13. August 2019
Betriebsübergang Betriebsrente
Arbeitsrecht

Betriebsübergang und betriebliche Altersversorgung

Betriebserwerber, auf die Arbeitsverhältnisse übergehen, haften für vom Veräußerer zugesagte Betriebsrenten. Sie können die Leistungen aber einschränken.

Die Haftung des Betriebserwerbers für Versorgungslasten kann ein hohes Risiko bedeuten. So sind bei unmittelbaren Versorgungszusagen für die Verbindlichkeiten Rückstellungen in der Bilanz zu bilden, die den Unternehmenswert mindern.

Werden die Versorgungszusagen über mittelbare Durchführungswege durchgeführt, muss der Erwerber Beiträge an den jeweiligen Versorgungsträger (Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds) abführen und ist mit der vom Betriebsrentengesetz angeordneten Ausfallhaftung (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG) belastet. Betriebserwerber versuchen daher insbesondere im Nachgang eines Betriebsübergangs oft, die übernommenen Versorgungslasten abzumildern oder das übernommene Versorgungssystem in ein bereits bei ihnen bestehendes Versorgungssystem zu überführen.

In seinem Urteil vom 12. Juni 2019 (Az. 1 AZR 154/17) hat das BAG neben Aussagen zur Ablösung von Betriebsvereinbarungen noch einmal klargestellt, dass es einem Betriebserwerber nicht grundsätzlich verboten ist, kollektive Regelungen wie Versorgungsordnungen zu verschlechtern.

Versorgungsordnung des Betriebserwerbers gilt auch für übernommene Arbeitnehmer

Relativ unproblematisch lassen sich Pensionsverpflichtungen jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft ab dem Betriebsübergang begrenzen. Hierfür muss sowohl beim Betriebsveräußerer als auch beim Betriebserwerber vor dem Betriebsübergang die betriebliche Altersversorgung jeweils durch eine Betriebsvereinbarung oder jeweils durch einen Tarifvertrag geregelt sein und das Regelwerk des Betriebserwerbers geringere Versorgungsleistungen vorsehen.

Hintergrund ist: Auch im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung gelten insoweit grundsätzlich die allgemeinen Regelungen des Betriebsübergangsrechts. Demnach verdrängen kollektivrechtliche Regelungen, die beim Betriebserwerber bestehen, die kollektivrechtlichen Regelungen, die die übernommenen Arbeitnehmer von ihrem alten Arbeitgeber „mitbringen″, soweit sie denselben Regelungsgegenstand haben und soweit es sich um dieselbe Regelungsebene handelt (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Dies bedeutet, dass Regelungen aus Betriebsvereinbarungen nur von Betriebsvereinbarung verdrängt werden können und Reglungen aus Tarifverträgen nur von Tarifverträgen.

Aber: Besitzstandswahrung beachten

Diese Verdrängung gilt bei der betrieblichen Altersversorgung allerdings nicht uneingeschränkt. Denn würden die gesetzlichen Regelungen „pur″ angewendet, würde auch für die Versorgungsanwartschaften aus der Zeit vor dem Betriebsübergang die Versorgungsregelung des Betriebserwerbers gelten.

Um dies zu verhindern, hat die Rechtsprechung zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer einen Besitzstandschutz entwickelt: Den übergehenden Arbeitnehmern muss der Besitzstand, den sie bei ihrem alten Arbeitgeber vor dem Betriebsübergang erdient haben, in aller Regel erhalten bleiben. Dies hat das BAG (Urteil v. 24. Juli 2001 – 3 AZR 660/00) damit begründet, dass die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer, die beim bisherigen Arbeitgeber unter der Geltung der dortigen Versorgungsordnung eine bestimmte Zeit im Arbeitsverhältnis zurückgelegt hätten, darauf vertrauen dürften, dass ihnen die dort erworbenen Anwartschaften nicht mehr genommen würden. Besitzstandswahrung bedeutet in diesem Fall, dass bei Eintritt des Rentenfalls die Betriebsrente mindestens so hoch sein muss, wie sie gewesen wäre, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre. Der Wert dieses Besitzstands ist gemäß § 2 BetrAVG (sog. m/n-tel Berechnung) zu berechnen.

