27. Januar 2017
Gasnetzzugangsverordnung
Energiewirtschaft & Klimaschutz

BMWi plant Änderung der Gasnetzzugangsverordnung

Gasnetzzugangsverordnung: Das BMWi hat angekündigt, das System des Gasnetzzugangs an die energiewirtschaftliche Entwicklung anzupassen.

Der Grundsätze des Gasnetzzugangs in Deutschland sind in §§ 20 ff. Energiewirtschaftsgesetz („EnWG“) geregelt. Eine hierauf basierende detaillierte Ausgestaltung des Netzzugangs findet sich in der Gasnetzzugangsverordnung („GasNZV“) vom 3. September 2010.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“) hat aktuell angekündigt, einzelne Regelungen der Gasnetzzugangsverordnung zu ändern. Hintergrund sind die Marktentwicklung in Deutschland sowie europäische Vorgaben durch die als EU-Verordnungen erlassenen sog. Netzkodizes. Mit seiner Ankündigung greift das BMWi auch Streitfragen rund um die Gasnetzzugangsverordnung auf, die teilweise schon Gegenstand behördlicher und gerichtlicher Verfahren waren.

Die geplanten Änderungen betreffen im Wesentlichen vier Regelungsbereiche der Gasnetzzugangsverordnung. Das BMWi hat hierzu Eckpunkte veröffentlicht.

Gasnetzzugangsverordnung: Einführung untertägiger Kapazitätsprodukte an allen Ein- und Ausspeisepunkten

Im System des Netzzugangs ist zu differenzieren zwischen Netzkopplungspunkten („NKP“) und Nichtkopplungspunkten. NKP sind Verbindungen zwischen Fernleitungsnetzen an Grenz- und Marktgebietsübergangspunkten. Nichtkopplungspunkte bezeichnen dagegen Verbindungen der Fernleitungsnetze mit daran angeschlossenen Anlagen wie z.B. Gasspeichern, Kraftwerken oder Industriekunden.

§ 11 Abs. 1 GasNZV verpflichtet die Fernleitungsnetzbetreiber („FNB“) dazu, Kapazitäten auf Jahres-, Quartals-, Monats- und Tagesbasis anzubieten. Untertägige Kapazitäten gehören nicht zu den verpflichtend anzubietenden Produkten. § 9 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 der Verordnung (EU) Nr. 984/2013 der Europäischen Kommission vom 14. Oktober 2013 zur Festlegung eines Netzkodex über Mechanismen für die Kapazitätszuweisung in Fernleitungsnetzen („NC CAM“) verpflichtet FNB darüber hinaus auch zum Angebot untertägiger Kapazitäten an NKP. Eine entsprechende Verpflichtung an Nichtkopplungspunkten besteht dagegen nicht.

Von Kunden- bzw. Lieferantenseite wurde die Vermarktung untertägiger Kapazitäten insbesondere an Speichern und Kraftwerken gefordert. Die Flexibilität und damit die Wettbewerbsmöglichkeiten von Speichern und Kraftwerken würden beeinträchtigt, wenn an diesen Anlagen Kapazitäten maximal am Vortag für den Folgetag, nicht aber untertägig gebucht werden könnten. FNB haben entsprechende Forderungen abgelehnt. Nach geltender Rechtslage seien sie hierzu nicht verpflichtet.

In der Folge kam es zu einem Missbrauchsverfahren nach § 31 EnWG vor der Bundesnetzagentur („BNetzA“). Die BNetzA hat den Antrag auf Verpflichtung zum Angebot untertägiger Kapazitäten an Nichtkopplungspunkten mit Beschluss vom 20. September 2016 (BK7-16-099) zurückgewiesen. FNB seien nach geltender Rechtslage berechtigt, aber nicht verpflichtet, an Nichtkopplungspunkten untertägige Kapazitäten anzubieten. Die Weigerung verstoße nicht gegen § 11 Abs. 1 GasNZV. Auch liege kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gem. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG vor. Die europarechtlichen Vorgaben erlaubten eine Differenzierung zwischen NKP und Nichtkopplungspunkten.

Der Frage kommt über das konkrete Verfahren hinaus energiepolitische Bedeutung zu. Konventionelle (Gas-) Kraftwerke sind in der derzeitigen Marktlage in ihrer Wirtschaftlichkeit stark eingeschränkt. Zusätzliche Beschränkungen ihrer Einsatzmöglichkeiten sind daher kritisch. Auch Gasspeicher befinden sich kommerziell in einem schwierigen Umfeld. Dabei könnten Speicher und Gaskraftwerke das Flexibilitätspotential im Strommarkt 2.0 erhöhen. Mit ausdrücklichem Hinweis auf diesen Flexibilitätsbeitrag zur Energiewende hat das BMWi nun seine Ankündigung begründet, die FNB zum Angebot untertägiger Kapazitäten an allen Ein- und Ausspeisepunkten, also auch an Nichtkopplungspunkten, zu verpflichten.

