14. August 2025
Compliance

Insolvenzstrafrecht – Wie Ermittlungsbehörden Unternehmen in der Krise unter die Lupe nehmen

In Unternehmenskrisen droht Insolvenzverschleppung, weshalb finanzielle Situation und Insolvenzantragsfrist dokumentiert überwacht werden sollten. 

Der von der Europäischen Zentralbank festgelegte Leitzins für den Euroraum liegt derzeit bei 2,00 % – 2,15 %. Damit befindet er sich deutlich unter dem Niveau von 4,5 %, das noch im September 2023 galt. In den USA liegt der Leitzins aktuell bei 4,25 % – 4,50 %. Trotz der jüngsten Zinssenkungen bleibt das Umfeld durch vergleichsweise hohe Refinanzierungskosten geprägt. Dies erhöht naturgemäß das Risiko rezessiver Entwicklungen und wirtschaftlicher Schieflagen einzelner Unternehmen. Anlass genug, den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung aus einem praktischen Blickwinkel genauer zu beleuchten.

Hintergrund der strafbewehrten Insolvenzantragspflicht

Gemäß § 15a InsO muss ohne schuldhaftes Zögern ein Insolvenzantrag gestellt werden, wenn eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet wird. Die dort normierte strafbewehrte Insolvenzantragspflicht soll dem Schutz der Gläubiger von beschränkt haftenden Rechtspersönlichkeiten dienen. Hintergrund ist, dass den Gläubigern von Kapitalgesellschaften nur das Gesellschaftsvermögen als Haftungsmasse zur Verfügung steht, während die dahinterstehenden Privatpersonen nicht persönlich haften. 

Diesen Haftungsschutzschirm für die Privatpersonen soll es nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht „umsonst“ geben, sondern die betreffenden Gesellschaftsformen bringen im Gegenzug erhöhte Bericht- und Sorgfaltspflichten mit sich. Hier sind insbesondere die Verpflichtung zur Erstellung von Jahresabschlüssen oder die hier besonders relevante Insolvenzantragspflicht zu nennen. 

Daneben dient die Insolvenzantragspflicht auch dazu, einem Wettlauf der Einzelgläubiger* zu verhindern. Ohne Durchführung eines Insolvenzverfahrens könnte die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) durch Einzelzwangsvollstreckungen zugunsten einzelner, typischerweise besonders gut informierter Gläubiger ausgehöhlt werden. 

Große Gefahr der Strafverfolgung

Die Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist im Bereich des Insolvenzstrafrechts besonders groß. Das liegt an den vielfältigen Möglichkeiten, wie Staatsanwaltschaften Kenntnis von insolvenzrechtlich relevanten Sachverhalten erlangen können. Anders als in anderen Bereichen des Strafrechts ist hier nicht nur die Strafanzeige betroffener Personenkreise, wie etwa verärgerter Gläubiger, zu fürchten. Vielmehr sind verschiedene staatliche Stellen verpflichtet, Mitteilungen an die Staatsanwaltschaften zu tätigen, sog. Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi). Dies betrifft insbesondere die Vollstreckungs- und Insolvenzgerichte, die in Zwangsvollstreckungssachen oder Insolvenzverfahren Mitteilungen an die Staatsanwaltschaften abgeben. So teilen die Insolvenzgerichte insbesondere die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit. Die Vollstreckungsgerichte teilen insbesondere die Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO mit. Daher landen insolvenznahe Gesellschaften fast zwangsläufig früher oder später bei der Staatsanwaltschaft auf dem Tisch. Die Staatsanwaltschaften prüfen anschließend, ob ein Anfangsverdacht vorliegt und ein Strafverfahren einzuleiten ist. 

Wenn die Strafverfolgungsbehörden auf den Plan gerufen werden, rücken oft neben § 15a Abs. 4 InsO auch noch weitere Strafnormen in das Blickfeld. So wird häufig eine Strafbarkeit nach § 266a StGB wegen zu spät bezahlter Arbeitnehmerbeiträge geprüft. Daneben werden regelmäßig auch Buchführung und Jahresabschlüsse der Gesellschaft auf Ordnungsgemäßheit hin analysiert. Soweit diese nicht ordnungsgemäß erstellt wurden, besteht die Gefahr einer Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB oder § 283b Abs. 1 StGB

Strafbewehrte Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO trifft grundsätzlich die gesamte Geschäftsleitung unabhängig von der internen Ressortverteilung

Die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO trifft die Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften, insbesondere Vorstände einer AG sowie Geschäftsführer einer GmbH, UG oder GmbH & Co. KG, um nur die wichtigsten zu nennen. 

