16. Februar 2023
Listing Act
Banking & Finance

Listing Act

Reformen im europäischen Kapitalmarktrecht: insbesondere kleinen und mittlere Unternehmen (KMUs) soll der Zugang zur Börsennotierung erleichtert werden.

Am 7. Dezember 2022 legte die Europäische Kommission Entwürfe dreier Rechtsakte (Listing Act) zur attraktiveren Gestaltung der öffentlichen Kapitalmärkte in der EU und zur Erleichterung des Zugangs zu Kapital für kleine und mittlere Unternehmen vor. Mittlerweile sind die Entwürfe in allen Amtssprachen der Europäischen Union verfügbar. 

Änderungsvorschläge im Listing Act sollen bestehende Hürden abbauen

Der Listing Act enthält im Wesentlichen einen Entwurf zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1129 (EU-Prospektverordnung), der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung) und der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 (Europäische Finanzmarktverordnung, MiFIR). Daneben enthält er auch den Entwurf einer Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU (Finanzmarktrichtlinie bzw. MiFID II) und der Richtlinie 2001/34/EG (Börsenzulassungsrichtlinie) sowie den Entwurf zur Einführung einer neuen Richtlinie zur Regelung der Struktur von Aktien mit Mehrfachstimmrechten von Gesellschaften, die beabsichtigen ihre Aktien an einen KMU-Wachstumsmarkt handeln zu lassen (EU-Mehrstimmrechtsrichtlinie).

Mit dem vorgeschlagenen Listing Act sollen die im Rahmen einer Überprüfung der europäischen Kapitalmärkte identifizierten Kernprobleme behoben werden. Dazu gehören insbesondere die Kosten und der Aufwand für die Zulassung und die Folgepflichten einer Börsennotierung, eine aufgrund geringerer Liquidität und einem Mangel an verfügbaren Aktienanalysen fehlende Attraktivität von KMU-Wertpapieren und die rechtlichen Hindernisse, die verhindern, dass Gründer die Kontrolle über das eigene Unternehmen behalten können. Bis zum 29. März 2023 können Rückmeldungen zum Vorschlag der Europäischen Kommission eingereicht werden. 

Hintergrund der europäischen Initiative 

Im September 2020 wurde von der Europäischen Kommission insbesondere anlässlich der COVID-19-Krise ein zweiter Aktionsplan (nach dem ersten in 2015) für eine Kapitalmarkunion ausgearbeitet, um in der gesamten EU einen echten Binnenmarkt für Kapital zu schaffen. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen wird hierbei angestrebt, dass Investitionen und Ersparnisse in sämtliche Mitgliedstaaten fließen, sodass sie Bürgerinnen und Bürgern, Investoren und Unternehmen unabhängig von ihrem Sitz zugutekommen.

Bis zum 4. Quartal 2021 prüfte die Europäische Kommission Vereinfachungen der Vorschriften für die Notierung an öffentlichen Märkten (geregelte Märkte und auch KMU-Wachstumsmärkte) und hat hierbei folgende Bewertungsschwerpunkte gesetzt:

  • die Angemessenheit und Konsistenz der KMU-Definition in der gesamten Finanzmarktgesetzgebung, 
  • eine mögliche Vereinfachung der Marktmissbrauchsregelungen und 
  • die möglichen Vorteile einer Einführung von Übergangsbestimmungen für Erstemittenten an geregelten Märkten und KMU-Wachstumsmärkten.

Unter Berücksichtigung der eigenen Evaluierung und unter Bezugnahme der Ergebnisse des Abschlussberichts der von der Europäischen Kommission eingesetzten technischen Sachverständigengruppe (Final report of the Technical Expert Stakeholder Group on SMEs – Empowering EU Capital Markets for SMEs – Making listing cool again) vom Mai 2021, kündigte die Europäische Kommission im September 2021 ihren Gesetzgebungsvorschlag für 2022 an. Vom 19. November 2021 bis 25. Februar 2022 lief die erste öffentliche Konsultation und am 9. Dezember 2022 startete die zweite öffentliche Konsultation auf Basis des veröffentlichten Vorschlags des Listing Acts.

