23. März 2021
Widerruf Vorstandsmitglied Aktiengesellschaft Auszeit
Arbeitsrecht

#stayonboard – „Auszeit″ für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften?

Welche Rechte sollen Vorstände bekommen? Und was bedeutet dies für den Rest-Vorstand und den Aufsichtsrat? Wir zeigen Ihnen die aktuelle Planung.

Nach einem Vorstoß der FDP-Bundestagsfraktion vom Juli 2020 (BT-Drs. 19/20780) sowie einem Beschluss der Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister vom November 2020 sieht ein Änderungsvorschlag des Bundesjustizministeriums eine Ergänzung des Entwurfs des Zweiten Führungspositionen-Gesetzes vor. 

Dem in der Ressortabstimmung befindlichen Vorschlag zufolge soll der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft künftig die Bestellung eines Vorstandsmitglieds, das seinen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann, widerrufen sowie eine erneute Bestellung innerhalb eines Jahres zusichern können. Während der Abberufung soll das betroffene Vorstandsmitglied von allen Pflichten und jeglicher Haftung befreit sein. Die politischen Initiativen sowie das Gesetzesvorhaben beruhen auf erstmals im März 2020 erhobenen Forderungen des Zusammenschlusses #stayonboard.

Weder Mutterschutz noch Eltern- oder Pflegezeit, aber befristeter Widerruf der Bestellung zum Vorstand

Der medial diskutierte Änderungsvorschlag des Justizministeriums dehnt weder den Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes noch jenen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes auf Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften aus. Allerdings findet sich laut Medienberichten darin die bereits erwähnte Möglichkeit der Verbindung eines haftungsbefreienden Widerrufs der Bestellung mit einer Zusicherung der späteren erneuten Bestellung. 

Der Vorschlag beschränkt sich – soweit ersichtlich – auf Mitglieder von Vorständen, die aus mehreren Personen bestehen. Umfasst sollen zudem ausschließlich Fälle sein, in denen das Vorstandsmitglied seinen Pflichten wegen Krankheit oder aus Gründen nicht nachkommen kann, die für Arbeitnehmer Ansprüche auf Mutterschutz, Elternzeit oder Pflegezeit begründen würden. 

Ein Vergütungsanspruch für den Zeitraum der Abberufung soll allein bei einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung bestehen; der Aufsichtsrat soll grundsätzlich berechtigt, allerdings nicht verpflichtet sein, eine Fortzahlung der Vergütung während dieses Zeitraums zuzusagen. 

Die Interessen Dritter würden durch eine verpflichtende Bekanntgabe des zeitweisen Widerrufs der Bestellung im Handelsregister gewahrt. Schließlich soll das jeweilige Unternehmen für die Dauer der Abberufung von der Verpflichtung zur Erfüllung einer Frauenquote im Vorstand befreit sein.

Haftungsbefreiung für Vorstände während der „Auszeit″ 

Ein besonderes Augenmerk ist auf die vorgesehene Haftungsbefreiung temporär abberufener Vorstandsmitglieder zu richten. Diese soll während des Widerrufs des Mandats auch organschaftlich wirken. Damit würde sie die betroffenen Vorstandsmitglieder gegenüber gegenwärtig praktizierten Lösungen, die häufig allein die dienstvertragliche Ebene betreffen, erheblich begünstigen.

Die schon nach geltendem Recht zulässige Vereinbarung einer einvernehmlichen Dienstbefreiung hat in aller Regel keine umfassende Haftungsbefreiung zur Folge: Während Ressortverantwortungen in diesem Fall vorübergehend entfallen, bestehen Pflichten des Vorstandsmitglieds als Organmitglied im Sinne der Gesamtverantwortung fort. Das Vorstandsmitglied muss damit weiterhin die Geschäftsführung der anderen Ressorts überwachen und nicht delegierbare gesetzliche Einzelaufgaben wahrnehmen.

Insbesondere: Drohende Haftungsrisiken für Aufsichtsrats- und verbleibende Vorstandsmitglieder

Die zeitweise Abberufung von Vorstandsmitgliedern erscheint durchaus möglich. Dies nicht nur aufgrund der geplanten normativen Verankerung, sondern vor allem auch aufgrund der sich zunehmend im Wandel befindlichen gesellschaftspolitischen Anschauungen.

In diesem Fall droht eine angesichts der Haftungsbefreiung des abberufenen Vorstandsmitglieds nicht zu unterschätzende Verschärfung von Haftungsrisiken für die Aufsichtsrats- sowie verbleibenden Vorstandsmitglieder. Hinsichtlich ersterer wurzelt diese in den §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG und der Verpflichtung des Aufsichtsrats zur Gewährleistung einer fortwährend gesicherten pflichtgemäßen Unternehmensleitung. 

Um dem entgegenzuwirken, müssen im Vorfeld erforderliche personalpolitische Maßnahmen getroffen werden. Soweit es die Satzung erlaubt, sollte insbesondere „zur Vertretung″ ein zusätzliches Vorstandsmitglied temporär bestellt werden. Während des Zeitraums der Abberufung haben die Aufsichtsratsmitglieder die Geschäftsführung des Vorstands sogar besonders genau zu überwachen und erforderlichenfalls – sollten Mängel zutage treten – unverzüglich zu reagieren. 

