2. März 2018
Erneuerbare Energie Russland
Energiewirtschaft & Klimaschutz International

Erneuerbare Energie im russischen Energiesystem

Auch in Russland sind die erneuerbaren Energiequellen im Vormarsch; gefördert werden nicht nur Energielieferanten, sondern auch lokale Produktionsstätte.

Seit etwa einem Jahrzehnt wird in Russland als „Öl- und Gasland″ aktiv über die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen und deren Eingliederung in das russische Energiesystem diskutiert. Bereits im Jahr 2007 versuchte eine Novelle des Energiegesetzes (Föderales Gesetz „Energiegesetz“ № 35 vom 26. März 2003) erneuerbare Energiequellen in das Stromerzeugungssystem Russlands zu integrieren. Dieser Versuch scheiterte.

Mit einer Änderung des Stromgesetzes im Jahr 2011 erfolgte ein systematischer Wandel, der für einen Anreiz zur Schaffung von Kapazitäten von erneuerbarer Energie sorgte. Auf der Grundlage dieses Systems schuf die Verordnung №. 449 (Verordnung № 449 der russischen Regierung „Mechanismus für die Förderung erneuerbarer Energien auf dem Strom- und Kapazitätsgroßhandelsmarkt″ vom  28. Mai 2013) im Jahre 2013 den rechtlichen Rahmen für die Schaffung von Kapazitäten von erneuerbarer Energie auf dem russischen Strommarkt. Seitdem entwickelt sich der Markt. Eine Reihe von Investoren wurde nach Russland gezogen; einige erneuerbare Energieanlagen wurden schon gebaut, andere sind noch im Bau. Als Ziel setzt die staatliche Politik mit der Verordnung der russischen Regierung № 1 vom 8. Januar 2009 eine Quote von 4,5 % von aus erneuerbaren Quellen generierter Energie bis zum Jahr 2024 an.

Schlüsselelemente der Verordnung № 449

Die Verordnung № 449 befasst sich mit Solar-, Wind-, kleineren Wasserkraftwerken und Kraftwerken, die auf Abfallverarbeitung basieren. Sie deckt nicht den gesamten Bereich der erneuerbaren Energiequellen ab. Ein von dem Anwendungsbereich der Verordnung № 449 erfasstes Kraftwerk muss jährlich 5 MW oder mehr produzieren können. Regional ist die Verordnung № 449 auf das zentrale Tarifgebiet beschränkt und gilt nicht für so genannte außer-tarifliche Zonen und isolierte Gebiete.

Gemäß der Verordnung № 449 besteht der Hauptmechanismus der Förderung erneuerbarer Energien in dem Abschluss eines langfristigen Liefervertrags für Energiekapazitäten zwischen dem Betreiber der erneuerbaren Energiequelle und dem russischen Energiesystem. Dem potenziellen Lieferanten wird das Recht eingeräumt, eine solche Vereinbarung auf der Grundlage eines vom Verwalter des Handelssystems durchgeführten Ausschreibungsverfahrens zu schließen. Im Rahmen einer solchen Vereinbarung ist der Lieferant verpflichtet, die erneuerbare Energiequelle innerhalb einer vereinbarten Zeit aufzubauen und das Energiesystem mit Strom zu beliefern. Der Lieferant erhält einen Anspruch auf eine Vergütung für die Bereitstellung von Energiekapazitäten und für die gelieferte Energie auf der Grundlage von Tarifen, die für 15 Jahre festgelegt werden.

Der Abschluss einer Vereinbarung über die Bereitstellung von Kapazitäten erfolgt folgendermaßen: die potenziellen Lieferanten haben einmal jährlich die Möglichkeit an einem vom Verwalter des Handelssystems organisierten Ausschreibungsverfahren, in dem Kapazitäten angeboten werden, teilzunehmen. Potenzielle Lieferanten werden aufgefordert, ihre Gebote (Projektvorschläge) abzugeben. Das Angebot muss zusammen mit einer technischen Beschreibung des Projekts den Grad der Lokalisierung der erneuerbaren Energiequelle sowie finanzielle Garantien für die Verpflichtungen des potenziellen Lieferanten enthalten. Auf Grundlage der abgegebenen Gebote und gemäß den Vorgaben der Verordnung № 449 bestimmt der Verwalter des Handelssystems den „Gewinner“ und schließt mit ihm einen Vertrag über die Bereitstellung von Energiekapazitäten ab.

Die Hauptverpflichtung des potenziellen Lieferanten im Rahmen der Vereinbarung ist die Errichtung der erneuerbaren Energiequelle innerhalb der gesetzten Frist und unter Einhaltung der vereinbarten Parameter hinsichtlich Kapazität und Lokalisierung. Vereinbarungen über die Bereitstellung von Energiekapazitäten enthalten immer Bestimmungen über empfindliche Vertragsstrafen für Verzögerungen bei der Kapazitätsbereitstellung.

Ein weiteres zentrales Element einer Vereinbarung über die Bereitstellung von Energiekapazitäten sind die Anforderungen an die Lokalisierung. Die Verordnung № 449 enthält detaillierte Listen von Prozentsätzen am Grad der Lokalisierung, die den verschiedenen Elementen der zu errichtenden erneuerbaren Energiequelle zugeschrieben werden. Das Erreichen des vereinbarten Lokalisierungsgrades spielt eine entscheidende Rolle für die Bestimmung und Festlegung des Tarifes für die bereitgestellte Energie und Kapazität: wenn ein solcher Lokalisierungsgrad nicht erreicht wird, wird der Tarif deutlich niedriger (35 % bei solar und 45% bei Wind, Kleinwasserkraftwerken und bei Abfallverarbeitungskraftwerken), wodurch das entsprechende Projekt ökonomisch in der Regel nicht mehr tragfähig sein wird.

