12. Oktober 2018
Aktienrecht, Gleichbehandlung, Nichtigkeitsklage
Aktienrecht Corporate / M&A

BGH zum aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie zur Rechtzeitigkeit von Nichtigkeitsklagen

Bei Ausnutzung von genehmigtem Kapital unter Bezugsrechtsausschluss ist § 53a AktG zu berücksichtigen; keine starren Fristen für Nichtigkeitsklagen.

Mit Urteil vom 10. Juli 2018 (Az. II ZR 120/16) hat sich der BGH zur Reichweite des aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgebots sowie zur Rechtzeitigkeit von Feststellungsklagen über die Nichtigkeit von Organbeschlüssen geäußert.

An der beklagten Hyrican Informationssysteme AG hielten ursprünglich der Aktionär W. und der Vorstand L. Aktienpakete in Höhe von 32,5%. 2011 veräußerte W. sein Aktienpaket an die Klägerin, die Deutsche Balaton AG, die durch weitere Zukäufe ihre Beteiligung an der Beklagten auf 42,5% aufstockte. Auf Grundlage einer entsprechenden Ermächtigung durch die Hauptversammlung beschlossen die Organe der Hyrican Informationssysteme AG Ende 2011 unter Ausnutzung des genehmigten Kapitals (i) eine Barkapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre sowie (ii) eine Sachkapitalerhöhung bei der allein L. zur Übernahme der neuen Aktien zugelassen wurde. Die durch diese Kapitalmaßnahmen geschaffenen Aktien erwarb allein Vorstand L., dessen Beteiligung sich hierdurch auf ca. 44% erhöhte, wohingegen sich die Beteiligung der Deutschen Balaton AG durch Verwässerung auf ca. 35% reduzierte.

Mit einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit griff die Deutsche Balaton AG die Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat an. Der BGH hat die vorinstanzlichen Entscheidungen und damit auch die Nichtigkeit der Organbeschlüsse bestätigt.

Beachtung von § 53a AktG bei Kapitalerhöhung aus genehmigten Kapital unter (vereinfachtem) Bezugsrechtsausschluss

Aktionäre sind unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln (§ 53a AktG). Ein Verstoß hiergegen ist nur zulässig, wenn die Ungleichbehandlung sachlich berechtigt ist, bzw. nicht sachwidrig und damit nicht willkürlich ist.

Ohne sachliche Berechtigung darf der Vorstand einer Aktiengesellschaft im Rahmen einer Kapitalerhöhung deshalb weder bei der Zuteilung neuer Aktien einzelne Aktionäre vor anderen bevorzugen, noch, wenn er von vorneherein einzelne Aktionäre berücksichtigen will, das Bezugsrechts ausschließen. Auch darf der Vorstand den ohne solche Absicht vorgenommenen Bezugsrechtsausschluss nicht dazu benutzen, um die neuen Aktien einzelnen Aktionären zuzuteilen.

Das Verbot gilt insbesondere, wenn ein derartiges Verhalten geeignet erscheint, die Machtverhältnisse in der Gesellschaft oder den Bestand von Minderheitenrechten zu beeinflussen. Dies gilt auch dann, wenn im Übrigen die gesetzlich geregelten Voraussetzungen eines vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG erfüllt sind – eine die Rechtswidrigkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses begründende Verletzung von § 53a AktG ist hierdurch nicht ausgeschlossen.

Rechtfertigung der Ungleichbehandlung: Darlegungs- und Beweislast bei Gesellschaft

Während der Aktionär die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Ungleichbehandlung trägt, obliegt es der Gesellschaft die sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung bzw. des Bezugsrechtsausschlusses darzulegen und zu beweisen. Anders als bei Anfechtungsklagen (so der BGH in der „Kali und Salz″-Entscheidung) ist es bei Nichtigkeitsklagen gegen entsprechende Verwaltungsbeschlüsse nicht aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich, dass ein Aktionär von der Gesellschaft dargelegte Rechtfertigungsgründe widerlegen muss.

Keine starren Fristen bei Erhebung von Nichtigkeitsklage

Wendet sich ein Aktionär gegen die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsbeschlüssen über die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts, ist er nicht an starre Fristen, insbesondere nicht an die Monatsfrist von § 246 AktG gebunden. Dies gilt zumindest bis zu der Hauptversammlung, auf der der Vorstand über die die Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts berichtet (§ 186 Abs. 4 AktG). Bis zu diesem Zeitpunkt muss sich die Rechtzeitigkeit einer Nichtigkeitsklage lediglich daran messen lassen, ob sie ohne unangemessene Verzögerung erhoben wurde.

Der für die Rechtzeitigkeit zu berücksichtigende Zeitraum beginnt, wenn der Aktionär den Beschluss der Verwaltung sowie dessen Nichtigkeit kennt oder kennen muss. Hierbei ist dem Aktionär auch Zeit einzuräumen, tatsächliche oder rechtliche Fragestellungen zu klären oder klären zu lassen.

Feststellungsinteresse trotz Wirksamkeit der Kapitalerhöhung

Obwohl die Nichtigkeitsklage nicht die Wirksamkeit der durchgeführten und eingetragenen Kapitalerhöhung beeinflussen kann, hat ein Aktionär dennoch ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse. Die Eintragung der Kapitalerhöhung führt nämlich nicht zur Heilung der der Kapitalerhöhung zu Grunde liegenden nichtigen Verwaltungsbeschlüsse, so dass schon im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaftsorgane ein schutzwürdiges rechtliches Interesse besteht.

Folgen für die Praxis: Einhaltung des aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgebots prüfen

Der BGH hat erstmals ausdrücklich zur Reichweite von § 53a AktG bei Kapitalerhöhungen aus genehmigten Kapital unter vereinfachten Bezugsrechtsausschluss Stellung bezogen. Während ganz überwiegend in der juristischen Literatur bei Vorliegen der Voraussetzungen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses dessen sachliche Rechtfertigung vermutet wird, ist in Zukunft kritisch zu hinterfragen, ob durch einen Bezugsrechtsausschluss in rechtsmissbräuchlicher Weise gegen das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG) verstoßen wird.

Die Entscheidung des BGH schafft für Vorstände und Aufsichtsräte rechtliche Unsicherheit: Da der BGH starre Fristen für die Erhebung von Nichtigkeitsklagen (jedenfalls bis zur Berichterstattung des Vorstands auf der nächsten Hauptversammlung) ablehnt, können Vorstände und Aufsichtsräte trotz Eintragung und Durchführung von Kapitalerhöhungen nicht sicher sein, ob ihre Beschlüsse rechtmäßig waren oder Schadensersatzklagen von Aktionären nach sich ziehen.

Insofern und vor dem Hintergrund der Beweislastverteilung empfiehlt es sich, die Umstände des Bezugsrechtsausschlusses, insbesondere die Umstände der sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nachvollziehbar zu dokumentieren.

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