Das Landgericht Essen nimmt Stellung zur Abgrenzung verschiedener Provider-Verträge. Demnach soll ein ASP-Vertrag als Werkvertrag eingeordnet werden können.
In einem kürzlich ergangenen Urteil zu einem sogenannten Application-Service-Providing-Vertrag kommt das LG Essen zum Ergebnis, ein solcher ASP-Vertrag könne auch als Werkvertrag eingeordnet werden. Auf Basis dieser Einordnung sei ein in AGB vereinbarter Ausschluss der ordentlichen Kündigung unwirksam (LG Essen, Urteil v. 16.12.2016 – 16 O 174/16).
Der streitgegenständliche ASP-Vertrag hatte die Bereitstellung von Softwarekomponenten und -schnittstellen zum Gegenstand, mit denen Krankenkassen-Abrechnungen erstellt werden sollten. Die Software sollte vertragsgemäß auf eigens für den Kunden bereitgestellten Servern des Anbieters laufen. Zusätzlich sollte der Anbieter die Software sowie die Serverhardware gleichermaßen betriebsfähig und auf dem Stand der Technik halten. In den AGB des Anbieters war eine Mindestvertragslaufzeit von 48 Monaten vereinbart.
Mehrere Schwerpunkte eines ASP-Vertrags?
Im Ergebnis kommt das Landgericht zur Einordnung des ASP-Vertrages als Werkvertrag, weil der Vertrag seinen Schwerpunkt „jedenfalls auch in der Gewährleistung des Zugriffs auf die Server der Klägerin″ finde. Schon diese Formulierung verwundert. Denn bei der Einordnung eines typengemischten Vertrages nach seinem Schwerpunkt genügt es nicht, festzustellen, wo „jedenfalls auch″ ein Schwerpunkt des Vertrages liegt – sofern man der naturwissenschaftlich ohnehin fragwürdigen Prämisse, dass es mehrere Schwerpunkte geben kann, überhaupt folgen mag.
Für die Einordnung kommt es jedenfalls gerade auf „den″ Schwerpunkt an. Dieser wäre daher vom Gericht aus den verschiedenen vertragsgegenständlichen Leistungen des typengemischten Vertrags zu ermitteln. Es steht dem Gericht nicht frei, zunächst mehrere (vermeintliche) Schwerpunkte zu identifizieren und daraus dann den passendsten auszusuchen – womöglich gar danach, wie sich die gewünschte Rechtsfolge am zwanglosesten begründen lässt.
Serverzugriff als Schwerpunkt?
Aber auch mit der Einschätzung, dass in der Gewährleistung des Zugriffs auf den Server überhaupt ein – wie auch immer gearteter – Schwerpunkt des Vertrags liege, dürfte sich das LG für den ASP-Vertrag recht alleine auf weiter Flur befinden. Möglicherweise hat sich hier das Risiko realisiert, dass ein sehr technischer Sachverhalt mitunter im Prozess nicht hinreichend detailliert aufbereitet oder vom Gericht schlicht missverstanden wird.
Soweit im Urteil wiedergegeben, bezog sich der Vertrag hier jedenfalls darauf, dass der Kunde eine Software nutzen wollte, um damit Abrechnungen gegenüber Krankenkassen zu erstellen. Dabei scheint es sich um eine Standard-Software gehandelt zu haben. Indiz für die Einordnung als Standard-Software ist jedenfalls die kurze Zeitspanne von nur wenigen Wochen zwischen Vertragsschluss und der Schulung zum Einsatz der Software.
Besonderheit des Vertrags war nun, dass der Kunde die Software nicht auf eigenen Servern ausführen wollte, sondern auch den Betrieb der erforderlichen Hardware mit einkaufte. Der Anbieter war nach dem Vertrag ferner verpflichtet, Software und Serverhardware dem Stand der Technik angepasst zu halten. Gerade diese Konstellation wird aber gemeinhin unter dem Stichwort „ASP″ (Application Service Providing) behandelt. Charakteristisch für diese ASP-Verträge ist, dass der Anbieter Standardsoftware bereitstellt, diese auf seinen eigenen Servern ausführt und seinen Kunden passende Nutzungsrechte einräumt.
