29. Januar 2024
Prozessfinanzierung Gerichtsverfahren
Dispute Resolution

Muss eine Prozessfinanzierung im (Schieds-)Gerichtsverfahren offengelegt werden?

Offenlegungspflichten für Prozessfinanzierungen werden immer häufiger diskutiert. Wann muss was offengelegt werden? Ein Blick auf den Status Quo und Regulierungsvorhaben.

Die gewerbliche Prozessfinanzierung hat in den letzten Jahren sowohl in Europa als auch im außereuropäischen Ausland einen starken Aufschwung erfahren. In Deutschland hat die Prozessfinanzierung gerade im Kontext der Geltendmachung von Masseschäden erheblich an Bedeutung gewonnen. Aber auch außerhalb des kollektiven Rechtsschutzes nimmt die Zahl der (schieds-)gerichtlichen Verfahren unter Beteiligung eines Prozessfinanzierers stetig zu.

Mit der steigenden Bedeutung der Prozessfinanzierung rückt auch die Frage ihrer Regulierung zunehmend in den Fokus. Insbesondere die Forderung nach mehr Transparenz zur Vermeidung von Interessenskonflikten wurde vom Europäischen Parlament in einem EU-Richtlinien-Vorschlag aufgegriffen. Auch die deutsche Gerichtsbarkeit setzt sich aktuell mit einer Reihe von Fragen zur Prozessfinanzierung auseinander. Das OLG München wird sich demnächst zu der Frage äußern, ob die Finanzierungsvereinbarung zwischen einem britischen Prozessfinanzierer und einem Rechtsdienstleister, der eine Sammelklage gegen ein LKW-Kartell betreibt, im Prozess vollständig offenzulegen ist.

Diese jüngeren Entwicklungen geben Anlass zu einem Überblick über die bereits existierenden und die geplanten Regelungen zu Offenlegungspflichten für Prozessfinanzierungen.

Typischer Inhalt von Prozessfinanzierungsvereinbarungen 

Die Prozessfinanzierung zeichnet sich dadurch aus, dass ein nicht an dem (schieds-)gerichtlichen Verfahren beteiligter Dritter einer Partei die zur Führung des Prozesses erforderlichen finanziellen Mittel ganz oder teilweise zur Verfügung stellt. Im Gegenzug partizipiert der Finanzierer typischerweise an dem von der finanzierten Partei im Prozess erstrittenen Erlös – in der Regel in Form einer prozentualen Beteiligung und/oder eines sog. Multiple seines Investments.

Im Fall einer Klageabweisung trägt der Finanzierer in der Regel das volle Risiko und verliert sein Investment, wohingegen die finanzierte Partei Regressfreiheit genießt („Non-recourse-Prinzip“). Um den drittfinanzierten Kläger im Fall des Unterliegens auch von den erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten der Gegenseite freizustellen, wird in der Praxis häufig zusätzlich eine Versicherung abgeschlossen, durch die sich der Kläger im Falle der Verurteilung zur Kostentragung (teilweise) schadlos halten kann.

In der Regel (noch) keine Offenbarungspflicht nach nationalen Rechtsordnungen

Mit der wachsenden Bedeutung der Prozessfinanzierung mehren sich auch die Rufe nach deren Regulierung – insbesondere im Hinblick auf Pflichten zur Offenlegung im Prozess. 

Im deutschen Recht – ebenso wie in den meisten nationalen Rechtsordnungen – gibt es bislang keine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Prozessfinanzierung oder ihrer Offenlegung im Prozess. Umso bemerkenswerter ist die aktuelle Entwicklung in der vor dem OLG München anhängigen Klage eines Rechtsdienstleisters gegen ein LKW Kartell. Die Beklagten erheben in diesem Verfahren den Vorwurf, die prozessfinanzierte Klage sei aufgrund von Interessenskonflikten unzulässig. Die Klägerin sei vom Prozessfinanzierer wirtschaftlich zu abhängig, unter anderem, weil sie durch die konkrete Ausgestaltung des Finanzierungsvertrags in ihrer Möglichkeit, einem Vergleich zuzustimmen, erheblich beschränkt sei. Zur Klärung dieser Frage müsse der gesamte Vertrag offengelegt werden. Die Entscheidung des OLG München steht noch aus – in der mündlichen Verhandlung hat es den Vertrag jedoch bereits zum Dreh- und Angelpunkt für die Zulässigkeit der Sammelklage erklärt.

(Noch) keine gesetzliche Regelung von Offenlegungspflichten auf EU-Ebene

Auf Ebene der Europäischen Union gibt es derzeit noch keine verbindliche Regelung der Prozessfinanzierung. Allerdings hat deren zunehmende Bedeutung zu konkreten und weitgehenden Regulierungsvorhaben geführt. Viel diskutiert wurden insbesondere ein Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2021 (der sog. Voss-Bericht) und der darauf beruhende Richtlinienvorschlag des EU-Parlaments vom 13. September 2022, der das Ziel einer umfassenden Regulierung von Finanzierungsvereinbarungen verfolgt.

Zwar betont der Richtlinienvorschlag des EU-Parlaments – anders als noch der Voss-Bericht – auch die Vorteile der Prozessfinanzierung, insbesondere für den effektiven Zugang zur Justiz. Dennoch übernimmt er größtenteils die bereits im Voss Bericht vorgesehene sehr weitgehende Regulierung, insbesondere im Hinblick auf Offenlegungspflichten. Danach sind nicht nur die Existenz einer Prozessfinanzierung und die Identität des Finanzierers offenzulegen, sondern auf Anordnung des Gerichts oder Antrag des Gegners auch die gesamte, ungeschwärzte Finanzierungsvereinbarung.

