Ende Mai hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit die Reform der europäischen Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG) beschlossen.
Vorübergehend im europäischen Ausland zu arbeiten – das gehört für viele Arbeitnehmer in der Europäischen Union mittlerweile zur Normalität. Zwischen 2010 und 2016 stieg die Zahl der Entsendungen innerhalb der EU um 69 %. Im Jahr 2016 wurden über 2,3 Millionen Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber in andere Mitgliedstaaten entsandt.
Mit der steigenden Zahl der Entsendungen in Europa stieg auch das Unbehagen in den westlichen EU-Staaten – allen voran Frankreich und die Benelux-Staaten – die die Funktionsfähigkeit ihres Arbeitsmarktes durch günstigere Arbeitskräfte aus Osteuropa gefährdet sahen. Seit 2016 wurde deswegen über eine Reform der 20 Jahre alten Entsenderichtlinie in zahlreichen Verhandlungsrunden in den europäischen Institutionen gestritten. Herausgekommen ist ein Kompromiss zwischen den polarisierenden Interessen der westlichen und östlichen Mitgliedstaaten.
Entsenderichtlinie: Lohn- und Sozialdumping soll verhindert werden
Bisher waren Unternehmen nur verpflichtet gewisse Mindeststandards wie den Mindestlohn oder Mindestruhezeiten bei ihren entsandten Arbeitnehmern einzuhalten, sodass entsandte Arbeitnehmer häufig zu deutlich günstigeren Konditionen als vergleichbare lokale Arbeitnehmer eingesetzt werden konnten. Die nun beschlossenen Änderungen der Entsenderichtlinie – die bis 2020 von den europäischen Mitgliedstaaten umzusetzen sind –
sollen dieser Entwicklung entgegenwirken und Lohn- und Sozialdumping effektiv verhindern.
Folgende Änderungen sind beschlossen worden:
- Entsendende Unternehmen sind für die Vergütung ihrer entsandten Arbeitnehmer nun an sämtliche Vergütungsvorschriften im Aufnahmestaat gebunden. Dies gilt nicht nur für Vergütungsvorschriften in Gesetzen, sondern auch für Vergütungsregelungen in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen. Entsandte Arbeitnehmer erhalten somit ab dem ersten Tag den gleichen Tariflohn wie ihre Kollegen im Aufnahmestaat.
- Davon umfasst sind sämtliche Vergütungsbestandteile wie Prämien und Zulagen, wenn sie in gesetzlichen Regelungen oder in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen festgelegt sind. Entsandte Arbeitnehmer erhalten nach Maßgabe der jeweiligen Regelung ebenso wie vergleichbare lokale Arbeitnehmer Weihnachtsgeld, Schlechtwettergeld, Mobilitätsbeihilfen etc.
- Entsendungen sind künftig auf 12 Monate begrenzt und können auf maximal 18 Monate verlängert werden. Nach Ablauf dieser Frist gelten die gesamten verbindlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Aufnahmestaat für entsandte Arbeitnehmer. Davon ausgenommen sind lediglich Vorschriften zur Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen und der betrieblichen Altersversorgung.
- Wird ein entsandter Arbeitnehmer durch einen anderen ersetzt, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt, so wird die Entsendungsdauer der einzelnen Arbeitnehmer addiert. Eine Umgehung der Frist von 12 Monaten durch den roulierenden Austausch von Mitarbeitern ist somit nicht möglich.
- Reise-, Verpflegung- oder Unterbringungskosten im Aufnahmestaat dürfen zukünftig nicht mehr vom Lohn des Arbeitnehmers abgezogen werden. Vielmehr soll der Arbeitgeber diese Kosten übernehmen und sicherstellen, dass die Unterbringung seiner Arbeitnehmer angemessen erfolgt.
Auch der Straßenverkehrssektor ist von der Reform der Entsenderichtlinie betroffen. Sobald die im sog. Mobilitätspaket der EU enthaltenen sektorenspezifischen Rechtsvorschriften in Kraft treten, greifen auch dort die Reformen der Entsenderichtlinie. Den Vorschlag des Verkehrsausschuss, grenzüberschreitende Transporte vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, hat das EU-Parlament abgelehnt.
Auswirkungen der Entsenderichtlinie für deutsche Unternehmen
Deutsche Unternehmen werden die nunmehr beschlossenen Änderungen der Entsenderichtlinie deutlich spüren – dementsprechend groß ist die Kritik aus den Reihen der Arbeitgeberverbände. Diese befürchten einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand und eine massive Behinderung des europäischen Binnenmarktes. Denn nach Deutschland werden in Europa mit Abstand die meisten Arbeitnehmer entsandt. 2016 waren es über 400.000 Arbeitnehmer. Vorwiegend sind diese zu deutlich günstigeren Konditionen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer in der Baubranche, der Industrie oder in sozialen Berufen wie der Altenpflege tätig, jene Sektoren, die besonders im Fokus der Reformbestrebungen lagen. Andersherum werden allerdings auch zahlreiche Arbeitnehmer von deutschen Unternehmen in das europäische Ausland entsandt – 2016 waren es über 260.000 Arbeitnehmer.
Ob sich die Entsendepraxis der deutschen Unternehmen durch die Reform der Entsenderichtlinie künftig ändert, bleibt abzuwarten. Auch wenn die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie dazu verpflichtet sind, alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile und die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen transparent darzustellen und zu veröffentlichen, werden rechtskonforme Entsendungen künftig jedenfalls mit einem deutlich erhöhten bürokratischen Aufwand verbunden sein, dessen Bewältigung insbesondere Unternehmen mit kleinen Personalabteilungen vor eine Herausforderung stellen wird.
Und dass die Reform der Entsenderichtlinie tatsächlich langfristig den fairen Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt sichert, bleibt zu bezweifeln. Denn auch wenn die Löhne nach der neuen Richtlinie angepasst werden müssen und Lohngleichheit hergestellt wird – der Unterschied in der Sozialversicherung bleibt. Denn entsandte Arbeitnehmer können weiterhin Mitglied des Sozialversicherungssystems ihres Heimatlandes bleiben und sich auf diese Weise oftmals zu deutlich günstigeren Bedingungen versichern. Die Lohnkosten für diese Arbeitnehmer werden also auch künftig häufig geringer sein, als die vergleichbarer Arbeitnehmer im Inland.