15. Juni 2015
Tarifeinheitsgesetz
Arbeitsrecht

Das Tarifeinheitsgesetz

Das Tarifeinheitsgesetz kommt! Neben vielen Änderungen ist auch das Arbeitskampfrecht mittelbar betroffen.

Am 22. Mai 2015 hat der Bundestag mit 444 Jastimmen das Gesetz zur Tarifeinheit verabschiedet. Das Gesetz wird nach Zustimmung durch den Bundesrat in Kraft treten.

Mit dem Gesetz und den sich daraus ergebenden Konsequenzen müssen sich insbesondere solche Betriebe beschäftigen, in denen Tarifpluralität herrscht bzw. herrschen kann und die Gefahr von Tarifkollisionsstreitigkeiten besteht.

Um Ihnen Aufwand zu ersparen, haben wir nachstehend die aus unserer Sicht wesentlichen Aspekte im Hinblick auf das Tarifeinheitsgesetz zusammengefasst, das Änderungen im Tarifvertragsgesetz (TVG) und im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) vorsieht:

Hintergrund

Das Bundesarbeitsgericht hat den Grundsatz der Tarifeinheit „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ im Jahre 2010 aufgehoben. Dies hat es damit begründet, dass der Grundsatz weder auf eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsgrundlage noch auf übergeordnete Prinzipien der Rechtssicherheit oder der Rechtsklarheit gestützt werden kann und einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Koalitionsfreiheit des Art. 9 III GG darstellt. Seitdem ist es möglich, dass für dieselbe Beschäftigungsgruppe unterschiedliche Tarifverträge in Konkurrenz stehender Gewerkschaften gleichzeitig zur Anwendung kommen.

Prominentestes Beispiel hierfür ist der Tarifstreit der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL, die mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG konkurriert.

Aus Sicht des Gesetzgebers besteht Handlungsbedarf, weil Tarifkollisionsstreitigkeiten den Betriebsfrieden aufgrund von Verteilungskämpfen nachhaltig beeinträchtigen können und vor allem die in wirtschaftlichen Krisenzeiten erforderlichen Gesamtkompromisse gefährden. Sie können dazu führen, dass sich Arbeitgeber jederzeit Forderungen konkurrierender Gewerkschaften ausgesetzt sehen, die mittels Streiks durchgesetzt werden können.

Mehrheitsprinzip

Das Tarifeinheitsgesetz sieht durch die Einfügung eines neuen § 4 a TVG zunächst vor, dass im Fall einer Überschneidung von Geltungsbereichen nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften nur die Rechtsnormen derjenigen Gewerkschaft Anwendung finden, die im Zeitpunkt des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. Dieses betriebsbezogene Mehrheitsprinzip soll gewährleisten, dass der Tarifvertrag zur Anwendung gelangt, der die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt. In dem Fall, dass sich verschiedene Gewerkschaften in einer Tarifgemeinschaft zusammengeschlossen haben, deren Tarifvertrag mit dem einer konkurrierenden Gewerkschaft kollidiert, ist die Zahl der in der Tarifgemeinschaft insgesamt verbundenen Arbeitnehmer maßgeblich. Die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse sind so lange zu beachten, bis es zu einer neuen Tarifkollision kommt.

Der Grundsatz der Tarifeinheit soll jedoch weder das Entstehen tarifpluraler Situationen verhindern noch soll er bestehende Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner beschränken. Er greift vielmehr nur subsidiär. Die Parteien sollen primär durch autonome Entscheidungen Tarifkollisionen vermeiden, zum Beispiel, indem Gewerkschaften gemeinsam ihre Tarifverträge in einer Tarifgemeinschaft verhandeln.

Verfahrensrechte der in Konkurrenz stehenden Gewerkschaften

Die Belange der in Konkurrenz stehenden Gewerkschaften sollen durch die Schaffung von Verfahrensrechten berücksichtigt werden.

Einer Minderheitsgewerkschaft, die im Fall einer Tarifkollision nicht an den Tarifverhandlungen der konkurrierenden Gewerkschaft beteiligt wird und der Nachteile durch die Verdrängung ihres bereits abgeschlossenen Tarifvertrags im Wege der gesetzlichen Tarifeinheit entstehen, soll durch ein sogenanntes Nachzeichnungsrecht Rechnung getragen werden. Danach kann eine Minderheitsgewerkschaft vom Arbeitgeber oder von der Vereinigung der Arbeitgeber die Nachzeichnung der Rechtsnorm eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags verlangen. Ein Nachzeichnungsrecht steht jedoch einer Gewerkschaft, die nach ihrer Satzung in dem Bereich zwar einen Tarifvertrag abschließen könnte, diesen aber bisher noch nicht erwirkt hat, nicht zu. Außerdem bleibt die nachzeichnende Gewerkschaft an die Friedenspflicht aus ihrem Tarifvertrag gebunden. Im Hinblick auf das Nachzeichnungsrecht ist im Übrigen zu beachten, dass es mit jedem Abschluss eines kollidierenden Tarifvertrags erneut ausgelöst wird.

