15. September 2022
Zwei-Säulen-Lösung Steuer
Steuerrecht

Zwei-Säulen-Lösung der OECD nimmt weiter Fahrt auf – Update #2

Die Zwei-Säulen-Lösung auf dem Weg zur Umsetzung: Leitlinien der OECD sowie erster Richtlinienentwurf der EU zur Mindestbesteuerung sind veröffentlicht.

Nicht weniger als 137 Staaten haben sich im Juli 2021 auf die von der G20 und der OECD initiierte Zwei-Säulen-Lösung geeinigt, die eine umfassende – teils als historisch bezeichnete – Neujustierung der Besteuerung von großen multinational tätigen Konzernen vorsieht. Beabsichtigt ist danach, die sog. Marktstaaten durch eine teilweise Neuzuweisung von Besteuerungsrechten stärker an den Gewinnen der ca. 100 größten Konzerne der Welt zu beteiligen. Zudem soll eine weltweite effektive Mindestbesteuerung i.H.v. 15 % eingeführt werden.

Die Umsetzung der Reformbestrebungen hat seitdem weiter Fahrt aufgenommen. So haben die G20 und die OECD bzw. die für die Ausarbeitung eingesetzte Arbeitsgruppe, das Inclusive Framework on BEPS (IF), am 20. Dezember 2021 die finalen Leitlinien für eine Umsetzung der Säule 2, die sog. Global Anti-Base Erosion (GloBE) Model Rules (nachfolgend kurz: Model Rules), veröffentlicht. Die Regelungen sollen den Mitgliedstaaten des IF als Muster dienen und damit eine weitgehend einheitliche Umsetzung in das nationale Recht gewährleisten. 

Nur zwei Tage später folgte am 22. Dezember 2021 ein erster Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Sicherstellung eines Mindestbesteuerungsniveaus multinationaler Unternehmensgruppen in der EU. Der Entwurf baut bereits auf den OECD-Leitlinien auf und dient ebenso einer einheitlichen Umsetzung der neuen Mindestbesteuerungsregeln innerhalb der EU-Mitgliedstaaten.

Aber auch mit Blick auf die erste Säule soll nach den Verlautbarungen der OECD mit den Source Rules ein zentrales Regelungswerk noch im Frühjahr 2022 veröffentlicht werden, das die wesentlichen Weichenstellungen für die Neuallokation der Gewinne in den jeweiligen Marktstaaten enthalten wird. 

Nach den ambitionierten Plänen der OECD sollen weite Teile der beiden Säulen bereits im Jahr 2023 in Kraft treten. Es wird dann künftig eine zusätzliche Ebene in der internationalen Unternehmensbesteuerung mit umfangreichen und hochkomplexen Regelungen zu berücksichtigen sein. Betroffene Unternehmen sollten sich daher bereits jetzt bestmöglich auf die neuen Vorgaben einstellen.

Säule 1 – stärkere Beteiligung der Marktstaaten an Unternehmensgewinnen

Die erste Säule sieht eine teilweise Umverteilung von Besteuerungsrechten vor und soll den sog. Quellen- bzw. Marktstaaten eine stärkere Teilhabe an den Unternehmensgewinnen der größten global agierenden Konzerne ermöglichen. Während sie ursprünglich noch auf bestimmte digitale Geschäftsmodelle und Consumer Facing Businesses beschränkt war, gilt sie nunmehr weitestgehend branchen- und technologieübergreifend. Geblieben ist jedoch die Verpflichtung der beteiligten Staaten, keine nationalen Digitalsteuern einzuführen und ggf. bestehende abzuschaffen. 

Der Neuverteilung der Besteuerungsrechte werden vorerst nur global agierende Konzerne unterliegen, die einen Umsatz von mehr als EUR 20 Mrd. erwirtschaften und deren Umsatzrendite vor Steuern 10 % übersteigt. Das auf die Marktstaaten nach einem bestimmten Schlüssel zu verteilende Besteuerungssubstrat nach dem sog. Amount A bemisst sich dann aus einem Viertel des den Schwellenwert von 10 % übersteigenden Gewinns. 

