Der neue Rundfunkstaatsvertrag kommt. Wir stellen den Entwurf mit den wesentlichen Änderungen vor.
Der neue Rundfunkstaatsvertrag (RStV) soll einen jahrelangen Streit zwischen den Zeitungsverlagen und den Rundfunkanstalten beilegen. Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich diesen Sommer endlich auf eine Lösung geeinigt. Die Beteiligten erhoffen sich von dem neuen Kompromiss viel.
Hintergrund der Neuregelung im Rundfunkstaatsvertrag
Anlass des kürzlich unterzeichneten Entwurfs war u.a. die von den Verlagen durch jahrelange Gerichtsverfahren angestrebte Abgrenzung der Printmedien von den Angeboten der Rundfunkanstalten. Hintergrund des Streits war die verstärkte Onlinepräsenz auch öffentlich-rechtlicher Sender. Auf Apps oder Webseiten der Sender wurden Nachrichten auch in kurzen Texten zusammengefasst. Darin sahen die Zeitungen ein gebührenfinanziertes Konkurrenzprogramm zu ihren Angeboten.
Der Streit gipfelte im Verfahren um die Tagesschau-App.
Mehr Rundfunk und weniger Presse
Nun haben die Verleger sich gemeinsam mit den Rundfunkanstalten und den Ministerpräsidenten der Länder auf folgende Lösung geeinigt: Der öffentliche Rundfunk stellt seine Berichterstattung durch Bild und Ton in den Vordergrund. Dazu gehören laut dem neuen § 2 Abs. 2 Nr. 12 RStV-Entwurf vor allem Hörspiele, Spielfilme, Serien, Reportagen, Dokumentationen, Unterhaltungs-, Informations- oder Kindersendungen.
Presseähnliche Texte sollen, wenn möglich, nicht mehr Teil des Angebots der Rundfunkanstalten auf Webseiten und in Apps sein (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV-Entwurf). Allenfalls Benutzeroberflächen (z.B. im Videotext oder im Internet) und Programmübersichten werden beibehalten. Auch Manuskripte der Sendungen dürften in Textform veröffentlicht und Hintergründe knapp beleuchtet werden. Darüber hinaus soll eine Schlichtungsstelle eingerichtet werden, die in zukünftigen Auseinandersetzungen zwischen den Verlagen und den Rundfunkanstalten vermittelt.
Dagegen soll das Angebot der Sender hinsichtlich der Mediatheken ausgeweitet werden. Sie entscheiden nun selbst, wie lange sie die Produktionen in den Archiven zur Verfügung stellen. Bisher war dies für nur maximal 7 Tage zulässig. Darüber hinaus sollen auch ausländische Filme und Sendungen (Lizenzware) eingekauft werden und in den Mediatheken abrufbar sein. Allerdings bleibt dies auf europäische Produktionen beschränkt.
Plattformregulierung überarbeitet
Auch die Plattformregulierung wird neu strukturiert. Statt bisher für „Plattformen“, gelten die Regeln jetzt für „Medienplattformen und Benutzeroberflächen“, vgl. § 1 Abs. 7 i.V.m. §§ 52 ff. des neuen Entwurfs. Als Plattformanbieter gilt, wer Rundfunkprogramme und vergleichbare, also rundfunkähnliche Telemedien zu einem Gesamtangebot zusammenstellt und es Kunden anbietet. Medienplattformen bündeln also verschiedene Medienangebote.
Der neue RStV wird auch Regeln für die Ausgestaltung von Benutzeroberflächen vorsehen. Dazu führt der Dachverband der vierzehn Landesmedienanstalten aus, dass die Benutzeroberfläche eines Plattformanbieters, etwa der Elektronische Programmführer (EPG), erheblichen Einfluss auf die Auffindbarkeit von Fernsehprogrammen durch die Zuschauer habe. Als Bedienoberfläche stehe sie zwischen Nutzern und Programmanbietern und könne so die Meinungsbildung beeinflussen.
Wer als Plattformanbieter einen EPG anbiete, müsse daher die chancengleiche Darstellung und Auffindbarkeit der Programme gewährleisten. Dies werde aktuell z.T. schon von einigen Plattformanbietern sichergestellt, indem z.B. mehrere Listen mit verschiedenen Sortierkriterien (nach Genre, alphabetisch etc.) angeboten werden oder indem die Nutzer die Reihenfolge der Sender verändern und eine Favoritenliste anlegen könnten.
