Das umstrittene Gesetzespaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität scheitert vorerst an der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten.
Trotz vieler kritischer Stimmen wurde im Juni 2020 vom Bundestag der Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verabschiedet (BT-Drs. 19/18470, BT-Drs. 19/17741). Nach eingehender Prüfung kommt der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jedoch zu der Einschätzung, dass das Gesetz in der aktuellen Form verfassungswidrig ist und verweigert seine Unterschrift.
Das ist erst acht Mal in der Geschichte der Bundesrepublik seit 1949 vorgekommen. Außergewöhnlich ist auch, dass Steinmeier das Ausfertigungsverfahren nur vorläufig ausgesetzt und die Bundesregierung zu „punktuellen Nachbesserungen“ aufgefordert hat. Statt einer endgültigen Ablehnung soll mithilfe von Überarbeitungsmaßnahmen das Gesetz als solches erhalten bleiben und nach entsprechenden Anpassungen schließlich in Kraft treten können.
Gesetzespaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität soll bessere Strafrechtsverfolgung im Internet ermöglichen
Anlass für den umstrittenen Gesetzesentwurf waren das Attentat an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie die Anschläge um die Synagoge in Halle (Saale). Um die Strafrechtsverfolgung im Internet effektiver zu gestalten und damit die Verbreitung von rechtsextremistischer Hetze über Online-Plattformen nachhaltig einzudämmen, sieht das von der großen Koalition erarbeitete Gesetz in Form eines Artikelgesetzes weitreichende Änderungen und Verschärfungen insbesondere der Strafprozessordnung (StPO), des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), des Telemediengesetzes (TMG) und des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) vor.
So sollen künftig beispielsweise der Umstand, dass eine Tat aus antisemitischen Beweggründen begangen wurde, unter Strafzumessungsgesichtspunkten berücksichtigt werden können. Des Weiteren soll für öffentlich erfolgte Beleidigungen z.B. in sozialen Netzwerken eine höhere Strafandrohung gelten und Kommunalpolitiker und -politikerinnen stärker geschützt werden.
Da ausweislich der Erkenntnisse aus der Kriminologie die Verschärfung der Strafandrohung jedoch keinen vergleichbar abschreckenden Effekt wie die Erhöhung des Aufdeckungsrisikos hat, sollen mit dem Gesetzespaket zudem Melde- und Auskunftspflichten der sozialen Netzwerke und Auskunftsbefugnisse der Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden eingeführt bzw. erweitert werden.
Künftig sollen beispielsweise die Verantwortlichen sozialer Netzwerke dazu verpflichtet sein, bestimmte strafbare Inhalte, wie etwa Morddrohungen oder volksverhetzende Äußerungen, die bislang von den Plattformen nur gelöscht oder gesperrt werden mussten, an eine neue Zentralstelle des Bundeskriminalamtes zu melden. Zudem werden durch die beabsichtigten Änderungen sowohl die Befugnisse der Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden gegenüber sozialen Netzwerken zur Erhebung und Verwendung von gespeicherten Nutzungs- und Bestandsdaten als auch die Auskunftspflichten der Plattformverantwortlichen zur Datenauskunft erheblich erweitert. Unter Nutzungsdaten fallen alle Daten, die bei der Nutzung der Onlinedienste entstehen, wie z.B. die übermittelte IP-Adresse, die besuchten Seiten oder die Dauer des Besuchs. Bestandsdaten umfassen alle Angaben der Nutzer und Nutzerinnen, die im Onlineportal dauerhaft gespeichert werden, also insbesondere Namen, Adressen, Kontodaten oder sogar Passwörter. Werden diese Daten zentral gesammelt, so können Identität und Nutzungsverhalten der Betroffenen umfassend nachvollzogen werden.
Von Anfang an heftige Kritik an der Gesetzesnovelle: Unverhältnismäßige Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung befürchtet
Das geplante Gesetz ist seit der Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs auf heftige Kritik gestoßen. Den Kern der Kritik am Gesetzespakt bilden die neu eingeführten Auskunfts- und Meldepflichten bezüglich der Inhalte, die Nutzer und Nutzerinnen in sozialen Netzwerken veröffentlichen, sowie die weitreichenden Befugnisse des BKA zur Bestandsdatenabfrage.
Besonders kritisch werden die umfassenden Zugriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden auf den personenbezogenen Datenverkehr sowie die Gefahr erheblicher Grundrechtseingriffe auch zu Lasten unbeteiligter Dritter durch weitreichende Zugriffsbefugnisse hinsichtlich personenbezogener Daten, bewertet. Dies betrifft vor allem die normierten Übermittlungspflichten und Verwendungsbefugnisse von IP-Adressen und persönlichen Zugangsdaten.
Viele kritische Stimmen prophezeien die Entstehung einer umfassenden Datenbank und die personelle und fachliche Überforderung der unterbesetzten und unspezialisierten Behörden. Vielfach werden die Regelungen daher als unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und als Bedrohung des Vertrauens in die Integrität digitaler Dienste bewertet.
