Bundesregierung hat aufgrund der EU-Marktüberwachungsverordnung zwei Gesetzesentwürfe zur Reformierung des deutschen Produktsicherheitsrechts beschlossen.
Die Neuausrichtung des deutschen Produktsicherheitsrechts im Hinblick auf die ab Mitte Juli dieses Jahres geltenden Regelungen der neuen europäischen Verordnung über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten (VO (EU) 2019/1020) (Marktüberwachungsverordnung) ist in vollem Gange.
Neuordnung des deutschen Produktsicherheitsrechts aufgrund der Marktüberwachungsverordnung
Aktuell tut sich einiges im deutschen Produktsicherheitsrecht. Am 10. Februar 2021 hat die Bundesregierung sowohl den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Produktsicherheitsgesetzes und zur Neuordnung des Rechts der überwachungsbedürftigen Anlagen als auch den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Marktüberwachung beschlossen. Anlass beider Gesetzesentwürfe ist die neue Marktüberwachungsverordnung, mit der unter anderem die Befugnisse sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der nationalen Marktüberwachungsbehörden gestärkt und eine strengere Marktüberwachungspraxis herbeigeführt werden soll.
Die beiden Gesetzesentwürfen dienen mithin der aufgrund der EU-Verordnung erforderlichen Reformierung und Anpassung des aktuell geltenden Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG). Die bislang darin enthaltenen Bestimmungen zu den Anforderungen an die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt, den Vorschriften zur Regelung der behördlichen Marktüberwachung sowie den Betriebsvorschriften für überwachungsbedürftige Anlagen werden neu geordnet. Die Gesetzesänderung soll insofern zu einer Entzerrung dieser Regelungsbereiche und zu mehr Rechtsklarheit führen. Die Gesetze sollen zeitgleich mit dem Geltungsbeginn (des Großteils) der Regelungen der neuen Marktüberwachungsverordnung in den Mitgliedstaaten am 16. Juli 2021 in Kraft treten.
Verschlankung des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG)
Augenscheinlich große Änderungen erfährt das ProdSG durch die Ausgliederung der Vorschriften über die Marktüberwachung und die überwachungsbedürftigen Anlagen, die künftig im Marktüberwachungsgesetz (MÜG) und im Gesetz über überwachungsbedürftige Anlagen (ÜAnlG) eigenständig geregelt sein sollen. Um konkurrierende Regelungen zu der EU-Verordnung und zu dem für deren Durchführung zu erlassenden MÜG zu vermeiden, ist das ProdSG gemäß der Gesetzesbegründung um die Vorschriften zur Marktüberwachung zu bereinigen. So werden der 6. Abschnitt (Marktüberwachung) und der 7. Abschnitt (Informations- und Meldepflichten) des aktuell geltenden ProdSG fast vollständig in das neue MÜG überführt. Zukünftig wird das ProdSG aber auch keinen 9. Abschnitt bzw. Regelungen über überwachungsbedürftige Anlagen mehr enthalten.
Mit der Ausgliederung der Marktüberwachung sowie der überwachungsbedürftigen Anlagen aus dem ProdSG soll das ProdSG zu einem reinen Gesetz über öffentlich-rechtliche Produktsicherheitsanforderungen für die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt werden. Von diesen strukturellen Änderungen abgesehen wird das ProdSG aber keine wesentlichen Änderungen erfahren. Der Schwerpunkt der derzeitigen gesetzgeberischen Aktivitäten liegt eindeutig im neuen MÜG und ÜAnlG.
Neuregelung der Marktüberwachung in Marktüberwachungsgesetz (MÜG)
Zur Durchführung der Marktüberwachungsverordnung soll mithin ein eigenständiges Marktüberwachungsgesetz (MÜG) erlassen werden. Die am 16. Juli 2019 in Kraft getretene EU-Verordnung sieht Marktüberwachungsbestimmungen für die in Anhang I der Verordnung aufgeführten europäisch harmonisierten Produktkategorien vor (70 Stück an der Zahl). In der EU-Verordnung sind zudem erstmals grundlegende Bestimmungen für die Marktüberwachung im Online-Handel enthalten.
Für den europäisch nicht harmonisierten Produktbereich (wie die Verbraucherprodukte, die nur der Produktsicherheitsrichtlinie unterliegen (Richtlinie 2001/95/EG), und die europäisch nicht geregelten B2B-Produkte) enthält die Marktüberwachungsverordnung indes keine Bestimmungen. Das nationale MÜG soll in Zukunft jedoch sämtliche Marktüberwachungsvorschriften, auch die für den nicht harmonisierten Produktbereich, beinhalten. Die entscheidenden Vorschriften der Marktüberwachungsverordnung wurden in das MÜG übernommen und – soweit angemessen – auf den europäisch nicht harmonisierten Non-Food-Produktbereich übertragen. Damit sollen die bislang im ProdSG enthaltenen Marktüberwachungsvorschriften für den europäisch harmonisierten und den europäisch nicht harmonisierten Produktbereich auch zukünftig in einem Gesetz geregelt sein und für beide Produktbereiche die gleichen Vollzugsbestimmungen gelten.
