Das OLG Hamm hat dem Bieter eines Vergabeverfahrens einen Anspruch auf Erstattung zusätzlicher Kosten für die Angebotserstellung zugesprochen.
Nach dem Urteil des OLG Hamm vom 6. August 2015 (U 130/12, 17) kann der Bieter eine angemessene Entschädigung verlangen. Dabei seien der voraussichtliche durchschnittliche Zeitaufwand für die Erstellung des Angebots sowie die üblicherweise kalkulierten Personal- und Materialkosten anzusetzen.
Noch angemessen sei eine Entschädigung, die 30% unter den Angebotsbearbeitungskosten eines fiktiven durchschnittlichen Bieters liege.
Bieter bekam keinen Zuschlag und verlangt Aufwandsentschädigung
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Auftraggeber als Träger der Straßenbaulast Straßenbau- und Straßenerhaltungsmaßnahmen ausgeschrieben. Die Leistung sollte im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft für einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren erbracht werden.
Die Vergabe erfolgte im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens in mehreren Stufen. Im Teilnahmewettbewerb und dem anschließenden Verhandlungsverfahren waren die Bieter aufgefordert, Konzepte auszuarbeiten, die im Laufe des Verfahrens zu konkretisieren waren. Der Auftraggeber wies dabei darauf hin, dass die Bieter mit einem noch festzusetzenden Pauschalbetrag teilweise für ihren Aufwand entschädigt werden sollen, wobei kein Rechtsanspruch auf eine solche Entschädigung bestehen sollte.
Der später klagende Bieter erhielt keinen Zuschlag. Daraufhin forderte er den Auftraggeber zur Zahlung seines mit rund 2,1 Mio. € bezifferten Aufwandes auf. Der Auftraggeber zahlte lediglich eine Entschädigung von 50.000 €.
Das OLG Hamm hat mit seiner bahnbrechenden Entscheidung dem Kläger einen Teil der geforderten Summe als Schadensersatz zugesprochen.
Vorvertragliches Schuldverhältnis verpflichtet zur gegenseitigen Rücksichtnahme
Zwischen dem Auftraggeber und dem Bieter sei durch das Vergabeverfahren ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet worden, welches zur gegenseitigen Rücksichtnahme sowie zur Einhaltung der Anforderungen der VOB/A durch die Vergabestelle verpflichte.
Der Auftraggeber habe die sich aus § 20 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A 2006 (entspricht § 8 Abs. 8 Nr. 1 VOB/A n.F.) ergebende Pflicht zur Festsetzung einer angemessenen Entschädigung verletzt. Hiernach entsteht für den Auftraggeber eine Entschädigungspflicht, soweit die Ausarbeitung von Unterlagen einen Umfang hat, der nicht zu der regelmäßig zu erwartenden Angebotsbearbeitung gehört und der Auftraggeber in der Ausschreibung Aufgaben auf den Bieter verlagert, die eigentlich ihm selbst obliegen.
Dies hat das OLG angesichts der im Verfahren zu erarbeitenden zahlreichen Unterlagen, wie umfassende Konzepte zur Umsetzung des Projekts, Terminplan, Erhaltungsprogramm mit Erhaltungskonzept, Erhaltungsplan und Finanzmodell, bejaht. Die Bieter mussten eigenständig umfangreiche Lösungen für die vom Auftraggeber gestellte Bauaufgabe erarbeiten.
Auftraggeber muss angemessene Entschädigung leisten
Das OLG Hamm geht davon aus, dass zur Bemessung einer angemessenen Entschädigung der voraussichtliche durchschnittliche Zeitaufwand für die Erstellung des Angebots sowie die üblicherweise kalkulierten Personal- und Materialkosten anzusetzen sind.
Im zugrundeliegenden Fall habe dem Auftraggeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB zugestanden, welches er nach billigem Ermessen auszuüben habe.
Zur Bemessung des Schadensersatzes sieht das OLG Hamm die untere Ermessensgrenze, bei welcher eine Festsetzung des Entschädigungsbetrags durch den Auftraggeber als noch angemessen anzusehen wäre, als maßgeblich an. Daher nimmt das OLG Hamm von den ermittelten Angebotsbearbeitungskosten eines fiktiven durchschnittlichen Bieters einen Abzug in Höhe von 30% vor.
Die Entscheidung ist wegweisend – lässt aber einige Fragen offen
Das OLG gibt einen Anhalt, was im Rahmen der Bieterentschädigung nach Vergaberecht mindestens als angemessen anzusehen ist. Daran sollten sich Vergabestellen künftig orientieren.
Das Gericht verneint einen direkten Anspruch des Bieters auf Entschädigung aus § 20 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A 2006 (zukünftig § 8 Abs. 8 Nr. 1 VOB/A n.F.). Anknüpfungspunkt für den Entschädigungsanspruch ist die Verletzung der Rechtspflicht des öffentlichen Auftraggebers, eine angemessene Entschädigung festzulegen.
Da die Entschädigungspflicht im Vergaberecht verankert ist, fragt sich, ob der Bieter mit seinem Anspruch ausgeschlossen ist, wenn er den Verstoß durch Festsetzung keiner oder einer zu geringen Entschädigung nicht rechtzeitig nach § 107 Abs. 3 GWB (zukünftig § 160 Abs. 3 GWB n.F.) rügt. Das OLG Hamm hatte die Frage, ob sich die Unterlassung der Rüge auch auf den Schadensersatzanspruch auswirkt, offenlassen können.
Es empfiehlt sich für einen betroffenen Bieter immer, die Rüge rechtzeitig zu erheben. Öffentliche Auftraggeber sollten sorgfältig prüfen, ob und in wieweit sie zukünftig hinreichend angemessene Entschädigung festsetzen.
Zu beachten ist, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH in dem anhängigen Revisionsverfahren (Az. X ZR 93/15) die Entscheidung bestätigt.