12. März 2021
Änderungskündigung Homeoffice
Arbeitsrecht

Anspruch auf Homeoffice-Tätigkeit statt Änderung des Arbeitsortes?

Einen Anspruch auf Homeoffice gibt es in Deutschland nach wie vor nicht. Das Arbeitsgericht Berlin gewährte ihn trotzdem, als ein Arbeitgeber seine Vertriebsaktivitäten in der Zentrale bündelte und die Vertriebsniederlassungen schloss.

Änderungen der Arbeitsbedingungen durch eine Änderungskündigung müssen sich auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der zugrunde liegenden unternehmerischen Entscheidung unabdingbar ist.

Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 10. August 2020 – 19 Ca 13189/19) hat aus diesem allgemeinen Grundsatz den Schluss gezogen, dass Homeoffice statt einer Änderung des Arbeitsortes als milderes Mittel angeboten werden müsse. Es bleibt zu hoffen, dass die weiteren Instanzen dies Entscheidung des ArbG Berlin aufheben, da andernfalls künftig die Gerichte dem Arbeitgeber das „zeitgemäße″ Unternehmerkonzept vorschreiben werden.

Sacherhalt: Niederlassungen sollten geschlossen werden

Der Arbeitgeber hatte sich dazu entschlossen, fünf Niederlassungen zu schließen und seine Vertriebsaktivitäten in der Zentrale in Wuppertal zu bündeln. Dazu wurden ein Interessenausgleich und ein Sozialplan geschlossen, der unter anderem die Schließung der Berliner Niederlassung zum 31. Dezember 2019 vorsah. 

Die Arbeitnehmerin war seit ca. 27 Jahren in der Berliner Niederlassung als Vertriebsassistentin tätig und erhielt aufgrund der Schließung eine ordentliche Änderungskündigung, die das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2020 beendete und dessen Fortsetzung zu sonst gleichen Konditionen in Wuppertal vorsah. 

ArbG Berlin: Homeoffice hätte angeboten werden müssen

Das Arbeitsgericht Berlin stellte zunächst richtig fest, dass die Schließung der Berliner Niederlassung eine unternehmerische Entscheidung sei, die vom Gericht nicht zu überprüfen wäre. Der Arbeitgeber müsse sich aber bei der Änderung der Arbeitsbedingungen auf das Maß beschränken, dass für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar sei. 

Vorliegend hätte die Änderung der Arbeitsbedingungen auch darin bestehen können, dass die Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit von zu Hause erbringe. Zwar bestehe kein grundsätzlicher Anspruch auf einen solchen häuslichen Arbeitsplatz.Vorliegend sei aber zu beachten, dass der Arbeitgeber auch auf einen gerichtlichen Hinweis nicht dargelegt hätte, warum eine physische Präsenz der Arbeitnehmerin am Standort Wuppertal notwendig sei. Das Beharren des Arbeitgebers erscheine aber 

angesichts der deutlich stärker gewordenen Verbreitung elektronischen Arbeitens von zu Hause durch die Corona-Krise als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich. 

Mit dieser Begründung stellte das Arbeitsgericht Berlin fest, dass die Änderungskündigung unwirksam ist.

Gegen diese Entscheidung hat der Arbeitgeber Berufung zum LAG Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen 4 Sa 1243/20 eingelegt.

Paradigmenwechsel bei der Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen 

Für die Praxis wäre die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin – wenn sie Bestand hätte – ein Paradigmenwechsel. Den bisher ist die Unternehmerentscheidung der gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen:

  • Der Arbeitgeber trägt die Konsequenzen seiner Unternehmensführung allein und muss deshalb auch grundsätzlich allein entscheiden können, in welcher Weise er sein Unternehmen organisiert.
  • Nach herrschender und richtiger Auffassung überprüfen Gerichte vor diesem Hintergrund unternehmerische Maßnahmen im Kündigungsschutzprozess nicht auf ihre Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit hin. Denn Gerichte sind nicht die „besseren″ Unternehmer, die dem Arbeitgeber organisatorische Vorgaben machen könnten, weshalb es auch irrelevant ist, ob ein Gericht ein gewähltes Konzept für stichhaltig hält oder nicht.
  • Bei der gerichtlichen Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen geht es ausschließlich um eine Missbrauchskontrolle, die vor allem Umgehungsfälle umfasst (so bspw. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 1. März 2007 – 2 Sa 18/07). Im Übrigen sind unternehmerische Organisationsentscheidungen mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei.
  • Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht zudem die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (BAG, Urteil v. 31. Juli 2014 – 2 AZR 422/13).