Auch unter der Geltung der Marktüberwachungsverordnung soll eine einheitliche Marktüberwachung für europäisch harmonisierte und europäisch nicht harmonisierte Produkte bestehen bleiben und ein im Sinne der Rechtsklarheit und Verständlichkeit unbefriedigendes Nebeneinander von Marktüberwachungsverordnung / MÜG einerseits und ProdSG andererseits sowie eine Benachteiligung von deutschen Wirtschaftsakteuren und Verbrauchern vermieden werden.
Eigenständige Regelung der überwachungsbedürftigen Anlagen außerhalb des Produktsicherheitsgesetzes zur Trennung von Produktsicherheit und Betriebssicherheit
Bislang enthält des ProdSG neben den Vorschriften über die Produktbereitstellung auf dem Markt auch Vorschriften für den Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen (bspw. Aufzugsanlagen, Tankstellen, Druckanlagen, Lager- und Füllanlagen für brennbare Flüssigkeiten). Auf der Grundlage der im 9. Abschnitt des ProdSG u.a. enthaltenen Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundes wurde die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) erlassen, die die vom Betreiber einer überwachungsbedürftigen Anlage zu berücksichtigen Vorschriften enthält. Diese Vorschriften sollen den Schutz von Beschäftigten und Dritten vor Gefahren beim Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen gewährleisten, sofern die Anlagen gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen.
Im Zuge der Anpassung des ProdSG an die Marktüberwachungsverordnung sollen die Vorschriften über überwachungsdürftige Anlagen künftig ebenfalls in einem eigenständigen Gesetz enthalten sein. Ziel ist die Herbeiführung einer klaren Trennung der Regelungsbereiche Produktsicherheit und Betriebssicherheit. Vor dem Hintergrund des historisch gewachsenen ProdSG, das zwischenzeitlich ganz wesentlich durch europäisch harmonisiertes Binnenmarktrecht geprägt ist, werden die Betriebsvorschriften darin gemäß der Gesetzesbegründung als wesensfremd und überholt empfunden. Normadressat ist hier nämlich, anders als beim ProdSG, nicht der Hersteller oder der Einführereines Produkts, sondern der Betreiber einer Anlage. Zudem ist die Anlagensicherheit im laufenden Betrieb europarechtlich nicht geregelt, weshalb solche rein nationalen Regelungen bestehen können. Da die Betriebsvorschriften in dem Produktsicherheitsgesetz zwischenzeitlich als veraltet und überarbeitungsbedürftig verstanden werden, soll mit der Neuordnung des Rechts der überwachungsbedürftigen Anlagen zugleich eine inhaltliche Überarbeitung und Modernisierung erfolgen.
Das neue Gesetz regelt grundlegende Anforderung an und Pflichten der Betreiber (bspw. Gefährdungsbeurteilung, notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen, Prüf- und Instandhaltungspflichten, Betriebsverbot bei gefährlichen Mängeln), die aktuell in der Betriebssicherheitsverordnung geregelt sind. Die konkreten von Betreibern überwachungsbedürftiger Anlagen zu beachtenden Vorgaben sollen aber auch weiterhin in einer auf das ÜAnlG gestützten Verordnung konkretisiert werden. Nach derzeitigem Stand ist das weiterhin die Betriebssicherheitsverordnung, die redaktionell an den neuen gesetzlichen Rahmen im ÜAnlG angepasst wird.
Erweiterung des Begriffs des Wirtschaftsakteurs im Produktsicherheitsgesetz
In Einklang mit der Marktüberwachungsverordnung wird der im ProdSG definierte Begriff des Wirtschaftsakteurs – bereits seit Langem im Produktsicherheitsrecht bekannt und bewährt – in § 2 Nr. 28 ProdSG erweitert. Künftig werden neben dem Hersteller, dem Bevollmächtigten, dem Einführer und dem Händler nunmehr auch der Fulfilment-Dienstleister und weitere Personen erfasst. Für den Fulfilment-Dienstleister wird in § 2 Nr. 11 ProdSG die Definition aus der Marktüberwachungsverordnung (vgl. § 2 Nr. 13 ProdSG) übernommen, wonach es sich um jede Person handelt,
die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen anbietet: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand von Produkten, an denen sie kein Eigentumsrecht hat
ausgenommen Postdienste, Frachtverkehrsdienste und bestimmte Paketzustelldienste.
