Die EnWG-Novelle zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben ist in Kraft getreten.
Nach der Zustimmung des Bundesrates ist der überwiegende Teil des Gesetzes zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften (Gesetz) am 29. Dezember 2023 in Kraft getreten.
Das Gesetz dient in erster Linie der Umsetzung des Urteils des EuGH vom 2. September 2021 zur Unabhängigkeit der BNetzA. Es schafft zum anderen den rechtlichen Rahmen für den Aufbau des deutschen Wasserstoff-Kernnetzes. Um diese Punkte soll es vorliegend gehen, nicht aber um die darüberhinausgehenden, in dem Gesetz vorgesehenen Änderungen des Energiewirtschaftsrechts.
Erheblicher Kompetenzzuwachs für die BNetzA
In Umsetzung des EuGH-Urteils zur Unabhängigkeit und Zuständigkeit der BNetzA werden deren Kompetenzen umfassend erweitert, was sich zuvorderst in neuen Festlegungsbefugnissen manifestiert, die bestehende Verordnungsermächtigungen der Bundesregierung (BReg) überschreiben bzw. ersetzen. Hierzu wird die umfassende Verordnungsermächtigung der BReg in § 24 EnWG gestrichen. Außerdem werden § 29 EnWG und § 54 Abs. 3 EnWG zu den Befugnissen der Regulierungsbehörde entsprechend angepasst bzw. erweitert. Flankiert wird dieser Zuständigkeitswechsel durch das in Art. 15 des Gesetzes geregelte gestufte Außerkrafttreten der energierechtlichen Verordnungen zur Regelung von Netzzugang und -entgelten nach folgendem Zeitplan:
- StromNZV mit Ablauf des 31. Dezember 2025,
- StromNEV mit Ablauf des 31. Dezember 2028,
- GasNZV mit Ablauf des 31. Dezember 2025,
- GasNEV mit Ablauf des 31. Dezember 2027,
- ARegV mit Ablauf des 31. Dezember 2028.
Umfassende Zuständigkeit der BNetzA für Netzzugang und -entgelte
Die Neujustierung der Zuständigkeiten beginnt bei § 17 Abs. 4 EnWG, der eine neue Festlegungsbefugnis der BNetzA hinsichtlich der Vorgaben zu den technischen und wirtschaftlichen Bedingungen für den Netzanschluss vorsieht. Die bestehende Verordnungsermächtigung der BReg in § 17 Abs. 3 EnWG zum Erlass entsprechender Vorschriften über diese Bedingungen wird zwar beibehalten. Die weitergehende Ermächtigung der BReg zur Regelung der Voraussetzungen, unter denen die BNetzA Bedingungen für den Netzanschluss festlegen kann, wurde dagegen wegen der Aufnahme von § 17 Abs. 4 EnWG gestrichen. Außerdem wird die BNetzA ermächtigt, von diesbezüglichen Verordnungen der BReg abzuweichen bzw. diese zu ergänzen. Nach der Gesetzesbegründung soll der BNetzA so die Regelung einer verursachungsgerechten Beteiligung der Netzanschlussnehmer an den Netzausbaukosten im Rahmen des Umbaus des Energiesystems ermöglicht werden.
§ 20 Abs. 3 EnWG (für Strom) und Abs. 4 (für Gas) regeln neue Festlegungsbefugnisse der BNetzA bei der Ausgestaltung und Abwicklung des Netzzugangs und der Bilanzierung bzw. überführen bestehende Befugnisse aus den außerkrafttretenden Verordnungen in das EnWG. Die detailliert aufgezählten Regelungsgegenstände potentieller Festlegungen übernehmen wesentliche Grundzüge der Regulierungspraxis in das EnWG. Auch bei Netzzugang und Bilanzierung wird die BNetzA ermächtigt, von den entsprechenden Verordnungen der BReg abzuweichen bzw. diese zu ergänzen (Abweichungsbefugnis). So soll die BNetzA bereits während der Übergangszeit bis zum endgültigen Außerkrafttreten der Verordnungen diese durch eigene Festlegungen ersetzen können. Allerdings werden Grundprinzipien der bestehenden Regulierung zur Bilanzierung (bei Strom) und Bildung eines einheitlichen Marktgebietes (bei Gas) in § 21 Abs. 1a und b übernommen und sind damit nicht disponibel.
