Aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Beweisaufnahme im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr.
Pünktlich zum 2. Februar 2022 kam Amerikas berühmtestes Murmeltier Punxsutawney Phil aus seinem Bau in Gobbler’s Knob und sagte für dieses Jahr sechs weitere Wochen Winter voraus.
Die meteorologische Zeremonie, der jedes Jahr tausende Zuschauer* beiwohnen und die in den USA landesweit live übertragen wird, geht auf eine Tradition deutscher Einwanderer zurück. Dieser zugrunde liegt folgende Bauernregel:
Sonnt sich der Dachs in der Lichtmeßwoche, so geht er auf vier Wochen wieder zu Loche.
Der Dachstag konnte sich hierzulande allerdings nicht mit annähernd vergleichbarem Erfolg durchsetzen wie der Groundhog Day in den USA.
Kulturelle Unterschiede prägen in vielerlei Hinsicht auch den deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr. Immer wieder heikel sind dabei Anordnungen US-amerikanischer Gerichte gegenüber in Deutschland ansässigen Parteien auf Vorlage von Beweismitteln im Rahmen von Discovery-Verfahren.
Dieses Thema ist derzeit in zweifacher Hinsicht aktuell: Einerseits gibt es in Deutschland einen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz, nach dem der kategorische Ausschluss der Rechtshilfe in Bezug auf Vorlageanordnungen im Rahmen von Discovery-Verfahren durch eine differenzierte Regelung ersetzt werden soll. Andererseits wird in den USA im März vor dem U.S. Supreme Court die mündliche Verhandlung in den verbundenen Sachen ZF Automotive US, Inc. v. Luxshare, Ltd. und AlixPartners, LLC v. Fund for Protection of Investor Rights in Foreign States stattfinden. In dieser Sache hat der U.S. Supreme Court Gelegenheit, darüber zu entscheiden, inwieweit US-amerikanische Gerichte dazu berufen sind, ausländische Handels- und/oder Investor-Staaten-Schiedsgerichte bei der Beweisaufnahme unter Anwendung des eigenen Rechts zu unterstützen.
Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über diese aktuellen Entwicklungen.
Referentenentwurf sieht Änderung insb. von § 14 des Ausführungsgesetzes zum HBÜ/HZÜ (HaagÜbkAG) vor
Deutschland und die USA sind Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (HZÜ) und des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. März 1970 (HBÜ). Das HBÜ enthält Regelungen über die Amtshilfe bei der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen.
Gem. Art. 23 HBÜ kann sich jeder Vertragsstaat vorbehalten, keine Rechtshilfegesuche zu erledigen, die gestellt werden, um eine pre-trial discovery of documents zu erlangen, wie sie in Common-Law-Rechtsordnungen bekannt ist. Von diesem Vorbehalt hat Deutschland Gebrauch gemacht.
§ 14 Abs. 1 HaagÜbkAG sieht in seiner derzeitigen Fassung dementsprechend vor, dass
Rechtshilfeersuchen, die ein Verfahren nach Artikel 23 des Übereinkommens zum Gegenstand haben, (…) nicht erledigt
werden. Wenngleich deutsche Gerichte im Zusammenhang mit US-amerikanischen Discovery-Verfahren stehende Rechtshilfegesuche daher ablehnen, kann diese Regelung Vorlageanordnungen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen in Deutschland nicht verhindern. US-amerikanische Gerichte erlassen nämlich solche Anordnungen regelmäßig auf Grundlage ihres eigenen Prozessrechts.
Der U.S. Supreme Court hat eine solche exterritoriale Anwendung der Federal Rules of Civil Procedure neben dem HBÜ in der Sache Societe Nationale Industrielle Aerospatiale et al. V. United States District Court for The Southern District of Iowa grundsätzlich gebilligt. In diesem Urteil aus dem Jahr 1987 entschied der Gerichtshof, dass das HBÜ das nationale Prozessrecht nicht verdränge und auch keinen Anwendungsvorrang beanspruche. Stattdessen bleibe das nationale Prozessrecht neben dem HBÜ innerhalb der Grenzen der international comity anwendbar. Unter dem Gesichtspunkt der international comity sprachen sich die Verfasser eines der Entscheidung beigefügten Minderheitenvotums für eine grundsätzlich vorrangige Anwendung des HBÜ aus.
