23. September 2014
Arbeitsrecht Wettbewerbsrecht (UWG)

Vertragliche Abwerbeverbote: Leitentscheidung des BGH erhöht Rechtssicherheit

In zahlreichen Verträgen finden sich Regelungen, die das aktive Abwerben von Mitarbeitern des anderen Vertragspartners oder einer Zielgesellschaft einschränken oder verbieten. Das Abwerbeverbot tritt häufig flankierend neben vertragliche Wettbewerbsverbote oder „Kundenschutzklauseln″. Derartige Regelungen sollen beispielsweise beim Unternehmenskauf gewährleisten, dass der Veräußerer nach der Transaktion nicht in Wettbewerb zu dem veräußerten Unternehmen tritt.

Ein Abwerben entscheidender Mitarbeiter könnte den Wert des Kaufgegenstands ebenso mindern, wie die unvollständige Überleitung der Kundenbeziehungen. Mit derartigen Abwerbeverboten hatte sich nun der BGH zu befassen. Das Ergebnis ist eine lehrreiche Leitentscheidung, die in wichtigen Fragen Rechtssicherheit schafft.

Auch wenn es sich bei Wettbewerbs- und Abwerbeverboten aus kommerzieller Perspektive gleichsam um „Geschwister″ handelt, die häufig in der gleichen Vertragsklausel adressiert werden, so betreffen diese unterschiedliche Rechtsmaterien und auch die geschützten Interessen und Rechte (auch Dritter) unterscheiden sich:

  • Sedes materiae des Wettbewerbsverbots ist das Wettbewerbsrecht und damit im nationalen Recht zunächst § 1 GWB, ergänzt bzw. überlagert durch die entsprechenden europarechtlichen Regelungen.
  • Als rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Prüfung eines Abwerbeverbots dient hingegen üblicherweise die Regelung in § 75f HGB (zur Sperrabrede zwischen Arbeitgebern von Handlungsgehilfen), die schon nach früherer Rechtsprechung analoge Anwendung fand, wenn es sich bei den betroffenen Mitarbeitern nicht um Handlungsgehilfen gemäß § 59 HGB handelte.  Aus Sicht des betroffenen Mitarbeiters stellt sich auch die Frage nach dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht auf berufliche Selbstbestimmung.

In einer am 22. September 2014 veröffentlichen Entscheidung (Urteil vom 30. April 2014, I ZR 245/12) hat der BGH sich nun mit vertraglichen Abwerbeverboten befasst. Trotz der sehr verschiedenen Rechtsmaterien orientiert sich der BGH in nicht unerheblichem Maße an den Anforderungen für vertragliche Wettbewerbsverbote. Man kann darin eine aus Sicht des Rechtsanwenders begrüßenswerte Tendenz sehen, kommerziell eng verwandte Fragestellungen auch rechtlich einheitlich zu beurteilen. Auch im Übrigen erwecken die Entscheidungsgründe den Eindruck, dass es dem BGH auch um die Schaffung von einer gewissen Rechtssicherheit in dieser Materie ging:

1.    Grundsatz: Anwendbarkeit von § 75f HGB

Bisher war nicht entschieden, ob § 75f HGB auf vertragliche Abwerbeverbote zwischen Arbeitgebern Anwendung findet. Diese sind für den betroffenen Arbeitnehmer weniger belastend als Einstellungsverbote (hierzu: BGH, Urteil vom 30. April 1974, VI ZR 132/72), denn das Abwerbeverbot regelt nicht den Fall, dass ein betroffener Arbeitnehmer sich aus Eigeninitiative heraus bewirbt.

Trotz dieser Unterschiede gilt § 75f HGB auch für vertragliche Abwerbeverbote: Der BGH bemüht insoweit zunächst Wortlaut und Entstehungsgeschichte, wobei auch auf den Sachzusammenhang mit der Regelung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots für Handlungsgehilfen (§§ 74 bis 75d HGB) verwiesen wird. Entscheidend war letztlich der Befund, dass der durch § 75f HGB bezweckte Schutz des Arbeitnehmers auch durch die Vereinbarung eines Abwerbeverbots im Allgemeinen in einem erheblichen Ausmaß beeinträchtigt werde.

Auch wenn das Abwerbeverbot dem Mitarbeiter die Möglichkeit lasse, sich aktiv bei dem anderen Unternehmen zu bewerben, so könne das Abwerbeverbot diese Möglichkeit doch faktisch sehr beschränken, weil der Mitarbeiter möglicherweise gar nicht von der freien Stelle erfahre. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass es zur gängigen Praxis von Unternehmern bei der Besetzung offener Stellen gehöre, Arbeitnehmer von sich aus oder unter Einschaltung von Personalberatern auf Stellenangebote anzusprechen.