Darüber hinaus soll die Finanzierungsvereinbarung nach dem Richtlinienvorschlag auch einer behördlichen und gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen. Diese inhaltlichen Vorgaben beinhalten unter anderem, dass der Prozessfinanzierer im Falle eines Ausfalls der finanzierten Partei auch die Kosten des Gegners tragen muss, dass der Finanzierer erst nachrangig zu befriedigen ist und dass sein Gewinnanteil 40% nicht überschreiten darf.

Unterschiedlich weitgehende Regelungen in den Schiedsordnungen

In den Schiedsordnungen der internationalen Schiedsinstitutionen existiert kein einheitliches Regelwerk zur Prozessfinanzierung oder ihrer Offenlegung im schiedsgerichtlichen Verfahren. Allerdings veranlasst die zunehmende Anzahl von Schiedsverfahren, in denen eine Partei von einem Prozessfinanzierer unterstützt wird, Schiedsinstitutionen zunehmend dazu, Offenlegungsregelungen in ihre Schiedsordnungen aufzunehmen.

Noch keine Regelung zur Prozessfinanzierung existieren in den aktuellen Schiedsordnungen der DIS und der LCIA. Somit müssen in Schiedsverfahren, die den Regeln dieser Schiedsinstitutionen unterliegen, bislang grundsätzlich weder Existenz noch Inhalt einer Prozessfinanzierungsvereinbarung offengelegt werden.

Demgegenüber sehen die ICC 2021 Rules (Art. 11.7), die Swiss Rules (Practice Notes B.2.100), die SCC Rules (Policy Note), die VIAC Rules (Art. 13a); sowie die HKIAC 2018 Rules (Artikel 44.1) eine Pflicht zur Offenlegung der Existenz einer Prozessfinanzierungsvereinbarung sowie der Identität des Finanzierers vor. Der genaue Inhalt der Vereinbarung, insbesondere deren kommerzielle Details, unterliegen nach diesen Schiedsregeln jedoch keiner grundsätzlichen Offenlegungspflicht.

Umfangreichere Offenlegungspflichten enthalten dagegen die SIAC Investment Arbitration und SIAC Commercial Arbitration Schiedsregeln. Zwar besteht hier eine Pflicht zur Offenlegung der Existenz einer Prozessfinanzierungsvereinbarung und der Identität des Finanzierers nur auf Anordnung des Schiedsgerichts. Allerdings können in diesem Fall auch weitergehende Offenlegungspflichten greifen: Unter dem Vorbehalt einer Angemessenheitsprüfung kann gemäß der SIAC Investment Arbitration Rules (Art. 24(1)) und der SIAC Commercial Arbitration Rules Practice Notes auch die Offenlegung von Details über das Interesse des Finanzierers am Ausgang des Verfahrens und über die Frage, ob auch die Kosten der Gegenseite (sog. „adverse costs“) von dem Prozessfinanzierer übernommen werden, angeordnet werden. 

Die umfangreichsten Offenlegungspflichten sind in den Schiedsregeln zur Beilegung von Investor-Staat Streitigkeiten von ICSID und der CIETAC enthalten. Rule 14 der ICSID Arbitration Rules und Artikel 27 der CIETAC Investment Arbitration Rules sehen vor, dass sowohl die Existenz einer Finanzierungsvereinbarung als auch die Identität des Finanzierers unaufgefordert offenzulegen sind. Darüber hinaus kann das Schiedsgericht im Einzelfall aber auch die Offenlegung weiterer Informationen verlangen, wie etwa die Vorlage der Finanzierungsvereinbarung. Ähnliches sieht mit Artikel 48 der am 1. Januar 2024 in Kraft getretenen CIETAC Arbitration Rules nun erstmals auch ein Regelwerk für Handelsschiedsverfahren vor. 

Ergebnis und Ausblick

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die auf europäischer Ebene geplante Regulierung, insbesondere bezogen auf Offenlegungspflichten, deutlich über die bisherigen Regelungen in den meisten Schiedsordnungen hinausgehen würde. Die vorgesehenen inhaltlichen Vorgaben würden zudem in die bisherige marktwirtschaftliche Regelung der Branche eingreifen und wesentlich strengere Grenzen setzen als bisher.

Das grundsätzliche Anliegen einer rechtssicheren Regulierung der gewerblichen Prozessfinanzierung ist zwar zu begrüßen. Insbesondere können Offenlegungspflichten dazu geeignet sein, mehr Transparenz zu schaffen und potenzielle Interessenskonflikte zu vermeiden. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass eine Pflicht zur Offenlegung des gesamten Finanzierungsvertrags einschließlich seiner wirtschaftlichen Bedingungen weit über dieses Ziel hinausschießen würde und überdies dem Prozessgegner der finanzierten Partei einen erheblichen Vorteil verschaffen kann. Insbesondere die Information, über welche finanziellen Mittel der Gegner zur Führung des Prozesses verfügt oder wie hoch der Prozessfinanzierer das Risiko des konkreten Prozesses bewertet – was sich häufig aus den wirtschaftlichen Bedingungen der Finanzierungsvereinbarung ableiten lässt – mag für den Prozessgegner von Vorteil sein. 

Vor diesem Hintergrund scheinen die bislang in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit existierenden Offenlegungspflichten, wonach in der Regel nur die Existenz einer Prozessfinanzierung und die Identität des Finanzierers offengelegt werden müssen und ein Schiedsgericht allenfalls im Ausnahmefall eine weitergehende Anordnung treffen kann, ausreichend, um ein gebotenes Maß an Transparenz und Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Regulierungsvorhaben auf europäischer Ebene weiterentwickelt und wie der Markt hierauf reagieren wird.

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