Mit der im aktuellen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz geplanten Änderung des HaagÜbkAG soll nach der Begründung der exterritorialen Anwendung des US-Prozessrechts gegenüber in Deutschland ansässigen Parteien der Boden entzogen werden. Zudem, so die Begründung, erscheine der Totalvorbehalt nicht mehr zeitgemäß, da auch deutsche Gerichte nach einer entsprechenden Änderung von § 142 ZPO im Jahr 2001 heute Prozessparteien und auch Dritte zur Vorlage von Urkunden und anderen in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen auffordern können.
Gem. dem Referentenentwurf soll § 14 HaagÜbkAG wie folgt gefasst werden:
Rechtshilfeersuchen, die ein Verfahren nach Artikel 23 des Übereinkommens zum Gegenstand haben, werden nur erledigt, wenn
1. die vorzulegenden Dokumente genau bezeichnet sind,
2. die vorzulegenden Dokumente für das jeweilige Verfahren und dessen Ausgang von Bedeutung sind,
3. die vorzulegenden Dokumente sich im Besitz einer an dem Verfahren beteiligten Partei befinden und
4. das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt.
Diese Regelung erinnert an die Regelung in Art. 3 der IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration, die als in der Praxis bewährter Kompromiss zwischen der Civil-Law- und Common-Law-Kultur verstanden werden kann. Inwieweit eine solche eingeschränkte Bereitschaft Deutschlands zur Leistung von Rechtshilfe US-amerikanische Gerichte von der exterritorialen Anwendung ihres Prozessrechts abhalten würde, bleibt abzuwarten.
28 U.S.C. § 1782(a) als Grundlage für eine Vorlageanordnung zur Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren?
Zum US-amerikanischen Prozessrecht gehört auch 28 U.S.C. § 1782(a). Satz 1 der Regelung lautet:
The district court of the district in which a person resides or is found may order him to give his testimony or statement or to produce a document or other thing for use in a proceeding in a foreign or international tribunal, including criminal investigations conducted before formal accusation.
Inwieweit diese Regelung auf Schiedsverfahren anwendbar ist, ist sehr umstritten. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Schiedsgericht als foreign or international tribunal im Sinne von § 1782(a) zu qualifizieren ist. Diese Frage, die von den U.S. Courts of Appeal unterschiedlich beantwortet wird und die der U.S. Supreme Court bislang offengelassen hat, stellt sich in zwei Verfahren, die der U.S. Supreme Court zur einheitlichen Entscheidung verbunden hat.
ZF Automotive US Inc. v. Luxshare Ltd.
Die Sache ZF Automotive US Inc. v. Luxshare Ltd. betrifft einen Rechtsstreit, der aus einem im April 2018 geschlossenen Unternehmenskaufvertrag nach deutschem Recht herrührt und der Gegenstand eines möglichen DIS-Schiedsverfahrens mit Sitz in München ist.
Vor Einleitung des Schiedsverfahrens stellte Luxshare einen Ex-parte-Antrag nach § 1782(a) beim Court of the Eastern District of Michigan auf Vorladung zweier Vertreter des ZF-Managements. Das Gericht ordnete die Vorladung zunächst an. Auf Antrag von ZF wurde der Umfang der Anordnung anschließend zwar eingeschränkt, die Anordnung aber im Übrigen aufrechterhalten. Ein Antrag von ZF auf Aussetzung der Anordnung vor dem U.S. Court of Appeals for the Sixth Circuit scheiterte. ZF beantragte daraufhin, die Sache zur Entscheidung durch den U.S. Supreme Court zuzulassen. Diesem Antrag wurde stattgegeben und die Anordnung des District Court in Michigan ausgesetzt.