Unklar ist, ob das BMWi tatsächlich alle Nichtkopplungspunkte einbeziehen will. Der Hinweis auf die Flexibilitätsmärkte könnte dafür sprechen, dass nur Anschlusspunkte an Kraftwerken und Speichern gemeint sind. Bei einer Ausweitung auf andere Punkten wie z.B. Industriekunden stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und inwieweit die Möglichkeit der Buchung untertägiger Kapazitäten für sie überhaupt Sinn macht. Die vom BMWi angekündigte Konsultation der Eckpunkte wird insoweit Klarheit schaffen.

Streichung der Vergabe von Kapazitäten nach dem Prinzip first-come-first-served

Art. 2 Abs. 1 NC CAM und § 13 Abs.1 GasNZV sehen explizit eine verpflichtende Vergabe von Kapazitäten im Auktionsverfahren nur für NKP vor. An Nichtkopplungspunkten wie z.B. bei Speichern gilt gem. § 13 Abs. 3 GasNZV eine Vergabe nach der zeitlichen Reihenfolge der Anfragen, dem Prinzip first-come-first-served („FCFS“). Das BMWi schlägt in seinen Eckpunkten zur Änderung der Gasnetzzugangsverordnung nun vor, das Prinzip FCFS abzuschaffen. Damit würden FNB alle Kapazitäten einheitlich im Wege von Auktionen vergeben. Zur Begründung wird angeführt, in Netzen mit konkurrierender Kapazitätsvergabe (Konkurrenzzonen) sei eine gleichzeitige Kapazitätsvergabe per Auktion und FCFS nicht möglich.

Konkurrenzzonen sind Netzgebiete, die über mehrere Einspeisepunkte aufgespeist werden. Dabei übersteigt die Summe der Einspeisekapazitäten die maximale Kapazität, die in dem nachgelagerten Netzgebiet zur Verfügung steht. Der betroffene FNB hat in dieser Situation grds. zwei Möglichkeiten der Kapazitätsvergabe. Zum einen kann er ex ante die Kapazität des Netzgebiets auf die Einspeisepunkte aufteilen. Er trifft hierzu Prämissen über die Nachfrage an den Einspeisepunkten mit der Konsequenz, das die nachfolgende Buchungssituation hiervon abweichen kann und Kapazität ungenutzt bleibt. Zum anderen kann er die gesamten Einspeisekapazitäten im Rahmen einer Auktion konkurrierend vergeben. In diesem Fall entscheidet die Nachfrage darüber, an welchen Einspeisepunkten die knappe Kapazität des Netzgebiets bereitgestellt wird. Dies dient der Optimierung der Kapazitätsnutzung.

Befinden sich in einer Konkurrenzzone Nichtkopplungspunkte wie die an Speichern, deren Kapazität im Wege FCFS gebucht werden, vermindern diese Buchungen die für Auktionen verfügbare Kapazität an den Einspeisepunkten der Konkurrenzzone. Zudem folgen FCFS-Buchungen nicht dem vorgegebenen Auktionskalender. Sie können vielmehr jederzeit getätigt werden. So kann es in Konkurrenzzonen zu einem zeitlichen Auseinanderfallen der Buchungen an NKP und an Nichtkopplungspunkten kommen.

Die BNetzA wurde mit der Problematik der konkurrierenden Kapazitätsvergabe bereits befasst. Über ein einheitliches Vergabesystem war dabei wegen der entgegenstehenden Vorgaben der Gasnetzzugangsverordnung nicht zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund hat sie in ihrem Beschluss vom 9. September 2016 (BK7-15-031) zumindest zusätzliche Veröffentlichungspflichten vorgesehen. Danach muss der betroffene FNB angeben, ob den Konkurrenzzonen weitere Punkte angehören, die nicht in Auktionsverfahren vergeben werden. Diese Vorabinformation soll es Auktionsteilnehmern ermöglichen, ihr Bieterverhalten besser einzustellen.

Es ist indes nicht eindeutig, ob das BMWi FCFS komplett oder nur im Fall von Konkurrenzzonen streichen will. In den Eckpunkten ist zunächst von einer Abschaffung von FCFS und der Einführung eines einheitlichen Zuteilungsverfahrens für alle von FNB angebotenen Kapazitäten die Rede. Im Fortgang werden aber nur noch die Konkurrenzzonen und die Vermarktung von untertägigen Kapazitäten problematisiert. Schließlich wird lediglich die Streichung von § 13 Abs. 1 S. 4 GasNZV angekündigt, der sich ausschließlich auf untertägige und unterbrechbare Kapazitäten bezieht. § 13 Abs. 3 GasNZV, der das Prinzip FCFS ausdrücklich für alle Nichtkopplungspunkte vorsieht, bleibt dagegen unerwähnt.