Nur zwingende Gründe können einen Eingriff in den solchermaßen geschützten Besitzstand rechtfertigen. Dies kann der Fall sein, wenn das Unternehmen durch die Versorgungslast ausgezehrt wird. In der Praxis wird es einem Arbeitgeber kaum gelingen, dies nachzuweisen.

Sonstige Eingriffe mit Auswirkungen auf zu erwerbende Anwartschaften möglich

Möglich sind hingegen zumeist Eingriffe, die sich auf noch nicht erdiente, sondern künftig erst noch zu erwerbende Anwartschaften auswirken. Die Einzelheiten sind komplex. Dabei genügen für eine Kürzung künftiger dienstzeitabhängiger Zuwachsraten sog. sachlich-proportionale Gründe.

Ein Beispiel hierfür ist eine Versorgungsordnung, nach der der Arbeitnehmer in jedem Jahr des Arbeitsverhältnisses eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente in Höhe von 0,5 % des Bruttojahresgehalt erhält. Soll dieser Prozentsatz für künftige Jahre auf 0,3 abgesenkt werden, muss der Arbeitgeber nachvollziehbare, anerkennenswerte und damit willkürfreie Gründe darlegen. Hierfür kann eine wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des Unternehmens genügen (BAG, Urteil v. 13. Oktober 2015 – 3 AZR 18/14), wobei die Rechtsprechung auch in einem solchen Fall von dem Arbeitgeber im Rechtsstreit umfangreiche Darlegungen erwartet. Einer sauberen Dokumentation insbesondere der wirtschaftlichen Grundlagen des Eingriffs kommt daher eine besondere Bedeutung zu.

Kein allgemeines Verschlechterungsverbot durch europäische Vorgabe

Seit längerem wurde diskutiert, ob sich diese Grundsätze der Rechtsprechung des BAG halten lassen oder ob aufgrund europäischer Vorgaben die Eingriffsmöglichkeiten in Versorgungsanwartschaften noch weiter begrenzt werden müssen. Anlass für diese Unsicherheit war ein Urteil des EuGH (Urteil v. 6. September 2011 − C-108/10; Rechtssache Scattolon). Dieses Urteil wurde von Teilen der Literatur so interpretiert, dass sich infolge eines Betriebsübergangs die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer nicht verschlechtern dürften, wobei dieses Verschlechterungsverbot auch für die betriebliche Altersversorgung gelten sollte.

Das BAG hat aber nun klargestellt, dass solch eine Schlussfolgerung unzutreffend ist. Denn der EuGH hat an anderer Stelle selbst ausgeführt, dass ein Betriebserwerber berechtigt ist, die bei ihm geltenden kollektivrechtlichen Regelungen ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs auch auf die übernommenen Arbeitnehmer anzuwenden. Die hergebrachten Grundsätze des BAG, unter welchen Voraussetzungen in Versorgungsanwartschaften eingegriffen werden darf (sog. Drei-Stufe-Theorie), finden also nach wie vor Anwendung.

Praxistipp: Versorgungslasten prüfen

Für die Praxis bedeutet dies, dass die betriebliche Altersversorgung weiterhin ein wichtiger Aspekt bei dem Erwerb eines Betriebs ist. Jeder Erwerber sollte im Vorfeld im Rahmen der Due Diligence prüfen, welche Versorgungszusagen bei dem Veräußerer bestehen und wie hoch die finanziellen Verpflichtungen sind. Dabei sollte aus Erwerbersicht auch überleget werden, ob übernommene Versorgungszusagen unverändert fortgeführt werden sollen oder ob Möglichkeiten bestehen, die Versorgungslasten zu reduzieren.

Tags: Betriebliche Altersversorgung Betriebsrente Betriebsübergang Betriebsvereinbarung