2.    Ausnahmsweise: Zulässigkeit vertraglicher Abwerbeverbote

Das Urteil bekräftigt allerdings, dass es besondere Fallkonstellationen gibt, in denen „die Arbeitgeberseite″ ein überwiegendes Interesse an einer Vereinbarung (und gerichtlichen Durchsetzbarkeit) eines Abwerbeverbots hat. Das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht des Unternehmers auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit könne dann eine verfassungskonform einschränkende Auslegung von § 75f HGB gebieten.

3.    Fallgruppenbildung

Der BGH belässt es nicht bei dieser Grundsatzbildung und deren Anwendung auf den Streitfall, sondern äußert sich qua obiter dictum zu verschiedenen Fallgruppen:

a) Unterlassungserklärung

Zunächst wendet der BGH sich einem Sonderfall des Abwerbeverbots zu: In Fällen, in denen das Verhalten des abwerbenden Arbeitgebers eine unlautere geschäftliche Handlung darstellt, kann deren Verbot nach den Vorschriften des UWG beansprucht werden. Gibt die andere Partei in dieser Konstellation eine (strafbewehrte) Unterlassungserklärung ab, wäre es laut BGH widersprüchlich, wenn sich die Ansprüche hieraus wegen § 75f Satz 2 HGB gerichtlich nicht durchsetzen ließen.

b) Nebenbestimmung

Ein weiterer Fall für eine verfassungskonform einschränkende Auslegung von § 75f HGB können vertragliche Nebenbestimmungen sein, bei denen das Abwerbeverbot nicht Hauptzweck ist und die einem besonderen Vertrauensverhältnis der Parteien oder einer besonderen Schutzbedürftigkeit einer der beiden vertragschließenden Seiten Rechnung tragen. Als Beispiel hierfür führt der BGH den Schutz vor illoyaler Ausnutzung von Erkenntnissen an, die im Rahmen der betroffenen Vertragsverhältnisse und ihrer Abwicklung gewonnen wurden.

Ein Beispielsfall könnte grundsätzlich auch der streitgegenständliche Kooperationsvertrag sein, der offenbar im Nachgang zu einem Beteiligungserwerb zwischen der Zielgesellschaft und einer in der Nachbarschaft ansässigen Gesellschaft aus der Gruppe des Veräußerers geschlossen wurde. Dort fand sich folgende Klausel:

„Jede Partei verpflichtet sich, während sowie bis drei Jahre nach Beendigung dieses Vertrages keine Mitarbeiter der anderen Partei direkt oder indirekt abzuwerben. Für jeden Fall einer Zuwiderhandlung gegen die Bestimmung in Satz 1 zahlt die verstoßende Partei an die andere Partei eine Vertragsstrafe in Höhe von […].″

Zwischen den Parteien habe ein besonderes Vertrauensverhältnis im vorstehenden Sinne bestanden. Auch nach Herauslösung der Beklagten aus der Firmengruppe der Klägerin vertrieben die Parteien ihre Produkte auf der Grundlage des Kooperationsvertrags zunächst gemeinsam, so dass beide Seiten die Einzelheiten des Mitarbeiterstamms des jeweils anderen Unternehmens kannten. In einer solchen Konstellation könne es sich prinzipiell um eine durchsetzbare Nebenbestimmung handeln.

Als weitere Beispielsfälle werden in der Entscheidung genannt:

  • „Abwerbeverbote, die bei Risikoprüfungen vor dem Kauf von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen vereinbart werden (sog. Due-Diligence-Prüfungen)″
  • Abwerbeverbote „bei einer Abspaltung von Unternehmensteilen oder Konzerngesellschaften″
  • Abwerbeverbote ″bei Vertriebsvereinbarungen zwischen selbständigen Unternehmen″

4.    Zeitliche Schranken

Allerdings war die oben zitierte Klausel im entschiedenen Streitfall dennoch nicht durchsetzbar, weil sie für einen Zeitraum von drei Jahren vereinbart war.

Der BGH postuliert auch für (in den oben erläuterten Ausnahmefällen) zulässige Abwerbeverbote eine zeitliche Obergrenze von zwei Jahren. Ab wann dieser Zeitraum zu bemessen ist, dürfte abhängig sein von dem konkreten Zweck, der das Abwerbeverbot rechtfertigt. Da es im Streitfall darum ging, dass während der Kooperation beide Seiten Zugang zu den Einzelheiten des Mitarbeiterstamms des jeweils anderen Unternehmens hatten, hätte das Verbot längstens für zwei Jahre ab Beendigung der Zusammenarbeit vereinbart werden dürfen.

Der BGH verweist hier ausdrücklich auf die Rechtsprechung zu nachvertraglichen Wettbewerbsverboten und Kundenschutzklauseln, ferner auf § 74a Abs. 1 Satz 3 und § 90a Abs. 1 Satz 2 HGB.  Er lässt ausdrücklich offen, ob in Ausnahmefällen ein schutzwürdiges Interesse eines Unternehmers an einem länger als zwei Jahre andauernden Abwerbeverbot bestehen könnte, denn einen solchen Ausnahmefall konnten die Richter im Streitfall jedenfalls nicht erkennen.

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