Darüber hinaus steht der jeweils konkurrierenden Gewerkschaft ein vorgelagertes Anhörungsrecht zu, was jedoch kein Recht auf Erörterung oder Verhandlung umfasst. Das Anhörungsrecht gilt, sobald der Arbeitgeber oder die Vereinigung von Arbeitgebern mit einer Gewerkschaft Verhandlungen führt. Die in Konkurrenz stehende Gewerkschaft ist im Zuge dessen berechtigt, dem Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen. Durch das Anhörungsrecht soll versucht werden, im Vorfeld von Tarifvertragsabschlüssen Tarifforderungen aufeinander abzustimmen und somit Tarifkollisionen zu vermeiden.

Das Anhörungsrecht gibt der Gewerkschaft ein materielles Recht, das im Klagewege geltend gemacht werden kann. Die Anhörung ist jedoch keine Voraussetzung für den Abschluss des Tarifvertrags mit der Mehrheitsgewerkschaft.

Bekanntgabepflichten des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat insbesondere vor dem Hintergrund des Anhörungsrechts die Aufnahme von etwaigen Tarifverhandlungen rechtzeitig und in geeigneter Weise bekannt zu geben. Rechtzeitig ist eine Bekanntgabe, wenn sie unverzüglich nach Aufnahme der Tarifverhandlungen und möglichst vor Abschluss des Tarifvertrags erfolgt. Die Bekanntgabe an die konkurrierende Gewerkschaft kann dabei durch eine mündliche, elektronische oder schriftliche Mitteilung, bei Verhandlungen über einen Firmentarifvertrag sogar durch einen Aushang in der betroffenen Betriebsstätte erfolgen.

Durch das Tarifeinheitsgesetz wird der Arbeitgeber zudem verpflichtet, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge sowie die rechtskräftigen Beschlüsse über den nach dem Mehrheitsprinzip anwendbaren Tarifvertrag im Betrieb bekannt zu machen. Die Bekanntmachung hat dabei so zu erfolgen, dass alle Arbeitnehmer des Betriebs ohne besondere Mühe die Möglichkeit haben, die anwendbaren Tarifverträge und Beschlüsse zur Kenntnis zu nehmen. Praktisch kann die Bekanntmachung durch Auslage, aber auch durch Veröffentlichung im Intranet erfolgen.

Sonstige Änderungen

Neben den Änderungen im Tarifvertragsgesetz sieht der Gesetzesentwurf eine entsprechende Anpassung des ArbGG vor. Die Arbeitsgerichte sollen demnach über den im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag im Wege des Beschlussverfahrens mit bindender Wirkung für Dritte entscheiden.

Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit

Über das Tarifeinheitsgesetz herrscht eine rege Diskussion hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit. Diejenigen, die die Verfassungsmäßigkeit bejahen, argumentieren, dass durch die Tarifeinheit weder das Streikrecht noch die Koalitionsfreiheit angetastet werden. Nach anderer Auffassung sei das Gesetz verfassungswidrig, da es in die durch Art. 9 III GG gewährleistete Tarifautonomie eingreife. Die Gegenansicht ist der Meinung, dass das Gesetz überflüssig sei, da Deutschland insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern überhaupt kein Problem mit zu vielen Streiks habe. Vor diesem Hintergrund ist es absehbar und nur eine Zeitfrage, dass das Gesetz eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht erfahren wird. Das Bundesverfassungsgericht wird dann zu entscheiden haben, ob ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit vorliegt und wenn ja, ob dieser verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.

Auswirkungen auf das Arbeitskampfrecht

Das Gesetz ändert das Arbeitskampfrecht nicht unmittelbar. Das Gesetz enthält keine Regelungen dazu. Die Gewerkschaften sind nach wie vor berechtigt, ihre Tarifforderungen durch Arbeitskämpfe durchzusetzen. Dieses Recht ergibt sich aus der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit. Jedoch kann der jeweilige Arbeitgeber vor dem Hintergrund des eigenen Schutzes sowie des Schutzes der Allgemeinheit oder nicht am Streik Beteiligter eine Überprüfung der Zulässigkeit des Arbeitskampfs, beispielsweise im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, erwirken. Im Rahmen dessen ist durch das Gericht die Verhältnismäßigkeit des jeweiligen Arbeitskampfs zu überprüfen. Der Streik muss zur Erreichung des Tarifziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Mit Blick auf das Tarifeinheitsgesetz wird die Verhältnismäßigkeit des Streiks jedoch im Einzelfall im Sinne der Tarifeinheit zu entscheiden sein. Arbeitgeber können daher wohl Streiks einer Minderheitsgewerkschaft durch einstweilige Verfügung untersagen lassen.

Sofern Sie zu diesem sowie anderen Themen im Rahmen der Einführung des Tarifeinheitsgesetzes noch Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

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