§ 21 Abs. 3 EnWG führt neue, detailliert ausgeführte Festlegungskompetenzen der BNetzA zu den Elementen des Netzentgeltsystems ein. Hierunter fallen insbesondere die Festlegung einer risikoangemessenen Eigenkapitalverzinsung und die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Netzkosten. Die Gesetzesbegründung betont im Strombereich, dass die Übertragung der Regelungssystematik aus der StromNEV in die Festlegungskompetenz der BNetzA keine unmittelbare inhaltliche Neuausrichtung zur Folge habe. Das gleiche dürfte auch ohne entsprechende Klarstellung für Gas gelten. Allerdings hat die BNetzA für den Übergangszeitraum auch bei den Netzentgelten eine Abweichungsbefugnis von der StromNEV und der GasNEV.
§ 21a EnWG regelt neue Festlegungskompetenzen der BNetzA (mit Abweichungsbefugnis) in Bezug auf die Methoden und Instrumente der Anreizregulierung, ohne eine solche für die Ermittlung der Netzentgelte zwingend vorzuschreiben. Die Vorschrift beschreibt zentrale Elemente einer Anreizregulierung. Damit – so die Gesetzesbegründung – seien die wesentlichen Maßstäbe einer Netzentgeltregulierung im Wege der Anreizregulierung im EnWG selbst geregelt, so dass verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge getan werde und der Regulierungsrahmen für die betroffenen Netzbetreiber ausreichend bestimmt sei. Gleichwohl werde im Sinne des EuGH die Wahl der Methode und deren Ausgestaltung der BNetzA übertragen.
In Ergänzung zu § 21a EnWG erhält die BNetzA in § 23a EnWG neue Festlegungskompetenzen zur Ausgestaltung der Verfahren der Netzentgeltgenehmigung. Laut Gesetzesbegründung soll damit klargestellt werden, dass es der Regulierungsbehörde obliege, die Mindestangaben zu definieren, die sie benötige, um Anträge auf Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG prüfen zu können. Außerdem könne sie nunmehr das Verfahren und die Anforderungen an die Unterlagen per Festlegung näher ausgestalten.
Die Verordnungsermächtigung in § 24a Abs. 1 EnWG zur Festlegung einheitlicher Übertragungsnetzentgelte wird aufgehoben. Stattdessen werden in § 24 EnWG, der in seiner bisherigen Fassung entfällt, die diesbezüglichen Regelungen aus §§ 14a – d StromNEV ins EnWG übernommen. Weiterhin entfällt die Verordnungsermächtigung in § 28i EnWG zu den Netzkosten grenzüberschreitender Elektrizitätsverbindungsleitungen.
Die Verordnungsermächtigung in § 28o Abs. 2 EnWG zu den Bedingungen und Entgelten für den Zugang zu Wasserstoffnetzen wird nicht gestrichen, sondern dahingehend ergänzt, dass die BReg die Höhe der Netzentgelte begrenzen oder Regelungen treffen darf, wonach die Differenz zwischen Kosten und Entgelten auf alle Netznutzer zu einem späteren Zeitpunkt verschoben werden. Weiterhin kann eine Vereinheitlichung der Netzentgelte sowie ein Ausgleichsmechanismus zwischen den Netzbetreibern vorgesehen werden. Allerdings enthält der neue § 28o Abs. 3 EnWG zusätzlich eine gewissermaßen konkurrierende Festlegungskompetenz der BNetzA mit Abweichungsbefugnis, die sich auf die Regelungsgegenstände der Verordnungsermächtigung in § 28o Abs. 2 EnWG bezieht.
