In der Debatte um das Streitbeilegungsverfahren schlägt die EU-Kommission einen dem staatlichen Gerichtsverfahren angenäherten Investitionsgerichtshof vor.
Mit ihren in der vergangenen Woche veröffentlichten Vorschlägen reagiert EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström auf die anhaltende Kritik an den bislang geplanten Regelungen zum TTIP-Streitbeilegungsverfahren.
Wesentliche Neuerung ist die vorgeschlagene Einführung eines eigenen TTIP-Investitionsgerichtshofes, der aus einem Tribunal erster Instanz und einer Berufungsinstanz bestehen soll. Die Spruchkörper sollen mit vorab öffentlich bestellten Richtern besetzt werden, die strengen ethischen Anforderungen unterliegen sollen und z.B. nicht als Anwälte in anderen Verfahren des Investitionsschutzrechts tätig werden dürfen.
Rückblick: TTIP in der Kritik
Die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) wurden von Beginn an kritisch begleitet. Dabei stehen die Regelungen zum Investor-Staat Schiedsverfahren (investor-state dispute settlement, ISDS) im Zentrum der Kritik. Gegner des Freihandelsabkommens befürchten vor allem eine „Schatten-″ oder „Paralleljustiz″ in der internationale Konzerne ihre Interessen auf Kosten der beteiligten Staaten durchsetzen und eine Absenkung von Umwelt- und Verbraucherstandards herbeiführen können.
Ziel der Reform der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
Das neue Streitbeilegungssystem soll laut Malmström das Vertrauen der Öffentlichkeit durch Übertragung von Elementen der staatlichen Gerichtsbarkeit auf Investor-Staat-Schiedsverfahren stärken und zugleich die Vorreiterrolle der EU bei der Reform der Investitionsschiedsverfahren untermauern.
Die Vorschläge sind bislang allerdings nicht Gegenstand der offiziellen TTIP-Verhandlungen mit den USA, sondern dienen als interne Diskussionsgrundlage zwischen den EU-Institutionen. Sie sollen nach entsprechender Diskussion sowohl Bestandteil der TTIP-Konsultation zwischen der EU und den USA als auch Grundlage für zukünftige Handels- und Investitionsschutzabkommen der EU werden.
Bereits geschlossene Investitionsschutzabkommen, wie das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) mit Kanada werden von den Reformvorschlägen nach jetzigem Stand nicht berührt.
Staatliches Regulierungsrecht
Neben verfahrensrechtlichen Änderungsvorschlägen sieht der Kommissionsentwurf auch Anpassungen des materiellen Investitionsschutzrechts vor. In dieser Hinsicht verdient insbesondere die hervorgehobene Stellung des staatlichen Regulierungsrechts (right to regulate) und die damit verbundene Begrenzung der Investorenrechte Beachtung. Die Richter werden nunmehr ausdrücklich angewiesen, die Investitionsschutzregelungen nicht dahingehend zu interpretieren, dass eine Änderung bestehender staatlicher Regulierungspolitik durch das Abkommen ausgeschlossen sei.
Zudem werden in einer nicht abschließenden Liste legitime Ziele staatlicher Regulierung aufgezählt, darunter u.a. Gesundheitsschutz, öffentliche Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz sowie die Förderung und die Sicherung kultureller Diversität.
Zur Verhinderung missbräuchlicher Klagen wurden zudem die Regelungen zum Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung (fair and equitable treatment, FET) überarbeitet. Sie sehen nunmehr eine in sich abgeschlossene Aufstellung staatlicher Verhaltensweisen vor, die eine Verletzung des FET-Grundsatzes darstellen. Hierzu sollen z.B. offensichtlich willkürliches Verhalten oder fundamentale Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gehören. Auch die Interpretation des Enteignungstatbestands soll durch klarstellende Bestimmungen und Definitionen präzisiert werden.
Einführung eines Investitionsgerichtshofs
Das Herzstück der Reformvorschläge bilden jedoch die einschneidenden Änderungen des Streitbeilegungssystems: Der neu einzuführende Investitionsgerichtshof soll aus dem sog. Tribunal der ersten Instanz (Tribunal of First Instance oder Investment Tribunal) und einem sog. Berufungstribunal (Appeal Tribunal) bestehen. Die Richter der beiden Instanzen sollen öffentlich ernannt werden und ausschließlich zur Entscheidung über Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit TTIP zuständig sein.
Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollen den Tribunalen insgesamt 15 (Tribunal der ersten Instanz) bzw. 6 (Berufungstribunal) Richter angehören. Dabei soll jeweils ein Drittel der Richter die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaats, ein Drittel die US-Staatsbürgerschaft und ein weiteres Drittel die Staatsangehörigkeit eines unabhängigen Drittstaats besitzen.
Die Beilegung von konkret anhängigen Streitigkeiten soll anschließend durch drei nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Richter erfolgen. Das Tribunal soll wiederum paritätisch mit einem Unionsbürger, einem US-Amerikaner und einem Staatsbürger eines Drittlandes, der auch den Vorsitz des Gerichts übernimmt, besetzt werden. Anders als nach den bisher gängigen Regeln hätten die Parteien keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Wahl der Richter.
Anforderungen an die Richter
Laut Malmström sollen die Richter hinsichtlich ihrer Qualifikation vergleichbar hohen Anforderungen unterliegen, wie z.B. die Richter des International Court of Justice (ICJ) oder der WTO Berufungsinstanzen. Darüber hinaus sollen strenge ethische Anforderungen und ein Verbot des Auftritts als Parteivertreter in Investitionsschutzverfahren gelten.
„First step″ zu einem multilateralen Investitionsgerichtshof?
Die genannten Vorschläge sollen laut Kommission nur ein erster Schritt zu noch weitreichenderen Reformen von Investitionsschiedsverfahren sein. Parallel zu den TTIP-Verhandlungen sollen Gespräche über die Einführung eines International Investment Court aufgenommen werden, vor dem sämtliche Streitbeilegungsverfahren im Zusammenhang mit Handels- und Investitionsschutzabkommen geführt werden sollen. Durch die Schaffung eines solchen Handels- oder Investitionsgerichtshofes solle laut Malmström die „Effizienz, Einheitlichkeit und Rechtmäßigkeit des Investitionsschutzrechts″ weiter vorangetrieben werden.
Ausblick: Weitere Überzeugungsarbeit nötig
Es bleibt abzuwarten, ob die vorgeschlagenen Anpassungen des TTIP-Streitbeilegungsverfahrens die Kritiker des Freihandelsabkommens tatsächlich besänftigen können. Den ersten Reaktionen von Gegnern des Abkommens nach zu urteilen, wird dieses Ziel wohl nicht erreicht werden. NGOs wie Campact kritisieren, dass es sich nur um kosmetische Änderungen handle, die zudem nicht für das CETA Abkommen mit Kanada gelten.
Von der Kritik an der fehlenden Geltung für CETA abgesehen, überrascht das Ausmaß der Kritik, da der Entwurf der EU-Kommission zum TTIP-Investitionsschutzkapitel sowohl aus materiell-rechtlicher, als auch aus verfahrensrechtlicher Sicht, umfangreiche Zugeständnisse an die Kritiker des Abkommens beinhaltet. Insbesondere durch den Plan, die Richterbenennung ausschließlich auf die Staaten zu übertragen, verschiebt sich die Balance zwischen Investorenschutz und staatlichen Interessen zugunsten letzterer.
Fraglich bleibt zudem, ob sich die vorgestellten Regelungen – sofern sie tatsächlich ihren Weg in den abschließenden TTIP-Vertrag finden – auch als praxistauglich erweisen. Durch die Abkehr von wesentlichen Merkmalen des Schiedsverfahrens und der Einführung einer der staatlichen Gerichtsbarkeit ähnelnden Struktur, läuft die EU-Kommission Gefahr, die Vorteile des bisherigen Streitbeilegungsmechanismus aufzugeben und gleichzeitig bestehende Schwächen des staatlichen Rechtsschutzes auf das Investitionsschutzrecht zu übertragen.
Der Entwurf zu den neuen TTIP-Streitbeilegungsregelungen kann über die Internetpräsenz der EU-Kommission abgerufen werden.