Nach der Fertigstellung der Anlage muss der Lieferant die Zertifizierung der erneuerbaren Energiequelle beantragen, um für den Energieversorgungsmarkt zugelassen zu werden. In den Prozess der Zertifizierung sind zwei staatliche Organe involviert, das Ministerium für Industrie und Handel und die Verwaltungs- und Koordinierungsorganisation des Großhandelsmarktes (Marktrat).

Nachdem der Lieferant seinen Antrag auf Bestimmung des Grades der Lokalisierung beim Ministerium für Industrie und Handel eingereicht hat, leitet das Ministerium diesen Antrag an die Kommission zur Bestimmung des Grades der Lokalisierung von erneuerbaren Energiequellen weiter. Auf der Grundlage des Beschlusses dieser Kommission wird das Ministerium eine Stellungnahme an den Marktrat abgeben, der seinerseits die erneuerbare Energiequelle in eine von drei Kategorien nach dem Grad ihrer Lokalisierung (weniger als 50%; zwischen 50 und 70 %; über 70%) einstuft. Auf Grundlage dieser Zertifizierung durch den Marktrat wird der Systemadministrator den entsprechenden Tarif für die gelieferte Energie bestimmen und anwenden.

Zusätzlich zu den durch die Verordnung № 449 vorgesehenen Anreizen bekommt der Lieferant auch eine Berechtigung, Zuschüsse aus dem russischen Bundeshaushalt zu beantragen, sofern er bestimmte Kriterien erfüllt. Solche Subventionen können in Form von Erstattung von Kosten, die bei der technologischen Verbindung des Kraftwerks mit Stromversorgungs- / Verteilungsnetzen bei dem Lieferanten entstehen, gewährt werden.

Herausforderungen in Projekten für erneuerbare Energien

Die Entwicklung des Sektors der erneuerbaren Energien in der Russischen Föderation ist relativ neu und nicht vollständig getestet. Da alle Teilnehmer aufgrund der laufenden Entwicklung in dem Bereich immer wieder mit neuen Umständen konfrontiert werden, stellen Projekten in diesem Sektor eine gewisse Herausforderung dar.

Für den potenziellen Kapazitätslieferanten wird das Ausschreibungsverfahren mit seinen spezifischen formalen Anforderungen im Mittelpunkt stehen. Die Vorbereitung eines detaillierten Angebots, das den technischen Anforderungen entspricht, ist die zentrale Aufgabe. Die Tatsache, dass praktisch alle Teilnehmer der letzten Ausschreibungsverfahrens als Konsortium zwischen russischen und ausländischen Unternehmen, deren Zusammenarbeit in verschiedenen Unternehmensformen organisiert war, fungierten, trägt zur Komplexität zusätzlich bei. Um den Inhalt des Angebots zu bestimmen, muss sich der Bieter (Lieferant) mit Technologieanbietern (Technologielieferanten) abstimmen, die in der Lage sein müssen, lokal produzierte Komponenten zu liefern.

Komponenten- oder Systemlieferanten, die mit dem Bieterkonsortium zusammenarbeiten, sehen sich mit Lokalisierungsanforderungen konfrontiert. Diese Anforderungen führen in der Regel zu der Notwendigkeit, neue Produktionsstätten in Russland zu errichten. Die meisten Schlüsseltechnologien im Bereich der erneuerbaren Energien werden derzeit in Russland nicht hergestellt. Wenn der Import solcher Komponenten wegen des geforderten Lokalisierungsgrades nicht möglich ist, wird der Komponenten- oder Systemlieferant gezwungen sein, neue Produktionsstätten in Russland zu schaffen. Dabei sind sie an die oft kurzen Fristen gebunden, die der potenzielle Energiekapazitätsanbieter vereinbart hat. Vereinbarungen von Vertragsstrafen werden dabei teilweise an den Zulieferer weitergereicht.

Der Aufbau einer High-Tech-Produktionsstätte wird in vielen Fällen dazu führen, dass bestimmte Investitionsanreize auf regionaler und föderaler Ebene vereinbart werden müssen und daher der Abschluss eines speziellen Investitionsvertrages (SPIC) erforderlich ist. Die Verhandlung im Zusammenhang mit einem solchen Vertrag (SPIC) ist ein hochtechnisches und zeitaufwendiges Verfahren, das nicht unterschätzt werden darf. In den meisten Fällen der High-Tech-Produktion kommt hinzu, dass die Beteiligung eines russischen Partners in der Produktion erforderlich ist und dadurch komplizierte Joint-Venture-Strukturen entstehen.

Neben diesen spezifischen Fragen ergeben sich typischerweise alle bekannten Probleme bei der Errichtung einer Produktion in Russland. Diese erstrecken sich vom Gesellschaftsrecht über Immobilien- und Baurecht bis hin zur arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

Ausblick in die Zukunft

Die Umsetzung des kapazitätsbasierten russischen Förderungssystems für erneuerbare Energien hat zu erheblichen Aktivitäten im Marktsegment geführt. Erneuerbare Energiequellen werden installiert oder sind im Bau. Das Lokalisierungserfordernis führt zur Notwendigkeit der Schaffung neuer Produktionsanlagen. Lieferanten, die in der Lage sind, Komponenten für erneuerbare Energien lokal zu produzieren, sind sehr gefragt.

Wir gehen davon aus, dass sich der Markt weiterhin fortentwickeln wird und später auch Segmente umfassen wird, die derzeit nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung № 499 fallen, wie z. B. die Energieversorgung in isolierten Gebieten. Die russische Politik unterstützt diese Entwicklungen. Heute ist der Sektor interessanter als je zuvor.

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