Anpassungen in der EU-Prospektverordnung

Öffentliche Angebote von Wertpapieren oder ihre Zulassung an einem geregelten Markt unterliegen nach der EU-Prospektverordnung einer Prospektpflicht. Die EU-Prospektverordnung macht sehr umfangreiche und detaillierte Vorgaben zum Prospektinhalt. Insbesondere bei der Vorbereitung und Umsetzung prospektpflichtiger Maßnahmen sowie der Einhaltung aller Börsenvorschriften entsteht besonders für KMUs ein im Verhältnis zur Unternehmensgröße außerordentlich hoher Aufwand. Die Änderungsvorschläge in der EU-Prospektverordnung betreffen im Wesentlichen die folgenden Bereiche:

Abkehr von Prospektpflicht für Sekundäremissionen

Es sollen sowohl öffentliche Angebote als auch die Zulassung neuer Aktien für eine (oder mehrere) Kapitalerhöhungen prospektfrei durchgeführt werden dürfen, sofern sie über die zurückliegenden 12 Monate betrachtet insgesamt weniger als 40 % der bereits zum Handel zugelassenen Wertpapiere betreffen und mit diesen fungibel sind. Dies soll sowohl für den regulierten Markt als auch auf KMU-Wachstumsmärkte gelten. Hieraus ergibt sich im Falle der Verabschiedung des Listing Acts eine deutliche Ersparnis an finanziellem und zeitlichem Aufwand. 

Aktuell ist nach Art. 1 Abs. 5 der EU-Prospektverordnung für die Zulassung neuer Aktien von bis zu 20 % kein Prospekt erforderlich – eine solche Ausnahme besteht aber nicht für öffentliche Angebote. Da Bezugsrechtsangebote allerdings ganz unabhängig von ihrem Umfang öffentliche Angebote sind, sind sie grundsätzlich prospektpflichtig. Da nach deutschem Recht Bezugsrechtsausschlüsse bei Barkapitalerhöhungen lediglich bis zu einer Höhe von 10 % zulässig sind, sind aktuell prospektfreie Kapitalerhöhungen nur bis zu 10 % des Grundkapitals möglich.

Eine Emission fungibler Wertpapiere zu solchen, die bereits mindestens 18 Monate zum Handel am regulierten Markt oder KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind, sollen auch über der genannten Schwelle von 40 % prospektfrei möglich sein, wenn unter anderem ein näher bestimmtes maximal 10-seitiges Dokument bei der BaFin eingereicht und veröffentlicht wird.

Die 40 %-Schwelle, wie sie für Wertpapiere bei Sekundäremissionen angedacht ist, soll auch für in Aktien wandelbare Wertpapiere (z. B. Wandel- und Optionsanleihen) gelten.

Förderung von Emissionen (Primär- und Sekundäremissionen)

Der Höchstbetrag für prospektfreie öffentliche Angebote soll generell von EUR 8 Mio. auf EUR 12 Mio. (innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums) angehoben werden. Mitgliedstaaten können für solche Angebote Veröffentlichungspflichten, wie beispielsweise das in Deutschland bereits ab einem Emissionsvolumen von EUR 100.000 verpflichtend zu veröffentlichende Wertpapierinformationsblatt, vorsehen. Durch solche mitgliedstaatlichen Regelungen dürfen allerdings keine unverhältnismäßigen Belastungen für den Anbieter der Wertpapiere geschaffen werden.

Wesentliche Anpassungen für die Prospekterstellung

Vorgeschlagen wird eine verstärkte Standardisierung des Dokuments durch eine vorgegebene Reihenfolge des Inhaltes und eine Begrenzung des Prospektumfangs auf grundsätzlich 300 DIN A4-Seiten (bei Aktien und mit Aktien vergleichbaren Wertpapieren).

In der verpflichtenden Prospektzusammenfassung sollen Informationen auch unter Zuhilfenahme von Charts, Grafiken und Tabellen dargestellt werden können.

Unter Streichung des „EU-Wiederaufbauprospekts“ und „EU-Wachstumsprospekts“ aus der EU-Prospektverordnung werden mit dem EU-Folgeprospekt (EU Follow-On Prospectus) und dem EU-Wachstumsemissionsdokument (EU Growth Issuance Document) zwei neue Prospektformate eingeführt. In beiden sind lediglich die veröffentlichten Finanzinformationen der letzten 12 Monate vor Billigung des Prospekts aufzunehmen. Der EU-Folgeprospekt soll im Grundsatz maximal 50 DIN A4-Seiten umfassen und richtet sich an bereits seit mindestens 18 Monaten am regulierten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt notierte Emittenten von (zumindest auch) Dividendenwerten. Das EU-Wachstumsemissionsdokument richtet sich im Wesentlichen an KMUs und an Emittenten, deren Wertpapiere an einem KMU-Wachstumsmarkt notiert sind oder werden sollen, und umfasst im Grundsatz maximal 75 DIN A4-Seiten.

