-Systeme sind solche Organisationsmodelle tückisch. Ein Hauptnachteil der Mehrlinien- oder der Matrixorganisation sind Zuständigkeitskonflikte infolge der Weisungsberechtigung zweier (oder noch mehrerer) Vorgesetzter. Zugleich ist ein hoher Koordinierungs- und Kommunikationsaufwand erforderlich, der zu Missverständnissen führen kann. Nicht zu vernachlässigen ist auch eine unter Umständen lange Entscheidungsfindung, wenn aus Compliance-Gesichtspunkten sofortiges Handeln angezeigt wäre.

Ein effektives Compliance-Management-System erfordert nämlich eindeutige Zuständigkeiten und Verantwortungen. Sowohl konkurrierende als auch nicht besetzte Zuständigkeiten sind zwingend zu vermeiden. Es muss sichergestellt werden, dass die Besonderheiten der Aufbauorganisation auf die Compliance-bezogenen Abläufe nicht durschlagen. Helfen können etwa konkrete, von den Vorgesetzten unabhängige Handlungsanweisungen, die für jede Compliance-relevante Stelle gelten. Besonders sinnvoll ist hier die richtige Schulung des Personals, sodass dieses potenzielle Risiken eigenverantwortlich erkennen und idealerweise Hinweise darauf über einen eigenen Compliance-Berichtsweg weitergeben kann. Die Risiken werden so aus einer Hand bewertet und nicht an unterschiedliche Vorgesetzte weitergeleitet. Dies kann auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sein und zu Effizienzsteigerungen führen. Vorgesetzte müssen sich so überhaupt nicht und schon gar nicht doppelt mit diesen Fragen befassen. 

Das alles gilt nicht nur für die theoretische Ausgestaltung, sondern auch die Handhabung in der Praxis. Das System muss angewandt und von den Vorgesetzten auch vorgelebt werden. Insbesondere ist es essenziell, den Mitarbeitern genug Zeit einzuräumen, um neben den alltäglichen Aufgaben auch Compliance-Aufgaben ordnungsgemäß auszuüben. Eine bei Matrixstrukturen nicht untypische zu hohe Auslastung von Mitarbeitern infolge mehrerer Vorgesetzter, die dem Mitarbeiter unabgestimmt Aufgaben zuteilen, stellt dafür ein erhebliches zusätzliches Risiko dar.

Tax Compliance stellt hohe Anforderungen an ausgefeilte Organisationsstrukturen

Ein Paradebeispiel für die Bedeutung und Anwendung von Compliance ist das Steuerrecht – auch für die Risiken, die aus einem Mehrliniensystem und einer Matrixorganisation folgen. 

Tax Compliance verdeutlicht unserer Auffassung nach sehr deutlich, welche Herausforderungen und Risiken Mehrliniensysteme und Matrixorganisationen für die Compliance eines Unternehmens beinhalten. Das Steuerrecht ist ein äußerst umfangreiches und sehr komplexes Themenfeld, das selbst ausgewiesene Experten nicht selten vor Probleme stellt. Darüber hinaus sind solche Experten rar. Auch externe Berater, etwa viele Anwälte, haben nur eingeschränkte oder überhaupt keine steuerrechtlichen Kenntnisse, Steuerberatern fehlt oftmals das juristische Verständnis. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten endet die Expertise zudem häufig an den Landesgrenzen. Darüber hinaus wird Steuerrecht nicht selten als „Massenfallrecht“ bezeichnet, d.h., es gibt eine Vielzahl von Sachverhalten, die steuerliche Auswirkungen haben, z.B. Lohnzahlungen an Mitarbeiter, jeder Eingangs- oder Ausgangsumsatz, jedes internationale Tätigwerden einer Person, sogar Kundenkontakte, die zu keinem Geschäftsabschluss führen. Befasst sind mit diesen alltäglichen Aufgaben steuerliche Laien aus allen Unternehmensabteilungen, deren Aufgabengebiet mit dem Steuerrecht scheinbar keine Berührungspunkte hat, z.B. im Einkauf, Vertrieb oder in der Strategie- oder Rechtsabteilung. Die Organisationsstruktur des Gesamtunternehmens wirkt sich auf das Tax-Compliance-Management-System folglich unmittelbar aus, da ein wirkungsvolles Tax CMS die Einbindung fast aller Unternehmensbereiche erfordert (z.B. für Know-your-Customer-Prozesse) und nicht von einer einzelnen Stabsstelle allein geschultert werden kann.

Zugleich ist der drohende Schaden enorm. So kann die Versagung des Vorsteuerabzugs zu einem 19 Prozentpunkte teureren Einkauf führen, der die Gewinnmarge um ein Vielfaches übersteigt. Oder die Auflösung einer über Jahre aufgebauten Rückstellung für Altersvorsorgeleistungen sorgt für eine nachzuzahlende Steuer, die dem Vielfachen eines Jahresgewinns entspricht. Aus einer aus dem Ruder gelaufenen Betriebsprüfung können neben steuerstrafrechtlichen Vorwürfen und der Abgabe des Falls an Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft folglich existenzbedrohende Nachzahlungen einschließlich nicht unerheblicher Nachzahlungs- und Hinterziehungszinsen folgen, die wiederum insolvenz- oder kapitalmarktrechtliche Maßnahmen erfordern, die ebenso wenig ordnungsgemäß umgesetzt werden – von Reputationsschäden einmal abgesehen.

Um diese Herausforderungen mit einem effektiven (Tax-)Compliance-Management-System bewältigen zu können, bedarf es einigen Aufwands. Mit der Einrichtung eines effektiven (!) Tax CMS können sich das Unternehmen und die Führungspersonen entlasten und mangelnden bedingten Vorsatz nachweisen oder zumindest die Strafhöhe verringern (BMF v. 23. Mai 2016, Ziff. 2.6; BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 265/16).

Bei einem Tax-Compliance-Management-System ist die Beachtung der oben genannten Aspekte deshalb bedeutsam wie wohl bei keinem anderen.

Tags: Compliance Matrixstruktur Organisation Steuerrecht