Die Kompetenzerweiterung führt zu weiteren Änderungen
Die Erweiterung der Festlegungsbefugnisse der BNetzA bei Entfall der Verordnungen zu Netzzugang und -entgelten zieht Folgeänderung nach sich. So statuiert der neue § 73 Abs. 1b EnWG, dass Festlegungen so umfassend und verständlich zu begründen sind, dass diese für einen sachkundigen Dritten nachvollziehbar sind. Laut Gesetzesbegründung berücksichtigen diese verfahrensrechtlichen Anforderungen an Entscheidungen der BNetzA, dass eine normative Vorstrukturierung ihrer Entscheidungen nicht mehr möglich sein werde und dadurch die Bedeutung der gerichtlichen Überprüfbarkeit sowie der Nachvollziehbarkeit für die Betroffenen steige. Deshalb sei eine ausreichende Transparenz der wesentlichen Motivation einer Entscheidung herzustellen. Außerdem müsse den Gerichten eine umfassende Überprüfung der Entscheidungen der BNetzA ermöglicht werden.
§ 74 EnWG, der die Veröffentlichung von Verfahrenseinleitungen und Entscheidungen durch die BNetzA betrifft, wird dahingehend ergänzt, dass künftig auch Aufsichtsentscheidungen nach § 65 EnWG zu veröffentlichen sind. Auch hier bestehe ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere da es sich um Verfahren von Amts wegen handele.
§ 59 Abs. 3 EnWG sieht in Folge der erweiterten Festlegungsbefugnisse der BNetzA die Einrichtung der sog. Großen Beschlusskammer vor. Sie besteht aus dem Präsidium der BNetzA sowie den sachlich zuständigen Beschlusskammervorsitzenden und Abteilungsleitungen. Sie trifft die Festlegungen zu den Bedingungen und Methoden für Netzzugang und -entgelte gem. §§ 20 bis 23a EnWG, §§ 24 bis 24b EnWG sowie § 28o Abs. 3 EnWG.
Beim Wasserstoff steht die Schaffung des Wasserstoff-Kernnetzes im Vordergrund
Mit § 28r EnWG wird die Zielbestimmung der Schaffung eines überregionalen Wasserstoff-Kernnetzes (WKN) in das EnWG aufgenommen. Dieses soll gem. § 28r Abs. 1 EnWG die künftigen wesentlichen Wasserstoffproduktionsstätten und potenziellen Importpunkte mit den künftigen wesentlichen Wasserstoffverbrauchspunkten und Wasserstoffspeichern verbinden. Laut Gesetzesbegründung wird erwartet, dass der Verbrauch während des Markthochlaufes vor allem in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren mit dem höchsten Treibhausgasminderungspotenzial stattfindet.
Nach § 28r Abs. 2 EnWG müssen die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) drei Kalenderwochen nach Inkrafttreten der Regelung bei der BNetzA einen Antrag auf Genehmigung eines WKN stellen. Dabei sind der Zeitpunkt der Inbetriebnahme sowie die geplanten Investitions- und Betriebskosten anzugeben. Die Realisierung des WKN soll prioritär durch die Umstellung bestehender Fernleitungsnetze erfolgen, die nicht mehr für die Erdgasversorgung benötigt werden. Kommen die FNB ihrer Vorlagepflicht nicht fristgemäß nach, ist gem. § 28r Abs. 3 EnWG die BNetzA innerhalb von vier Monaten verpflichtet, ein WKN zu erstellen und zu veröffentlichen. Die BNetzA kann Unternehmen für die Durchführung der für die Erstellung des WKN notwendigen Projekte bestimmen, die sich mit der Aufnahme ihrer Leitungen in das WKN einverstanden erklärt haben.
Gem. § 28r Abs. 4 EnWG sind nur in Deutschland belegene Leitungen als Bestandteil des WKN genehmigungsfähig, deren geplante Inbetriebnahme bis zum 31. Dezember 2032 erfolgt. Außerdem müssen sie bestimmten Projekttypen entsprechen (z.B. IPCEI- oder Projekte zur Verbesserung des Imports). Die an Wasserstoffprojekten beteiligten Verteilernetz- und Speicherbetreiber sowie Träger von Wasserstoffprojekten sind nach § 28r Abs. 5 EnWG verpflichtet, mit den FNB zusammenzuarbeiten. Die FNB schlagen auf Basis dieser Abstimmung gem. § 28r Abs. 7 EnWG Unternehmen für die effiziente Durchführung der entsprechenden Projekte vor. Bei fehlender Übereinstimmung nimmt die BNetzA diese Bestimmung vor.