Die OECD geht davon aus, dass nur rund 100 internationale Konzerne diese Kriterien erfüllen und damit überhaupt in den Anwendungsbereich der neuen Regeln gelangen. Es ist daher beabsichtigt, sieben Jahre nach Inkrafttreten der ersten Säule die Inhalte zu evaluieren und anschließend ihren Anwendungsbereich auszuweiten, insbesondere durch eine Absenkung der Umsatzschwelle auf EUR 10 Mrd.

Markant ist im Rahmen der Säule 1 die Einführung eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunktes (Nexus). So soll es – anders als dies bislang nach dem althergebrachten Betriebsstättenprinzip der Fall ist – nicht mehr darauf ankommen, ob der Konzern in einem Quellenstaat auch tatsächlich physisch präsent ist. Entscheidend wird sein, wo die Waren oder Dienstleistungen eines Konzerns tatsächlich benutzt oder verbraucht werden. Die OECD führt damit nicht weniger als einen neuen territorialen Anknüpfungspunkt der „wirtschaftlichen Präsenz“ ein.

Die Zuweisung der Besteuerungsrechte auf die einzelnen Marktstaaten gestaltet sich im Einzelnen äußerst komplex und setzt umfassende Regelungen zur Bestimmung des Leistungsorts (sog. Revenue Sourcing) voraus, da nur so die erzielten Gewinne den einzelnen Marktstaaten zugeordnet werden können. Berücksichtigt werden sollen jedoch grds. nur solche Marktstaaten, in denen ein Umsatz von mehr als EUR 1 Mio. erwirtschaftet wird. Für kleinere Volkswirtschaften wird eine Umsatzschwelle von EUR 250.000 gelten. Erste Entwürfe zur Ermittlung dieser Schwelle sowie zur Bestimmung des Leistungsortes anhand bestimmter Kategorien von Transaktionen hat die OECD im Februar im Rahmen einer öffentlichen Konsultation zur Diskussion gestellt.  

Darüber hinaus wird die Säule 1 neben Regelungen zur Vermeidung einer steuerlichen Doppelbelastung, etwa wenn der Konzern in dem betreffenden Staat bereits eine Betriebsstätte oder eine Tochtergesellschaft unterhält oder wenn Marketing- oder Vertriebsgewinne bereits in einem Marktstaat versteuert wurden (sog. Safe-Harbour-Regelung), auch Mechanismen zur Streitverhinderung und Streitbeilegung enthalten. 

Bei dem ebenfalls einzuführenden Amount B handelt es sich dagegen um einen Standard zur Ermittlung von fremdüblichen Vergütungen für bestimmte Routinevertriebsgesellschaften, mittels dem besonders streitanfällige Bereiche der Verrechnungspreisbestimmung vereinfacht werden. Einzelheiten hierzu sind bislang noch nicht bekannt. Erste Diskussionspapiere sind jedoch bereits Mitte 2022 im Rahmen öffentlicher Konsultation zu erwarten.

Umgesetzt wird die Säule 1 durch ein multilaterales Abkommen, das noch im Jahr 2022 von den beteiligten Staaten unterzeichnet werden soll.

Säule 2 – Einführung einer globalen Mindestbesteuerung i.H.v. 15 %

Die zweite Säule hat im Gegensatz zur ersten Säule einen deutlich weiteren Anwendungsbereich, sodass von den geplanten Änderungen wesentlich mehr Unternehmen unmittelbar betroffen sein werden. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie etwa für internationale Organisationen, Pensionsfonds oder Investmentfonds, sollen nach den im Dezember 2021 veröffentlichten Model Rules der OECD sämtliche multinationalen Konzerne (sog. MNE Groups) erfasst sein, die mind. in zwei der vier vorangegangenen Wirtschaftsjahre einen Jahresumsatz i.H.v. mind. EUR 750 Mio. hatten. 

Bemerkenswert ist insoweit, dass der Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 22. Dezember 2021 den Anwendungsbereich auch auf rein national agierende Konzerne erstreckt, deren Konzernabschluss keine Gesellschaften außerhalb des Ansässigkeitsstaates der obersten Muttergesellschaft aufweist (sog. Large-Scale Domestic Groups). Auch diese Konzerne werden sich daher künftig mit den neuen Besteuerungsregeln auseinandersetzen müssen. 

Maßgeblich für die Bestimmung der Umsatzschwelle soll der konsolidierte und um geringfügige steuerliche Anpassungen bereinigte Konzernabschluss der obersten Muttergesellschaft nach anerkannten handelsrechtlichen Rechnungslegungsregeln sein. 

