19. September 2012
Und das passiert, wenn es kein Streusalz gibt
Commercial

Ausweg aus der Fristversäumung – Wer zu spät kommt, dem fällt manchmal noch was ein

Wer es in diesen Tagen nicht vermeiden kann, Presseberichte über Alkoholprobleme ehemaliger Society Stars, alte Steuererklärungen von Präsidentschaftskandidaten oder Google-Treffer  ehemaliger First Ladys  zu lesen, wird rasch zu der Erkenntnis gelangen, dass irgendwer aus unerfreulichen Geschehnissen auch mit erheblicher Verspätung noch Kapital schlagen kann. Wer die vertriebsrechtliche Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH verfolgt, weiß dies allerdings schon etwas länger.

In seinem Urteil vom 29.06.2011 – VIII ZR 212/08 – hat der BGH Parteien eines Vertriebsvertrages, die auf das unerfreuliche Ereignis einer schweren Vertragsverletzung des Vertragspartners erst mal nicht reagieren, einen Weg aufgezeigt, wie sie daraus auch später noch Kapital schlagen und den Vertragspartner schnell loswerden können:

Begeht ein Vertragshändler oder Handelsvertreter eine schwere Vertragsverletzung, die den Lieferanten bzw. Prinzipal zu einer fristlosen Kündigung des Vertrages berechtigt, muss sich der Lieferant/Prinzipal schnell entscheiden, ob er die fristlose Kündigung aussprechen will oder nicht. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt, wenn der Lieferant/Prinzipal den Vertrag verletzt und die Vertragshändler/Handelsvertreter fristlos kündigen könnte. In der Rechtsprechung ist es nämlich seit langem anerkannt, dass für die fristlose Kündigung eines Vertriebsvertrages zwar nicht die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend anwendbar ist. Der Vertragspartner muss aber die Kündigung innerhalb einer „angemessenen Frist“ ab Kenntnis des Kündigungsgrundes aussprechen. Andernfalls ist sie verfristet und damit unwirksam. Wie lang diese „angemessene Frist“ ist, hängt zwar von dem Umständen ab, fest steht aber, dass eine Überlegungsfrist von zwei Monaten zu lang ist (vgl. BGH 15.12.1993, mit Anm. Budde WiB 1994, 198 ff.; BGH NJW 1999, 1481).

Zweifel können auch darüber bestehen, wie die Frist eigentlich zu berechnen ist. Handelt es sich bei dem Kündigungsgrund um ein einmaliges Ereignis, von dem der vertragstreue Partner zu einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis erlangt, ist die Berechnung der Frist einfach. Schwierig wird es aber, wenn der Kündigungsgrund in einem dauernden oder sich ständig wiederholenden Verhalten des anderen Teils besteht. Da entsteht der Kündigungsgrund praktisch jeden Tag aufs Neue, so dass auch die Überlegungsfrist jeden Tag neu anlaufen könne. Es wird daher teilweise vertreten, dass in solchen Fällen eines fortgesetzten oder wiederholtem Vertragsverstoßes die Frist zum Ausspruch der Kündigung immer wieder neu in Gang gesetzt werde (Emde in Großkomm. HGB, 5. Aufl. § 89a Rdnr. 36) . Dies hätte allerdings zur Folge, dass sich der vertragstreue Teil mit der Entscheidung über eine Kündigung beliebig viel Zeit lassen könnte.

In seinem Urteil vom 29.06.2011 – VIII ZR 212/08 – (NJW 2011, 3361) hat der BGH diese Frage offen gelassen dabei aber einen für die Praxis sehr hilfreichen Weg aufgezeigt, dem Dilemma des Zeitablaufs zu entgehen. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Vertragshändler fortlaufend gegen seine vertragliche Verpflichtung verstoßen, keine Wettbewerbsprodukte zu vertreiben. Der Lieferant hatte davon erfahren, hatte aber zunächst drei Monate lang nichts unternommen. Als er sich dann schließlich doch zur fristlosen Kündigung entschloss, war er immerhin so klug, den Vertragshändler zunächst unter Androhung einer fristlosen Kündigung aufzufordern, die Wettbewerbstätigkeit innerhalb einer Frist zu beenden. Erst als dieser nach Fristablauf die Konkurrenztätigkeit fortsetzte, kündigte der Lieferant den Vertrag fristlos.

Die Vorinstanz (OLG Düsseldorf 27.06.2008 – I- 16 U 36/07) hatte noch festgestellt, dass die Kündigung verfristet und daher unwirksam sei. Der BGH ist dem nicht gefolgt. Die Frage, ob die Überlegungsfrist für die Kündigung bei einem Dauerverstoß ständig neu zu laufen beginnt, hat er zwar offen gelassen. Eine Tendenz, diese Frage zu verneinen, ist dem Urteil dennoch recht deutlich zu entnehmen. Der BGH konnte die Entscheidung dieser Streitfrage aber offen lassen, da der konkrete Fall einen anderen Lösungsweg bot, der zugleich eine praktische Hilfe in vergleichbaren Situationen darstellt:

Hat der Lieferant/Unternehmer nämlich die angemessene Frist zur Erklärung einer fristlosen Kündigung „verschlafen“ und handelt es sich bei dem Kündigungsgrund um einen dauerhaften oder wiederholten Verstoß gegen Vertragspflichten, ist der Kündigungsgrund nicht endgültig „verloren“. Es muss nur zuvor eine Abmahnung erfolgen. Setzt der Vertriebspartner sein Verhalten dann fort, stellt dies nach der Entscheidung des BGH einen eigenständigen separaten Kündigungsgrund dar, der eine angemessene Überlegungsfrist neu in Gang setzt. Der BGH stellt nämlich klar, dass auch das „Verpassen“ der angemessenen Frist zur fristlosen Kündigung nicht dazu führt, dass der Lieferant/Unternehmer seinen Anspruch auf Erfüllung der Vertragspflichten verliert. Er kann also den Vertriebspartner durch eine Abmahnung zur Erfüllung seiner Pflichten anhalten und dann auf ein eventuelles weiteres vertragswidriges Verhalten eine fristlose Kündigung stützen.

Tags: Abmahnung angemessene Frist BGH Dauerverstoß Kündigung Rechtsprechung Überlegungsfrist Vertragsverletzung Vertriebsvertrag VIII ZR 212/08