§ 28r Abs. 8 EnWG regelt genehmigungsrechtliche Fragen. Danach hat die BNetzA bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 28r Abs. 1 bis 7 EnWG ein beantragtes WKN als gebundene Entscheidung innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung zu genehmigen. Die Genehmigung ergeht ausschließlich im öffentlichen Interesse. Rechte Privater werden hierdurch nicht berührt. Aus planungsrechtlicher Sicht werden mit der Genehmigung für die betreffenden Wasserstoffnetzinfrastrukturen bei Inbetriebnahme bis 2030 deren energiewirtschaftliche Notwendigkeit und Vordringlichkeit fingiert. Außerdem gelten diese Infrastrukturen als im überragenden öffentlichen Interesse liegend.
Weitere Detailanpassungen bei der Wasserstoffregulierung
Als Folgeänderung zu § 28r EnWG sieht § 28j Abs. 3 S. 2 EnWG ergänzend vor, dass auch Betreiber des WKN ein Opt-In in die Wasserstoffregulierung erklären können, ohne dass hierbei die Bedarfsgerechtigkeit des WKN nach § 29p EnWG zu prüfen wäre. Laut Gesetzesbegründung können beim WKN die einzelnen Bedarfe noch nicht genau spezifiziert werden, so dass im Rahmen der Genehmigung des WKN dessen Bedarfsgerechtigkeit nicht geprüft wird. Ohne die Ergänzung wäre also Betreibern des WKN ein Opt-In verwehrt. Auch bei der Ergänzung in § 28o Abs. 1 S. 4 EnWG handelt es sich um eine Folgeänderung zu § 28r EnWG. Danach tritt die Bestimmung des WKN gem. § 28r Abs. 3 EnWG oder Abs. 8 als Voraussetzung neben die Prüfung der Bedarfsgerechtigkeit. Somit können auch die Kosten des WKN im Rahmen der Regulierung geltend gemacht werden. Die geänderte Formulierung in § 28p Abs. 2 S. 2 EnWG stellt schließlich klar, dass bei Vorliegen der Bedarfsgerechtigkeit der Wasserstoffnetzinfrastruktur auch deren energiewirtschaftliche Notwendigkeit vorliegt, ohne dass dies gesondert zu prüfen wäre. In § 28p Abs. 3 EnWG werden zusätzlich Regelvermutungen für die Annahme der Bedarfsgerechtigkeit eingeführt, z.B. wenn die Belieferung von industriellen Verbrauchern bezweckt wird.
Nach der Novelle ist vor der Novelle
Dieser Satz gilt für das EnWG im Allgemeinen und für die Regulierung von Wasserstoffnetzen im Besonderen. Bereits vor Abschluss der hier behandelten Novelle hat die BReg Mitte November 2023 den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes beschlossen. Der Entwurf enthält die „zweite Stufe“ für die Beschleunigung des Wasserstoffhochlaufs. Hierzu soll eine integrierte Netzentwicklungsplanung für Wasserstoff und Erdgas erfolgen. Außerdem enthält der Entwurf ein Finanzierungsmodell für das WKN mit einer subsidiären staatlichen Absicherung. Denn bei einer Finanzierung über die Netzentgelte würden zunächst prohibitiv hohe Tarife drohen. Überdies lässt sich der Hochlauf über den erforderlichen langen Investitionszeitraum nicht belastbar prognostizieren. Diesem Risiko der Netzbetreiber soll das vorgeschlagene Modell mit einer Deckelung der Netzentgelte, einem Amortisationskonto mit einer subsidiären Garantie des Bundes sowie einem Selbstbehalt der WKN-Netzbetreiber begegnen.
Aber auch mit diesem Dritten Gesetzes wird für den Wasserstoffsektor keine Ruhe einkehren. Mit der 4. Gasbinnenmarkt-Richtlinie, deren Verabschiedung in 2024 ansteht, wird sich die Frage des Regulierungsmodells für Wasserstoffnetze in Deutschland neu stellen. Dabei ist eine immer stärkere Annäherung an das bewährte Regulierungssystem beim Gas absehbar.