Die Bundesjustizministerin, die den Gesetzesentwurf vehement verteidigte, hielt der Kritik entgegen, Meldepflichten bestünden nur im Falle schwerster Straftaten und auch die Passwortherausgabe solle der Ausnahmefall bleiben. Außerdem unterlägen auch die Behörden gesetzlichen Löschverpflichtungen. Zudem müssten Bund und Länder gemeinsam in geeignetes Behördenpersonal zur effektiven und schnellen Bearbeitung der zu erwartenden Meldungen investieren. Die Bundesregierung betonte weiterhin, dass von der zunehmenden „Verrohung der Kommunikation“ im Internet, vor allem in sozialen Netzwerken, eine ernsthafte Gefahr für Demokratie und Meinungsfreiheit ausgehe, die mit wirkungsvollen Mitteln bekämpft werden müsse.
BVerfG fordert Eingrenzung des staatlichen Zugriffs auf Bestandsdaten
Die bereits bestehenden Bedenken wurden durch einen im Juli 2020 veröffentlichten Beschluss des BVerfG (Beschluss v. 27. Mai 2020 – 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13) bestärkt. Darin stellte das BVerfG fest, dass sowohl der Abruf als auch die Übermittlung von Bestandsdaten jeweils an bestimmte, klar geregelte Voraussetzungen geknüpft werden müssen. Insbesondere seien die zulässigen Zwecke, zu denen diese Daten abgerufen oder übermittelt werden dürfen, gesetzlich klar zu regeln. Ansonsten bestehe die Gefahr der Entstehung eines „Datenvorrats“, auf den jederzeit durch die Behörden zugegriffen werden könne. Das BVerfG stellte diesbezüglich fest:
Unzulässig ist der Abruf für vielfältige und unbegrenzte Verwendungen im gesamten einer Behörde zugewiesenen Aufgabenbereich.
Zudem sei der Schutz gewichtiger Rechtsgüter mittels verhältnismäßiger Rechtsgrundlagen hinreichend zu gewährleisten. Insoweit führte das BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen konkretisierend aus:
Da Übermittlung und Abruf personenbezogener Daten je eigenständige Grundrechtseingriffe begründen, müssen auch die einzelnen Abrufregelungen in Abhängigkeit von dem jeweils betroffenen Grundrecht und ihrem Eingriffsgewicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit sowie der Normenklarheit und Bestimmtheit genügen. Die relevanten verfassungsrechtlichen Anforderungen ergeben sich vor allem aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, der voraussetzt, dass die Abrufregelungen auf einer jeweils eigenen hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage beruhen, die die Datenverwendung auf spezifische Zwecke hinreichend begrenzt.
Verschiedene Gesetze, die dem BVerfG in diesem Verfahren zur Überprüfung vorlagen und welche die Übermittlung und den Abruf von Nutzungs- und Bestandsdaten durch staatliche Behörden betreffen, wurden diesen Anforderungen nicht gerecht und daher vom BVerfG wegen der Verletzung der Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses für verfassungswidrig erklärt.
Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes halten Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität für verfassungswidrig
Weil auch im Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus die normierten Befugnisse zum Datenabruf nach den aufgestellten Maßstäben des BVerfG im Einzelnen nicht hinreichend klar auf bestimmte Zwecke und Eingriffsanlässe begrenzt sind, stuften es Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags als teilweise unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig ein. Zwar bezieht sich die BVerfG-Entscheidung auf Telekommunikationsunternehmen. Die Grundsätze lassen sich jedoch nach verbreiteter Auffassung auf soziale Netzwerke übertragen.
Vor diesem Hintergrund verweigerte Bundespräsident Steinmeier im Oktober 2020 vorerst die formelle Ausfertigung und schickte den Gesetzesentwurf zur erneuten Überarbeitung und für verfassungskonforme Anpassungen zurück in den Bundestag.
Ein „Reparaturgesetz“ soll Abhilfe leisten
Die im Jahr 2019 deutlich gestiegenen Zahl der politisch motivierten Straftaten zeigt, dass eine Gesetzesnovelle grundsätzlich erforderlich ist. Studien belegen, dass die zunehmende Sichtbarkeit von Hass und Hetze im Netz zum Verstummen kritischer Stimmen führt und ein Angstklima schürt.
Weil die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesentwurfs nur einzelne Regelungen betrafen, hat sich das Bundesjustizministerium mittlerweile um partielle Nachbesserung bemüht und einen Referentenentwurf zu einem „Reparaturgesetz“ vorgelegt. Dieses soll unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG die Datenauskunft gegenüber Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden neu regeln. Damit das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität wie geplant zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann, müsste es noch im Dezember vom Bundestag verabschiedet und vom Bundespräsidenten ausgefertigt werden. Wann es aber tatsächlich zur Umsetzung eines wirksamen und verfassungskonformen Maßnahmepakets zur Eindämmung von Hass und rechtsextremistischer Hetze über das Internet kommt, ist noch offen.
Bis dahin und auch darüber hinaus ist jede einzelne Person gefragt, Hass und Hetze im Netz nicht kommentarlos hinzunehmen, denn eine Studie hat jüngst erst die Wirksamkeit von Gegenrede im Netz eindrücklich belegt.