Wer nimmt schon gerne unerfreuliche Post entgegen. Der Anwalt muss es, weil es ihm § 14 seiner Berufsordnung (BORA) nun einmal gebietet:
„Der Rechtsanwalt hat ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Wenn der Rechtsanwalt bei einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung die Mitwirkung verweigert, muss er dies dem Absender unverzüglich mitteilen.″
Einige Kollegen tun sich dabei allerdings nicht immer leicht, insbesondere bei der so genannten Zustellung von Schriftstücken „von Anwalt zu Anwalt″ (§ 195 ZPO). Bei der Wahl dieser Zustellungsart kommt es in der Praxis leider immer wieder vor, dass zustellungsbevollmächtigte Rechtsanwälte die Anwaltszustellung missbräuchlich und berufsrechtswidrig (§ 14 BORA) – etwa bei der Zustellung einstweiliger Verfügungen – zu einer Verschiebung des Zustellungszeitpunktes nutzen und das Empfangsbekenntnis nicht unverzüglich zurücksenden oder sich sogar ganz verweigern. Dann ist die Zustellung formell nicht erfolgt und der zustellende Anwalt schaut in die Röhre. Oder beschwert sich bei der Anwaltskammer.
Das kann zuweilen Ärger bedeuten: Der Anwaltsgerichtshof Mecklenburg-Vorpommern (Urt. v. 301.11.2012 – AGH 1/12) hat nun in einem Fall, in dem der eine Rechtsanwalt die Zustellung durch den anderen Rechtsanwalt mit der Begründung ablehnte, erhalte ihn für einen „Lügner und Betrüger″, einen Verstoß gegen das anwaltliche Sachlichkeitsgebot gerügt:
„Die dadurch getätigte Aussage über das Verhalten eines Kollegen enthält sowohl beleidigende, abwertende Elemente, als auch die Feststellung eines strafbaren Verhaltens des Kollegen.
[...]
Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung ist weiter festzustellen, dass der RA gegen die sich aus § 14 BORA ergebende Berufungspflicht verstoßen hat. Danach hat der RA ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis – mit dem Datum versehen – unverzüglich zu erteilen.
[...]
Der Verstoß gegen die Berufspflicht ist auch nicht etwa dadurch gerechtfertigt, dass der RA ein vermeintliches Fehlverhalten des Kollegen RA G als Auslöser, als Grund für seine Berufspflichtverletzung benennt. Ein vermeintliches Fehlverhalten eines Kollegen setzt generell nicht die für den RA einzuhaltende Berufspflicht außer Kraft″.
Wir lernen daraus: Mag einem also der gegnerische Kollege noch so unsympathisch sein: Immer schön sachlich bleiben. Und zähneknirschend das Empfangsbekenntnis unterschreiben. Was es dem Anwalt (nicht) hilft, das Empfangsbekenntnis zu unterschreiben, haben wir übrigens hier schon einmal ausführlicher erörtert…
Zähneknirschen ist bald womöglich nicht mehr nötig: Der AnwGH Hamm hat eine Entscheidung des AnwG Düsseldorf vom 17. März 2014 (EV 546/12), wonach § 14 BORA auf Zustellungen zwischen Anwälten keine Anwendung findet, in der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2014 bestätigt. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde auf Antrag aller Beteiligten zugelassen. Der von uns vertretene Kollege hat das Verfahren auf eigenen Antrag eingeleitet, um die Rechtsfrage — so oder so — im Interesse aller Rechtsanwälte endgültig klären zu lassen, § 123 Abs. 1 S. 1 BRAO.
Zähneknirschen hat sich erledigt… der BGH hat am 26.10.15 entschieden, dass Anwälte an Zustellungen von Kollegen nicht mehr mitwirken müssen… und es gegen den Willen des Mandanten wohl auch nicht dürfen!