Zukünftig wird außerdem jede andere Person,
die Verpflichtungen mit der Herstellung von Produkten, deren Bereitstellung auf dem Markt oder deren Inbetriebnahme gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften unterliegt
zu den Wirtschaftsakteuren zu zählen sein. Auch diese Neuerung erfolgt vor dem Hintergrund der Marktüberwachungsverordnung.
Fulfilment-Dienstleister erbringen in der EU zur Sicherstellung einer schnellen Auslieferung an Verbraucher Dienstleistungen für andere Wirtschaftsakteure; bspw. lagern sie Produkte und verpacken diese nach Eingang einer Bestellung und verschicken sie dann an Kunden. Aufgrund der Komplexität dieser neuen Geschäftsmodelle wird der Fulfilment-Dienstleister zu einem notwendigen Glied in der Lieferkette. Er ist zudem bei der Lieferung des Produkts und dadurch beim Inverkehrbringen eines Produkts beteiligt.
Daher sollen Fulfilment-Dienstleister zugunsten eines hohen Verbraucherschutzes einem Händler obliegende rechtliche Verpflichtungen übernehmen. Künftig hat der Fulfilment-Dienstleister dazu beizutragen, dass nur sichere Verbraucherprodukte an Verbraucher gelangen (§ 6 Abs. 6 S. 1 ProdSG). Zudem trifft auch ihn eine behördliche Meldepflicht, wenn er weiß oder anhand der ihm vorliegenden Informationen oder seiner Erfahrung wissen muss, dass ein von ihm auf dem Markt bereitgestelltes Verbraucherprodukt ein Risiko für die Sicherheit und Gesundheit von Personen darstellt (§ 6 Abs. 6 S. 3, Abs. 4 ProdSG).
Erleichterung von Vermarktungsverboten
Das deutsche Produktsicherheitsgesetz regelt bisher lediglich die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (positiv). Es enthält aber keine Vermarktungsverbote (negativ). Die Möglichkeit eine Verbotsverordnung für das Inverkehrbringen zu erlassen, kennt das deutsche Produktsicherheitsrecht (anders als bspw. das österreichische Recht) nicht. Mit der Gesetzesänderung soll nun in § 8 Abs. 2 die Möglichkeit geschaffen werden, die Vermarktung bestimmter Produkte mittels Verbotsverordnungen bundeseinheitlich zu verbieten oder zu beschränken. Ziel ist es, eine aktuell bestehende Regelungslücke zu schließen. Gemäß der Gesetzesbegründung sind Verordnungen des Bundes zur Beschränkung und zum Verbot eines Produktes indes nur in Ausnahmefällen zu erlassen.
Konkretisierung der Regelungen über das GS-Zeichen gemäß den Erfahrungen im Behördenvollzug
Mit der Änderung des ProdSG sollen auch die im 5. Abschnitt enthaltenen Regelungen über das GS-Zeichen (Geprüfte Sicherheit) angepasst werden. Die Voraussetzungen an die Zuerkennung des GS-Zeichens sowie die Pflichten der GS-Stellen (§§ 20 und 22) sollen auf Basis der gesammelten Vollzugserfahrungen und der gelebten Rechtspraxis überarbeitet und konkretisiert werden.
So muss bspw. ein Hersteller, der nicht in der EU oder der Europäischen Freihandelszone ansässig ist bzw. dort keine ladungsfähige Anschrift i.S.d. der ZPO hat, künftig in der EU einen Bevollmächtigten benennen, der als Adressat für die Maßnahmen der Befugnis erteilenden Behörde (bspw. Ordnungswidrigkeiten) dient.
Bislang hat sich der Rückgriff auf Hersteller in Drittstaaten bei Beanstandungen der Behörde als äußerst schwierig erwiesen. Zudem wird die Vergabe von Aufträgen an externe Stellen durch GS-Stellen nunmehr eigenständig in dem neuen § 23 (Einbeziehung von externen Stellen) geregelt. Letztlich werden an dieser Stelle bereits gemäß dem aktuellen § 23 Absatz 2 ProdSG existierende Pflichten konkretisiert. Insgesamt entsprechen die neuen Regelungen der bewährten Vollzugspraxis der Befugnis erteilenden Behörde; diese hat die neu aufgenommenen Bestimmungen bereits in der Vergangenheit in Auslegung der aktuellen gesetzlichen Regelungen angewendet.
Über die konkreten (Neu)Regelungen im Entwurf des Marktüberwachungsgesetzes / der Marktüberwachungsverordnung sowie im Entwurf des Gesetzes über überwachungsbedürftige Anlagen und die Änderungen und Auswirkungen für die Hersteller und Händler im Vergleich zum aktuell in Deutschland geltenden Recht werden wir in weiteren Blogbeiträgen berichten.