Ziel ist es, durch Einführung einer effektiven globalen Mindestbesteuerung i.H.v. 15 % dem internationalen Steuerwettbewerb der Staaten sowie steueraufkommensschädlichen Gestaltungen entgegenzuwirken.

Rechtstechnisch bedient sich die OECD hierzu dreier zentraler Instrumente. Im Mittelpunkt stehen dabei die sog. GloBE-Regelungen (Global Anti-Base Erosion Proposal), die sich in eine Income Inclusion Rule (IIR) und eine Undertaxed Payments Rule (UTPR) untergliedern lassen und die nach den Vorgaben der OECD Model Rules in das nationale Recht der Mitgliedstaaten des IF umgesetzt werden sollen. Flankiert werden die GloBE-Regeln von einer Subject to Tax Rule (STTR), einer abkommensrechtlichen Klausel, die mit Rücksicht auf die Belange der Entwicklungsländer zusätzlich aufgenommen wurde.

Im Einzelnen wird die effektive Mindestbesteuerung damit durch folgende ineinandergreifende Mechanismen verwirklicht:  

  • So soll es die vorrangig anzuwendende IIR dem Ansässigkeitsstaat der obersten Muttergesellschaft gestatten, eine effektiv niedrige Besteuerung ausländischer Tochtergesellschaften durch die Erhebung einer Zuschlagsteuer (Top-up Tax) auszugleichen. Sieht der Ansässigkeitsstaat der obersten Muttergesellschaft keine derartige Regelung vor, soll nach der nun veröffentlichten Konzeption der OECD Model Rules die IIR auf Ebene der nächsthöheren Gesellschaft in der Beteiligungskette angewandt werden.
  • Erst wenn die IIR allein noch nicht zu der effektiven Mindeststeuer führt, wird die UTPR auffangend zum Zuge kommen, indem die Top-up Tax dann indirekt, wahlweise durch ein partielles Abzugsverbot für Zahlungen innerhalb des Konzerns oder aber durch vergleichbare Anpassungen nach nationalem Recht, wie die Erhebung einer Quellensteuer, erhoben wird. Hierzu sehen die Model Rules vor, dass zunächst der Gesamtbetrag der Top-up Tax des Konzerns zu ermitteln ist, der anschließend auf die jeweiligen Jurisdiktionen zu verteilen ist, welche die UTPR implementiert haben. Der Verteilungsschlüssel soll sich dann nach der Anzahl der Arbeitnehmer* und der materiellen Wirtschaftsgüter richten.
  • Daneben tritt die STTR, eine in die jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen der Mitgliedstaaten aufzunehmende Klausel, die für bestimmte Zahlungen an niedrig besteuerte verbundene Unternehmen eine Quellensteuer vorsieht. Die Klausel kommt den Entwicklungsländern entgegen, da in diesen in weit geringerem Maße oberste Muttergesellschaften i.S.d. IIR ansässig sein werden.

Die nunmehr veröffentlichten OECD Model Rules enthalten umfangreiche Musterregelungen für die Umsetzung der GloBE-Regelungen, von einer Definition des Anwendungsbereichs über ausführliche und komplexen Vorgaben zur Ermittlung des relevanten Einkommens, der Steuern und des daraus folgenden effektiven Steuersatzes bis hin zu speziellen Sonderregelungen für Unternehmensumstrukturierungen und bestimmte Holdingstrukturen. Enthalten sind zudem bereits Mustervorschriften zu Verfahrensfragen, wie etwa Steuererklärungs- und Anzeigepflichten.

Demnach wird grds. jede in eine MNE Group einbezogene Gesellschaft standardisierte Steuererklärungen innerhalb von 15 Monaten nach Ende des betreffenden Wirtschaftsjahres abgeben müssen. Diese sollen u.a. Informationen über die Gesellschaft, die Beteiligungsstrukturen sowie die Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Top-up Tax und des jeweiligen effektiven Steuersatzes im betreffenden Staat umfassen. Insgesamt wird damit ein zusätzlicher, spürbarer administrativer Aufwand auf die Unternehmen zukommen.