Der Prospekt soll außerdem zukünftig den Umständen Rechnung tragen, ob der Emittent von Aktien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet ist oder, ob bei der Emission von Nichtdividendenwerten diese damit beworben werden sollen, dass sie ESG-Faktoren (also Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsfaktoren) berücksichtigen oder ESG-Ziele verfolgen.

Anpassungen der Marktmissbrauchsverordnung

Unternehmen mit börsennotierten Wertpapieren unterliegen der Marktmissbrauchsverordnung. Danach gelten unter anderem detaillierte Vorgaben zum Umgang mit Insiderinformationen, wie z. B. das Führen von Insiderlisten und von Transaktionen von Führungskräften. Da auch diese Verpflichtungen eine abschreckende Wirkung auf KMUs entfalten, hat die Europäische Kommission im Rahmen des Listing Acts auch Anpassungen in der Marktmissbrauchsverordnung vorgeschlagen. Die Änderungsvorschläge in der Marktmissbrauchsverordnung betreffen die folgenden Bereiche:

Ad-hoc-Publizitätspflicht

Bislang ist bei zeitlich gestreckten Sachverhalten immer dann eine Ad-hoc-Information zu veröffentlichen, wenn im Entwicklungsverlauf ein Zwischenschritt bereits für die Anforderungen an eine Insiderinformation erfüllt. Zwar sollen solche Zwischenschritte weiterhin selbst eine Insiderinformation darstellen, es soll aber keine Ad-hoc-Information mehr zu veröffentlichen sein. Das Insiderhandelsverbot besteht dagegen auch im neuen Entwurf fort.

Die Voraussetzungen für einen Aufschub einer Ad-hoc-Veröffentlichung werden im neuen Entwurf durch die Aufnahme von Beispielsfällen aus ESMA-Leitlinien konkretisiert. Deren Integration in die Marktmissbrauchsverordnung ersetzt das zuvor generell formulierte Erfordernis, dass die Aufschiebung der Offenlegung nicht zur Irreführung der Öffentlichkeit geeignet sein darf.

Bei einem Aufschub der Ad-hoc-Veröffentlichung sollen die Gründe bereits unmittelbar nach der getroffenen Entscheidung an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als zuständige Behörde übermittelt werden. Aktuell hat die Information der BaFin erst im Anschluss an die tatsächliche Veröffentlichung der aufgeschobenen Ad-hoc-Information zu erfolgen oder entfällt sogar im Falle des späteren Nichteintritts des Ad-hoc-pflichtigen Umstands wie einer insiderrelevanten Transaktion ganz.

Zugunsten von KMUs soll eine Reduktion der auf nationaler Ebene geregelten Höchstbeträge von Geldbußen für Verstöße gegen die Regelungen zur Ad-hoc-Publizität, Director’s Dealings und der Führung von Insiderlisten erfolgen.

Führung der Insiderlisten

Für alle Emittenten soll eine permanente Insiderliste geführt werden können, auf der alle Personen zu erfassen sind, die aufgrund ihrer Funktion oder Stellung innerhalb des Emittenten regelmäßig Zugang zu Insiderinformationen haben.

Director’s Dealings

Die Meldeschwelle für Eigengeschäfte von Führungsaufgaben wahrnehmenden Personen und mit ihnen in enger Beziehung stehenden Personen soll standardmäßig auf EUR 20.000 angehoben werden und durch die nationalen Aufsichtsbehörden auf EUR 50.000 erhöht werden können.

Im Zeitraum ab 30 Kalendertagen vor Bekanntgabe eines obligatorischen Zwischenfinanz-/Jahresberichts bis zur jeweiligen Veröffentlichung (Closed Periods) ist Führungspersonen der Handel von Wertpapieren untersagt. Es wird nun zusätzlich klargestellt, dass der Handel, der sich nicht auf eine aktive Investmententscheidung der Führungsperson zurückführen lässt und Arbeitnehmersparpläne, die sich auf andere Finanzinstrumente als Aktien beziehen, hiervon ausgenommen sind.