AlixPartners, LLC v. Fund for Protection of Investor Rights in Foreign States
Der Sache AlixPartners, LLC v. Fund for Protection of Investor Rights in Foreign States liegt eine Anordnung gem. § 1782(a) des U.S. District Court for the Southern District of New York zugrunde. Mit dieser Anordnung gab das New Yorker Gericht einem Antrag des russischen Fund for Protection of Investor Rights in Foreign States auf Vorlageanordnungen im Zusammenhang mit einem auf Grundlage des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen Litauen und Russland geführten Schiedsverfahrens statt.
In diesem Schiedsverfahren macht der Fund gegen den litauischen Staat Ansprüche aus abgetretenem Recht im Zusammenhang mit der Privatisierung der litauischen Snoras Bank und dem anschließend über diese eingeleiteten Insolvenzverfahren geltend. Ziel des Antrags nach § 1782(a) war, im Wege der Discovery Informationen von dem im Rahmen der Privatisierung für die Snoras Bank bestellten vorläufigen Verwalter und dessen heutigem Arbeitgeber, dem Beratungsunternehmen AlixPartners, für die Zwecke des Schiedsverfahrens zu erlangen.
In In re Guo for an Order to take Discovery for Use in a Foreign Proceeding Pursuant to 28 U.S.C. 1782 war der Court of Appeal for the Second Circuit im Rahmen einer funktionalen Auslegung zum Ergebnis gelangt, dass ein privates Schiedsgericht kein tribunal im Sinne von § 1782(a) ist. Mit Hinweis auf diese Entscheidung beantragten der Verwalter und AlixPartners eine erneute Entscheidung des District Court, der jedoch von seiner Entscheidung nicht abwich. Auf die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung hin entschied der U.S. Court of Appeals for the Second Circuit, dass das auf Grundlage eines völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens eingesetzte Schiedsgericht, anders als ein privates Schiedsgericht, als tribunal im Sinne von § 1782(a) zu qualifizieren sei.
Amicus Curiae Briefs des U.S. Department of Justice und des Internationalen Gerichtshofs der ICC
Verschiedene Interessensträger haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, im Verfahren vor dem U.S. Supreme Court Amicus Curiae Briefs einzureichen, darunter das U.S. Department of Justice und der Internationale Gerichtshof der ICC.
Das Department of Justice macht sich in seinem Schriftsatz für eine restriktive Auslegung von § 1782(a) stark. Interessant ist der Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen für Vorlageanordnungen im Schiedsverfahren im US-amerikanischen Schiedsrecht restriktiver seien als im Zivilprozess. Eine extensive Anwendung von § 1782(a) würde dazu führen, dass Vorlageanordnungen in ausländischen Schiedsverfahren leichter zu erlangen seien als in solchen, die dem Federal Arbitration Act unterliegen.
Der ICC-Schiedsgerichtshof hat sich in seinem Amicus Curiae Brief, ohne für oder gegen die Anwendung von § 1782(a) in Schiedsverfahren Stellung zu beziehen, für eine Einschätzungsprärogative der Schiedsgerichte ausgesprochen. Eine Anordnung gem. § 1782(a), sofern sie zulässig sei, solle keinesfalls ohne Zustimmung des Schiedsgerichts erfolgen können.
Weitere Entwicklung offen
Es darf mit Spannung erwartet werden, wie sich die Dinge diesseits und jenseits des Atlantiks entwickeln. Frühere Anläufe, den Ausschluss der Rechtshilfe im Zusammenhang mit Discovery-Verfahren zu ändern, sind gescheitert. Ebenso ist offen, wie der U.S. Supreme Court über die Reichweite von § 1782(a) entscheiden wird. Phil das Murmeltier dürfte in diesen Fragen nicht weiterhelfen können. Die Trefferquote in seinem Kerngebiet der Wettervorhersage liegt in den letzten zehn Jahren bei nicht einmal 40 %.