Die verbleibenden Vorstandsmitglieder müssen die durch Vertretungsregelungen auf sie übertragenen Aufgaben haftungsbewehrt (§ 93 Abs. 2 S. 1 AktG) pflichtgemäß wahrnehmen.

Mögliche Verschärfung des Gesetzesvorhabens: „Anspruch auf Auszeit″?

Auf den alten Posten zurückkehren kann das Vorstandsmitglied nach dem Änderungsvorschlag des Bundesjustizministeriums nur dann, wenn der Aufsichtsrat die Abberufung mit einer Zusicherung der erneuten Bestellung verbindet. Dazu ist der Aufsichtsrat nach dem bisherigen Stand des Vorschlags jedoch nicht verpflichtet. 

Vielmehr soll der Aufsichtsrat nach dem Änderungsvorschlag eine zeitweise Abberufung mit schriftlicher Begründung ablehnen können. Damit bleibt der Vorschlag hinter einer zentralen Forderung von #stayonboard, einem gesetzlichen Anspruch auf ein vorübergehendes Ruhenlassen des Mandats, zurück. Ein solches wäre laut Justizministerium nicht mit der Funktion eines selbstständigen und unternehmerisch handelnden Vorstandsmitglieds vereinbar. 

Allerdings ist angesichts der starken politischen Unterstützung des Anliegens von #stayonboard das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen. Aus Reihen der Regierungsfraktionen wird verschiedentlich Unterstützung für die Aufnahme eines – über den bisherigen Änderungsvorschlag hinausgehenden – Rechts auf ein Ruhenlassen des Vorstandsmandats signalisiert. Auch der Bundesrat hat in einer Stellungnahme vom 5. März 2021 (BR-Drs. 49/21(B)) die Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf ein zeitweises Ruhen des Vorstandsmandats zur Betreuung und Erziehung eines Kindes oder Pflege eines nahen Angehörigen angeregt. Zudem sollen gesetzliche Mutterschutzfristen demnach auf Antrag grundsätzlich auch für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften (und Genossenschaften) gelten. Diese wären dann während des Ruhens des Mandats von sämtlichen Leitungs- und Sorgfaltspflichten befreit. Der Aufsichtsrat dürfte auf Grundlage der Stellungnahme ein Ruhen in den dargelegten Fällen nur „aus wichtigem Grund zum Wohle der Gesellschaft“ ablehnen.

Während der bisherige Vorschlag des Justizministeriums stark auf freiwillige Einzelfalllösungen setzt, würde ein entsprechendes „Recht auf Auszeit″ – je nach Ausgestaltung – rechtlich weitergehende Herausforderungen mit sich bringen: Den dargelegten erhöhten Haftungsrisiken könnte sich der Aufsichtsrat dann nicht mehr durch eine Zurückweisung eines entsprechenden Anliegens des Vorstandsmitglieds erwehren. Zudem drohten potenzielle rechtliche Auseinandersetzungen über das Vorliegen etwaiger Ausnahmetatbestände und die einstweilige Wirksamkeit einer erfolgten Geltendmachung des Rechts bzw. einer erfolgten Ablehnung.

Erheblicher Beratungsbedarf bei perspektivischer Personalplanung

Potenziell betroffene Unternehmen sollten die weitere Entwicklung des Gesetzesvorhabens unbedingt im Blick behalten. Bereits in seiner aktuellen Form führt das Vorhaben – sollte es umgesetzt werden – zu einem nicht unerheblichen Beratungsbedarf: Aufsichtsräte werden sich darauf einstellen müssen, dass Vorstandsmitglieder Auszeiten erbitten und derartige Ansinnen schon aus Gründen der Attraktivität des Unternehmens nicht von vornherein abgelehnt werden können. Vor diesem Hintergrund müssen Aufsichtsräte verstärkt durch perspektivische Personalplanung Vorkehrungen treffen, um eine ordnungsgemäße Unternehmensleitung und Arbeitsfähigkeit des Vorstands auch im Fall des „Pausierens″ von Vorstandsmitgliedern sicherzustellen. Dies gilt auch im Sinne der anderen Vorstandsmitglieder, die u.U. vertretungsweise Aufgabenbereiche der pausierenden Vorstandsmitglieder übernehmen müssen und der Gesamtverantwortung unterliegen. 

Unwägbarkeiten bestehen auch insoweit, als unklar ist, ob und in welchem Umfang Aufsichtsräte eine Fortzahlung der Vergütung zusagen dürfen, wenn das Vorstandsmitglied während der „Auszeit″ hierfür keinerlei Gegenleistung erbringt – zumal aktuell geltende Dienstverträge hierzu keine Regelungen enthalten dürften. Auch bedarf der Klärung, ob entsprechende vertragliche Zusagen als Bestandteil eines Vergütungssystems bei börsennotierten Gesellschaften der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen sind (§§ 87a, 120a Abs. 1 AktG). Sollte – über den bisherigen Vorschlag hinaus – ein „Recht auf Auszeit″ Gesetz werden, gilt das Gesagte in verschärfter Form. Denn die Ablehnung einer beantragten Auszeit wird dann erwartungsgemäß nur noch in engen Grenzen möglich sein.

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