Gemäß der Rechtsprechung des BGH ist eine Delegation der Insolvenzantragspflicht zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, sie führt jedoch weitreichenden Kontroll- und Überwachungspflichten. Der BGH führte hierzu in einem Urteil aus dem Jahr 2018 aus (BGH, Urteil v. 6. November 2018 – II ZR 11/17): 

Die persönliche Verantwortung des Geschäftsführers für die Erfüllung der Insolvenzantragspflicht schließt, ein arbeitsteiliges Handeln bzw. eine Ressortverteilung auf der Ebene der Geschäftsführung nicht aus, wenn mehrere Personen als Geschäftsführer bestellt wurden. […] Soweit es um die Wahrnehmung der nicht übertragbaren Aufgaben geht, wie die Einstandspflicht des Geschäftsführers für die Gesetzmäßigkeit der Unternehmensleitung, ist ein strenger Maßstab an die Erfüllung der in einem solchen Falle besonders weitgehenden Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber einem Mitgeschäftsführer anzulegen.

Vor diesem Hintergrund kann sich der einzelne Geschäftsleiter im Ernstfall nur selten erfolgreich auf eine Delegation zurückziehen. Die Staatsanwaltschaften sind hier erfahrungsgemäß sehr streng und gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie gehen regelmäßig davon aus, dass die Antragspflicht alle Organmitglieder trifft, ohne dass es auf deren Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis oder Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis ankäme. Die Staatsanwaltschaften stellen sich meist auf den Standpunkt, dass interne Ressort- und Geschäftsverteilungen bzw. die Absprachen unter den Geschäftsleitern nichts an der persönlichen Verantwortlichkeit aller Mitglieder für die Erfüllung der Insolvenzantragspflicht ändern. Sie bejahen daher regelmäßig bereits aufgrund der formalen Organstellung aller Geschäftsleiter einen für die Anklageerhebung nach § 170 Abs. 1 StPO erforderlichen hinreichenden Tatverdacht, sofern sie Anhaltspunkte für eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht als gegeben ansehen. Möchte sich das einzelne Organmitglied in einem solchen Fall auf eine die Haftung ausschließende sorgfältige Pflichterfüllung berufen, so hat es aus Sicht der Staatsanwaltschaften einen „Ausnahmefall“ nachzuweisen. 

Prävention: Überblick behalten und Dokumentationslage schaffen

Vor diesem Hintergrund ist jedes Organmitglied – trotz interner Aufgaben- bzw. Ressortverteilung – dazu verpflichtet, die Entwicklung der Gesellschaft im Hinblick auf eine mögliche Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zu beobachten. Hierzu müssen die Geschäftsleiter die bilanzielle Entwicklung und die Liquidität der Gesellschaft kontinuierlich beobachten. 

Es muss also sichergestellt werden, dass wirtschaftliche Entwicklungen derart aktuell erfasst werden, dass eine etwaige Überschuldung sofort festgestellt wird. Daneben muss die Liquiditätsentwicklung der Gesellschaft systematisch erfasst und abgebildet werden, um im Ernstfall eine Liquiditätslücke sofort zu erkennen. Denn die Fristen für eine Antragsstellung nach § 15a InsO sind mit drei bzw. sechs Wochen sehr kurz bemessen. Es bleibt also nicht viel Zeit, umzufinanzieren oder zu sanieren, um einen Insolvenzantrag abzuwenden.

Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass es im Krisenfall auch besonders wichtig ist, Maßnahmen zur Beobachtung der Wirtschaftlichkeit und zur Beachtung der Insolvenzantragspflicht genau zu dokumentieren. Sollten die Ermittlungsbehörden auf den Plan gerufen werden, so ist jede Dokumentation für die Verteidigung hilfreich. Nicht selten bestehen dann gute Ansatzpunkte sich dahingehend zu verteidigen, dass eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht jedenfalls nicht vorsätzlich erfolgt ist. Zwar ist es in vielen Fällen schwieriger, auch vollständig aus dem Vorwurf einer fahrlässigen Insolvenzverschleppung herauszukommen. Bereits ein Abrücken von der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung genügt aber, um vor dem Hintergrund des § 6 GmbHG eine „Geschäftsführersperre“ der betroffenen Personen abzuwenden. 

Tags: behördliches Ermittlungsverfahren Compliance Criminal Compliance Insolvenzverschleppung Interne Untersuchungen Sanktionen Sanktionsrecht Strafverteidigung Unternehmensverteidigung Wirtschaftsstrafrecht