Das FCFS-Prinzip stellt anders als Auktionen kein wettbewerbliches Vergabeverfahren dar. Dies könnte für seine völlige Abschaffung sprechen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es vielfach an Nichtkopplungspunkten wie z.B. bei Industriekunden oder Kraftwerken keinen Wettbewerb um die Kapazität gibt. Der Einzige, der die Kapazität nutzen kann, ist der betreffende Anschlussnehmer selbst. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob eine Beschränkung seiner Handlungsoptionen durch Abschaffung von FCFS und verpflichtender Teilnahme an einem regulierten Auktionsverfahren erforderlich und verhältnismäßig wäre. Darüber hinaus würde die Einführung von Auktionen für alle Nichtkopplungspunkte einen erheblichen Mehraufwand bedeuten.

Gasnetzzugangsverordnung: Weiterentwicklung der deutschen Marktgebiete für Gas

Zu Beginn der Regulierung im Jahr 2006 existierten in Deutschland 28 Marktgebiete. Die Reduktion der Marktgebiete durch die FNB führte bereits im Jahre 2011 zu den heutigen zwei qualitätsübergreifenden Marktgebieten. § 21 Abs. 1 S. 6 GasNZV sah hierfür spätestens den 1. August 2013 vor.

Die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) hat im Januar 2015 ein sog. Gas Target Model II veröffentlicht. Danach soll die weitere Entwicklung des europäischen Erdgasmarktes durch die Stärkung der Liquidität der Großhandelsmärkte unterstützt werden. Vor diesem Hintergrund hat die BNetzA 2015 ein Gutachten zu den Potentialen weiterer Marktgebietsintegration und zum Stand der deutschen Marktgebiete in Auftrag gegeben. Zu den Ergebnissen der Studie fand ein erster Workshop im November 2016 statt. Die BNetzA wertet derzeit die Stellungnahmen des Marktdialogs aus und wird im Winter 2017 weitere Informationen veröffentlichen.

In seinen Eckpunkten kündigt das BMWi an, Ergebnisse des laufenden Marktdialogs bei der Änderung der Gasnetzzugangsverordnung im Hinblick auf die Marktgebiete zu berücksichtigen. Solche Ergebnisse sind derzeit jedoch nicht in Sicht. § 21 GasNZV in seiner jetzigen Form ist jedenfalls überholt und könnte deshalb zu streichen sein. Möglicherweise wird er durch eine Norm zur Weiterentwicklung der Marktgebiete auf Basis des status quo ersetzt.

Ermittlung des langfristigen Kapazitätsbedarfs bei der Netzentwicklungsplanung

§ 15a EnWG verpflichtet die FNB zur Aufstellung eines Netzentwicklungsplans. Der ursprünglich jährliche Planungszyklus wurde durch § 15a EnWG n.F. in einen zweijährigen Zyklus überführt. Daneben verpflichtet § 17 GasNZV die FNB zu einer jährlichen Ermittlung des langfristigen Kapazitätsbedarfs.

Die umfassende Netzentwicklungsplanung des § 15a EnWG berücksichtigt jedoch alle wesentlichen Gesichtspunkte der Kapazitätsbedarfsermittlung nach § 17 GasNZV. Es stellt sich die Frage, ob § 17 GasNZV damit obsolet ist. Die FNB haben in Abstimmung mit der BNetzA seit Einführung des § 15a EnWG die Ermittlung des langfristigen Kapazitätsbedarfs nach § 17 GasNZV in den jeweiligen NEP aufgenommen.

Zu der offensichtlichen Doppelregelung kam es, da § 15a EnWG erst im Rahmen der Umsetzung des dritten Energiebinnenmarktpakets im Jahr 2011 in das EnWG aufgenommen wurde, also ein Jahr nach Einführung des Verfahrens nach § 17 GasNZV. Dabei wurde die ältere Verordnungsvorschrift wohl übersehen.

Zu bedenken ist allerdings, dass § 17 GasNZV keine isolierte Regelung darstellt. So nimmt die Verwirklichung des Ausbauanspruchs nach § 39 Abs. 2 GasNZV Bezug auf das Verfahren gem. § 17 GasNZV. Würde § 17 GasNZV gestrichen und der Ausbauanspruch in das Verfahren nach § 15a EnWG n.F. integriert, wäre der zweijährige Zyklus auch für Ansprüche nach § 39 Abs. 2 GasNZV anwendbar. Bei Einführung einer durchaus sinnvollen Verfahrenskonzentration im Rahmen der Netzausbauplanung wären solche Wechselwirkungen zu berücksichtigen.

Ausblick: Novelle der Gasnetzzugangsverordnung noch in 2017?

Das BMWi wird auf Basis der veröffentlichten Eckpunkte zunächst eine Konsultation der Marktbeteiligten durchführen. Im Anschluss daran soll im März 2017 ein Entwurf zur Änderung der Gasnetzzugangsverordnung vorgelegt werden. Ob das Verordnungsverfahren vor der Bundestagswahl im September 2017 abgeschlossen werden kann, bleibt abzuwarten.

Tags: Energierecht Gasnetzzugangsverordnung