Das Bundesarbeitsgericht hat einmal in einem ähnlichen Fall – es ging um die Konzentration der Telefonberatung an einem Ort – einen Anspruch auf Homeoffice angenommen (BAG, Urteil v. 2. März 2006 – 2 AZR 64/05). Dort hieß es aber im Interessenausgleich, dass auf Wunsch der Mitarbeiter im Rahmen der technischen und arbeitsorganisatorischen Möglichkeiten ein Homeoffice-Arbeitsplatz eingerichtet werde. Zusätzlich ging es um einen Mitarbeiter mit tariflichem Kündigungsschutz, der nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden konnte. Die außerordentliche Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist unterliegt wesentlich höheren Anforderungen als die ordentliche Änderungskündigung. In diesem speziellen Fall hat das BAG ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Betriebsparteien das unternehmerische Konzept als grundsätzlich vereinbar mit einzelnen Heim-Arbeitsplätzen angesehen hätten, weil dies so im Interessenausgleich verankert sei. Deshalb folgte es der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 2. Dezember 2004 – 16 Sa 1261/04), dass zunächst die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem Heim-Arbeitsplatz zu prüfen und nur dann auszuschließen sei, wenn speziell auf den Arbeitnehmer und seine Tätigkeit bezogene arbeitsorganisatorische Gründe dies im Hinblick auf die Durchsetzung des Gesamtkonzepts unzumutbar machten.

Insofern belegt die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2006 gerade den Respekt des Gerichts vor der getroffenen Unternehmerentscheidung und gestaltet diese nicht um.

Gerichte sind nicht die „besseren Unternehmer″

Die dargestellten, seit Jahrzehnten zu Recht geltenden Grundsätze, hätten es dem Arbeitsgericht Berlin eigentlich verwehren müssen, weitere Begründungen für die Unternehmerentscheidung zu verlangen und die Änderungskündigung mit Verweis auf die Möglichkeit einer Homeoffice-Tätigkeit für unwirksam zu erklären: 

  • Die Vertriebsaktivitäten des Arbeitgebers sollten in Wuppertal gebündelt werden.
  • Fünf Filialen waren zu diesem Zweck geschlossen worden.
  • Interessenausgleich und Sozialplan waren vereinbart.
  • Es gab beim Arbeitgeber keinen Anspruch auf Homeoffice und außer im Außendienst wurde auch nicht im Homeoffice gearbeitet, wenn nicht gerade die Corona-Pandemie aus Arbeitsschutzgründen etwas anderes verlangte. 

Für diese tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie nicht auf Rechtsmissbrauch beruht. Trotzdem dem Arbeitgeber das Homeoffice als milderes Mittel vorschreiben zu wollen, bedeutet einen massiven Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Denn die dezentrale Tätigkeit aus den verschiedensten Homeoffices heraus ist gerade das Gegenteil einer Bündelung von Aktivitäten an einem Standort, die durch die Schließung der Filialen erreicht werden sollte. Sie stellt die getroffene Unternehmerentscheidung auf den Kopf. 

Zwar ist es richtig, dass im Kündigungsschutzprozess jeder individuelle Fall im Detail betrachtet und entschieden wird. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass der Arbeitgeber für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens Entscheidungen treffen muss, die das Kollektiv der Arbeitnehmer betreffen. Wenn die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers nicht mehr akzeptiert würde und über das „mildere Mittel″ jedes Gericht seine Vorstellungen an einen Arbeitsplatz umsetzen könnte, wären letztlich die Gerichte die neuen (nicht haftenden) Unternehmer im Land, die über die „moderne″ und „richtige″ Unternehmensführung entscheiden. Genau das wurde bisher und wird hoffentlich auch in Zukunft zu Recht abgelehnt.

Update

Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 24. März 2021 (4 Sa 1243/20) die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin aufgehoben. Es gab der Berufung des Arbeitgebers statt und wies die Klage insgesamt ab.

Im Ergebnis steht der Vertriebsassistentin nun also doch kein Anspruch auf Homeoffice zu. Die Richter des LAG argumentierten, dass das Angebot eines Homeoffice Arbeitsplatzes zumindest dann keine mildere Maßnahme im Rahmen einer Änderungskündigung sein könne, wenn es Teil der unternehmerischen Entscheidung ist, bestimmte Arbeitsplätze in der Zentrale des Arbeitgebers zu konzentrieren und für diese Arbeitsplätze keinen Homeoffice Arbeitsplatz anzubieten. Der zuvor von uns monierte massive Eingriff in die unternehmerische Freiheit ist mithin vom Tisch.

Tags: Homeoffice Niederlassung