Differenzierende Betrachtung des BGH bei der Einordnung verschiedener Provider-Verträge
Anders als das LG Essen differenziert der BGH bei der Einordnung verschiedenartiger Provider-Verträge im Internetkontext klar zwischen verschiedenen faktischen Umständen und ordnet die Verträge abhängig davon rechtlich unterschiedlich ein.
Eine illustrative Übersicht über die Vertragstypen findet sich im – vom LG Essen durchaus zitierten – Urteil des BGH zu Internet-Systemverträgen (BGH III ZR 79/09 = NJW 2010, 1449). In der Entscheidung betrachtet der BGH unter anderem reine Hostingverträge. Dies sind Verträge, deren Gegenstand die Bereitstellung eines Servers mit Speicherplatz ist, mit dem der Kunde eine eigene Internetseite einrichten und verfügbar machen kann.
Für diesen Vertragstyp kommt der BGH zum Ergebnis, dass es sich um einen Werkvertrag handele, weil dem Kunden ein zugreifbarer Server zur Verfügung gestellt werden soll. Diesen kann er sodann selbst nutzen, um die Internetpräsenz darauf einzurichten. Im Falle von Hosting-Verträgen endet mit Serverbereitstellung die Leistungspflicht des Anbieters auch, so dass in diesem Fall der Schwerpunkt des Vertrags auf dem Erfolg liegt, einen zugreifbaren Server bereitzustellen. Gerade der geschuldete Erfolg ist charakteristisch für einen Werkvertrag.
Abgrenzung von Hostingverträgen und Software-Nutzungsverträgen
Der BGH grenzt diese Hostingverträge dann jedoch von Verträgen ab, die gerade (Online-)Nutzung von (Standard-)Software für eine begrenzte Zeit über ein Datennetz zum Gegenstand haben. In diesem Fall stehe gerade die entgeltliche Gebrauchsüberlassung der Software im Vordergrund. Daher sei dieser Vertragstyp als Mietvertrag einzuordnen (s.a. BGH NJW 2007, 2394 – ASP-Vertrag).
Insofern erschließt sich nicht (und es lässt sich auch der Urteilsbegründung nicht entnehmen), weshalb das LG Essen hier den Schwerpunkt in der Bereitstellung des Serverzugriffs gesehen hat. Die Bereitstellung der Server wird man zwar ohne weiteres als notwendige Voraussetzung für die weiteren Leistungen ansehen können.
Der Schwerpunkt des Vertrages dürfte darin jedoch nicht liegen. Denn im Ergebnis möchte der Kunde gerade die Funktionalität der Software nutzen, um die Krankenkassen-Abrechnungen erstellen zu können. Er wird sich kaum damit zufrieden geben, wenn nur der Serverzugriff an sich gewährleistet, die Software aber im Ergebnis nicht benutzbar ist. Dies zeigt sich auch in der vertraglichen Vereinbarung, wonach der Anbieter neben der Hardware gerade auch die Software dem Stand der Technik angepasst halten sollte.
Einordnung als Werkvertrag – Vorteil für den kündigungswilligen Auftraggeber
Fest steht jedenfalls, dass die Einordnung des ASP-Vertrags als Werkvertrag dem Kunden den Weg zur ordentlichen Kündigung erst geebnet hat. Diese sieht das Landgericht nämlich deswegen als möglich an, weil ein Werkvertrag nach § 649 S. 1 BGB für den Besteller – also hier den Softwarekunden – jederzeit ordentlich kündbar ist. Dies gilt allerdings nur, soweit keine abweichenden Regelungen in den Vertrag aufgenommen sind.