Die Regelungen der zweiten Säule sind seitens der OECD zwar als sog. Common Approach ausgestaltet, was bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung gezwungen werden, sie sich jedoch im Falle einer Umsetzung an die vom IF formulierten Vorgaben halten müssen. Dies wird nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission jedoch nicht innerhalb der EU gelten, da diese für die EU-Mitgliedstaaten eine verpflichtende Umsetzung vorschreibt.

Unternehmen sollten sich frühzeitig auf eine neue Ebene der internationalen Besteuerung vorbereiten

Mit der Zwei-Säulen-Lösung führt die Staatengemeinschaft eine weitere Ebene in der internationalen Besteuerung von Unternehmen ein, die eine zusätzliche Verkomplizierung zur Folge hat und die in Zukunft von den hiervon erfassten Unternehmen zu beachten sein wird. 

Dabei stehen noch längst nicht alle Neuerungen fest. So beabsichtigt die OECD etwa in Bezug auf die GloBE-Regeln, weitere Vorgaben und Hilfestellungen durch ein GloBE Implementation Framework bereitzustellen, das u.a. ein Standard-Template für die GloBE-Informationserklärungen enthalten soll. Angesichts des nur kurzen Zeitraums bis zum Wirksamwerden der neuen Regelungen im Jahre 2023 ist es jedoch ratsam, sich möglichst frühzeitig mit den wesentlichen Anforderungen vertraut zu machen.

Update #1: Musterkommentar veröffentlicht

Am 14. März 2022 hat die OECD, wie zuvor angekündigt, einen Musterkommentar zu ihren Leitlinien zur Umsetzung der Säule 2 vom 20. Dezember 2021, den Global Anti-Base Erosion Model Rules (GloBE-Regeln) veröffentlicht. In dem umfassenden Kommentar werden die Mechanismen der GloBE-Regeln sowie weitere Einzelfragen aufgegriffen und erläutert, mit dem Ziel, sowohl den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten als auch den Steuerpflichtigen selbst eine Orientierungshilfe für die Auslegung und Anwendung der Regeln an die Hand zu geben.

Zugleich hat die OECD eine Konsultation der Öffentlichkeit zur weiteren Ausarbeitung des Implementation Framework gestartet. Dieser soll eine koordinierte Umsetzung und Anwendung der GloBE-Regeln mit Blick auf die praxisrelevanten Verfahrensfragen durch die betroffenen Unternehmen ermöglichen und Hilfestellung hierbei geben. Nicht zuletzt sollen so die Umsetzungskosten der betroffenen Unternehmen reduziert werden. 

Interessierte sind dazu aufgerufen, bis zum 11. April 2022 schriftliche Stellungnahmen zu Themen der praktischen Anwendung der GloBE-Regeln einzureichen. Dies betrifft vor allem die administrative Ausgestaltung der einzelnen Verfahrensfragen, wie etwa der Antrags- und Informationserfassungsmechanismen sowie der jeweiligen Melde- und Aufbewahrungspflichten der Unternehmen.

Ende April 2022 soll zudem eine virtuelle Anhörung der Öffentlichkeit stattfinden. Gerne stehen wir hierbei beratend zur Seite. 

Update #2: Drittes Entlastungspaket angekündigt

Mit dem dritten Entlastungspaket vom 3. September 2022 hat die Bundesregierung die Einführung einer nationalen Mindestbesteuerung und damit bereits jetzt die Umsetzung der Säule 2 in das deutsche Recht angekündigt. Dies ist jedenfalls insoweit bemerkenswert, als sich die EU-Richtlinie, mit der eine einheitliche Umsetzung im EU-Raum gewährleistet werden soll, nach wie vor im europäischen Gesetzgebungsverfahren befindet und eine Einigung sämtlicher Mitgliedstaaten bislang nicht erzielt werden konnte.

Womöglich deutet der Vorstoß der Bundesregierung daher bereits auf eine sich abzeichnende Einigung beim ECOFIN am 4. Oktober 2022 unter der tschechischen Ratspräsidentschaft hin. Rechtlich dürfte einer Anpassung des deutschen Steuerrechts schon zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nichts entgegenstehen, zumal zwischen den Mitgliedstaaten auch weitgehender Konsens bezüglich der konkreten Regelungsinhalte der EU-Richtlinie besteht. Mit der Ankündigung wird das Tempo der Umsetzung in das deutsche Steuerrecht nochmals angezogen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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