Regulation von Medienintermediären
Relevant wird der neue RStV auch für soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Videoportale und Messenger-Dienste. Auf diese sogenannten „Medienintermediäre“ kommen im neuen RStV Pflichten zur Sicherung der Medienvielfalt zu, vgl. §§ 53c ff. des Entwurfs. Beispielsweise müssen Anbieter von Medienintermediären leicht erkennbar über die aktuellen Kriterien informieren, anhand derer sie über den Zugang oder die Präsentation eines Inhalts entscheiden: Warum wird einem Benutzer dieses konkrete Video vorgeschlagen? Wieso erscheint ein Beitrag in der Aufzählung vor einem anderen? Kriterien können hier etwa die Bewertung des Beitrags oder bereits analysierte Präferenzen eines Benutzers sein.
Wer besonders großen Einfluss hat, darf zudem bestehende Angebote nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandeln („Diskriminierungsfreiheit“). Die Länder erhalten zur weiteren Konkretisierung eine Satzungsbefugnis.
Neue Ausnahmen vom Rundfunkbegriff
Eine weitere wichtige Änderung ist die Beschränkung des Rundfunkbegriffs auf „journalistisch-redaktionell gestaltete“ Angebote (vgl. § 2 Abs. 1 des Entwurfs). Dies war zuvor in Form einer Ausnahme geregelt, ist jetzt aber bereits Bestandteil der Definition.
Zulassungsfreie Rundfunkprogramme werden im neuen Art. 20b als „Bagatellrundfunk“ aufgezählt. Danach benötigen solche Programme, die aufgrund ihrer geringen journalistisch-redaktionellen Gestaltung, ihrer begrenzten Dauer und Häufigkeit der Verbreitung, ihrer fehlenden Einbindung in einen auf Dauer angelegten Sendeplan oder aus anderen vergleichbaren Gründen nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten keine Zulassung.
Außerdem sind solche Programme, die jedenfalls weniger als 5.000 Nutzern zeitgleich angeboten werden, zulassungsfrei. Damit wird die bisherige Schwelle von 500 Nutzern verzehnfacht. Den Entwicklungen des Internets wird darüber hinaus in besonderer Weise Rechnung zu tragen: Rundfunkprogramme im Internet, die regelmäßig einen Monatsdurchschnitt von 20.000 Zuschauern nicht erreichen, gelten ebenfalls als Bagatellrundfunk.
Eine weitere Ausnahme wird speziell auf Wunsch der Anhänger sogenannter „Game-Streams“ eingefügt, bei denen Spieler bekannter Computerspiele Videos veröffentlichen, in denen sie besonders schwere Herausforderungen meistern oder Tipps und Tricks verraten. Bisher fielen diese unter die Lizenzpflicht. Auch für Influencer hat die Neuregelung Bedeutung: Bei ihrer regelmäßigen Verbreitung von Live-Content auf Facebook und Instagram fürchteten viele Influencer der Zulassungspflicht für Rundfunkangebote zu unterfallen.
Neuer Rundfunkstaatsvertrag: Die Zukunft der Nachrichten
Im Ergebnis werden durch die neuen Vorschriften für Benutzeroberflächen und Intermediäre zwar neue Bereiche reguliert, in denen zuvor mehr Freiraum bestand. Durch die Einführung neuer Ausnahmen für die Zulassungspflicht und die Anpassung der Höhe der Mindestzuschauer werden aber auch zuvor strengere Regularien gelockert. So findet jedenfalls teilweise eine Anpassung an neue Kommunikationsformen statt.
Bis zu einer endgültigen Verabschiedung des 22. Rundfunkstaatsvertrags wird öffentlich und medienwirksam zu einer Mitwirkung an dem bisherigen Entwurf aufgerufen. Motivierte oder besorgte Bürger dürfen bis auf weiteres Kritik und Wünsche äußern. Jedenfalls offiziell sind die obigen Änderungen daher noch nicht in Stein gemeißelt. Darüber hinaus ist es in Anbetracht der im September bevorstehenden Änderung der europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (sogenannte „AVMD-Richtlinie“, RL 2010/13/EU) ebenfalls möglich, dass auch in den 22. RStV noch Ergänzungen oder Änderungen aufgrund europäischer Vorgaben einfließen.
Mitarbeit: Fiona Schönbohm