Daher musste sich das Landgericht hier „nur″ noch damit auseinandersetzen, dass der Vertrag im konkreten Fall eine solche abweichende Regelung enthielt: In Form von AGB war eine Mindestvertragslaufzeit von 48 Monaten vereinbart. Insoweit stellt das Landgericht zunächst fest, dass durch eine solche Klausel die ordentliche Kündigung während der Mindestvertragslaufzeit ausgeschlossen sei.
Dies hält das Landgericht jedoch mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen des Werkvertrags für unvereinbar und daher in AGB für unzulässig. Somit gilt wieder die gesetzliche Regelung des § 649 S. 1 BGB: Die Kündigung ist möglich. Darauf, dass der Anbieter nach dieser Norm Anspruch auf den durch die Kündigung entgangenen Gewinn hat, kam es laut LG Essen im konkreten Fall aus tatsächlichen Gründen nicht an.
Lange Laufzeit im Mietrecht
Hätte das Gericht den Vertrag dagegen nach Mietrecht beurteilt, wäre dieses Ergebnis nicht ohne weiteres erreichbar gewesen. Denn in Mietverträgen können feste Laufzeiten auch in AGB vereinbart werden. Solche Klauseln sind in Verträgen zwischen Unternehmen (nur) nach § 307 Abs. 1 BGB darauf zu untersuchen, ob der Vertragspartner des Verwenders – hier der Kunde – wider Treu- und Glauben unangemessen benachteiligt wird.
Rechtsprechung explizit zur Softwaremiete ist hier Mangelware; im Hinblick auf Breitbandkabel-Verträge mit Mietvertragscharakter und die Miete großer Telefonanlagen finden sich dagegen Urteile, die Laufzeiten von 10 Jahren als zulässig einstufen.
Diese Urteile rechtfertigen die lange Laufzeit allerdings auch damit, dass der Anbieter in den betrachteten Fällen hohe amortisationsbedürftige Anfangsinvestitionen für die Einrichtung beim Kunden tätigen musste. Im Hinblick darauf, dass dies jedenfalls bei Standard-Software im ASP-Betrieb regelmäßig nicht der Fall ist, ließe sich hier vertreten, dass nur eine kürzere Mindestlaufzeit zulässig ist. Freilich bleibt zu beachten, dass ein Anbieter- oder Systemwechsel regelmäßig einen hohen Kosten- und Zeitaufwand mit sich bringt. Daher ist bei Software im ASP-Betrieb eine Mindestlaufzeit häufig gerade im Interesse des Kunden. Es spricht danach einiges dafür, dass zumindest bei unternehmenskritischer Software jedenfalls eine Laufzeit von 4 Jahren den Unternehmens-Kunden nicht unangemessen benachteiligt. Somit könnte eine solche Laufzeitvereinbarung auch in AGB noch als zulässig gesehen werden.
Kommt man dagegen bei mietrechtlicher Einordnung im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Laufzeitklausel in AGB, so gilt der Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er ist dann mit sehr kurzer Frist von drei Tagen ordentlich kündbar (vgl. §§ 542 Abs. 1, 580a Abs. 3 BGB).
Trotz Urteil des LG Essen: ASP-Verträge sind weiterhin als Mietverträge einzuordnen
Es zeigt sich einmal mehr, wie sehr es auf klare und prägnante Aufarbeitung des Sachverhalts ankommt. Dass sich dagegen mit der Entscheidung des LG Essen die Einordnung von ASP-Verträgen grundlegend ändert, erscheint im Hinblick auf die Urteile des BGH zu vergleichbaren Sachverhalten eher unwahrscheinlich. Danach dürfte es jedenfalls zunächst bei der Einordnung von ASP-Verträgen als Mietvertrag bleiben. Somit wird sich dann auch die vom LG Essen eröffnete Möglichkeit, trotz Vereinbarung einer festen Laufzeit von vier Jahren in AGB den Vertrag jederzeit ordentlich kündigen zu können, wohl nicht auf andere Fälle übertragen lassen.