Aktienrückkaufprogramme

Innerhalb von Aktienrückkaufprogrammen getätigte Geschäfte sollen nur noch derjenigen Behörde gemeldet werden müssen, die den für das betreffende Finanzinstrument liquidesten Markt beaufsichtigt.

Die Veröffentlichung aggregierter Transaktionsdaten soll künftig ausreichen.

Änderungen der MiFID II und Aufhebung der RL 2001/34/EG

Die Änderungen der MIFID II-Richtlinie betreffen drei wesentliche Eckpunkte. Es sollen die Anforderungen an die Streubesitzquote und an den Umfang der Marktkapitalisierung herabgesetzt, die Anforderungen an die Registrierung eines MTF-Segments (Multilateral Trading Facility – eine börsenähnliche Handelsplattform) als KMU-Wachstumsmarkt angepasst und das Angebot an Investmentanalysen insbesondere von KMUs gefördert werden.

EU-Mehrstimmrechtsrichtline: Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien vorgeschlagen

Im Rahmen der Überprüfung der europäischen Kapitalmärkte wurde eine zu geringe Flexibilität der öffentlichen Märkte in der EU festgestellt. Der Mangel an Flexibilität, der auf gesetzliche Zwänge zurückzuführen sei, zeige sich beispielsweise in den nicht flächendeckend vorhandenen Möglichkeiten für Gründer oder (Familien-)Mehrheitsgesellschafter, die Kontrolle über ihre Geschäftstätigkeit zu behalten, nachdem sie „ihr“ Unternehmen an die Börse gebracht haben.

Lediglich in bestimmten Jurisdiktionen der EU ist die Ausgabe von Aktien mit Mehrfachstimmrechten möglich. Um dies europaweit einheitlich zu ermöglichen, schlägt die Europäische Kommission die Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien vor. Dies soll nach dem Richtlinienvorschlag zumindest für noch nicht börsennotierte KMUs gelten, deren Aktien in einen KMU-Wachstumsmarkt einbezogen werden sollen. 

Es soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gelassen werden, über die Vorgaben der Richtlinie zu Erreichung einer Mindestharmonisierung hinauszugehen bzw. bisheriges Recht, das bereits über die Richtlinienregelungen hinausgeht, aufrechtzuerhalten. Folglich ist sogar eine allgemeine Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien denkbar. 

Die Umsetzung des Listing Acts erleichtert für KMUs und Emittenten, die bereits mehr als 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, die Kapitalaufnahme am Kapitalmarkt und reduziert die Folgekosten einer Börsennotierung

Durch etwa die neuen Arten verkürzter Emissionsdokumente, die Längenbegrenzung und Standardisierung eines vollwertigen Wertpapierprospekts sowie die erweiterten Möglichkeiten, Primär- oder Sekundäremissionen ohne Prospekt durchzuführen, verbessern sich die Möglichkeiten der Mittelaufnahme am Kapitalmarkt allgemein, insbesondere für KMUs. Wie beabsichtigt, wird damit ein vereinfachter Zugang zum öffentlichen Kapitalmarkt gewährt. Neben der Vereinfachung des Zugangs dürften sich auch die Folgekosten eines Listings aufgrund der Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung reduzieren.

Besonders interessant dürfte für KMUs, ihre Gründer und (Familien-) Mehrheitsgesellschafter die europaweit flächendeckende Einführung von Mehrstimmrechtsaktien sein, da sie die Befürchtung des Kontrollverlusts über das „eigene“ Unternehmen infolge einer Börsennotierung entkräften.

Bis zum 29. März 2023 können Meinungen und Stellungnahmen von Privatpersonen, Institutionen, Verbänden oder juristischen Beratern zu den nun detailliert ausgearbeiteten Vorschlägen eingereicht werden.

Aktuelle Entwicklungen und dazugehörige Veröffentlichungen, wie unter anderem eine tabellarische Synopse der EU-Prospektverordnung und der Marktmissbrauchsverordnung auf Basis der Anpassungsvorschläge aus dem Listing Act, finden Sie auf unserer Themenseite.

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