9. Mai 2019
squeeze-out
Aktienrecht

SQUEEZE-OUT: Hochrechnung des Börsenkurses

Verstreicht ein "längerer Zeitraum", ist der angesetzte Börsenkurs auf den Tag der Hauptversammlung hochzurechnen und die Abfindung entsprechend anzupassen.

Ein Aktionär, der mindestens 95% der Anteile einer Aktiengesellschaft hält (sog. Hauptaktionär), kann die übrigen Aktionäre (sog. Minderheitsaktionäre) auch gegen ihren Willen aus der Aktiengesellschaft ausschließen (sog. Squeeze-out). Der Ausschluss erfolgt durch einen vom Hauptaktionär initiierten Beschluss der Hauptversammlung, der die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer angemessenen Barabfindung zum Gegenstand hat (§ 327a AktG). Die Höhe der Barabfindung wird dabei stets vom Hauptaktionär ermittelt und festgesetzt.

Ermittlung der angemessenen Barabfindung

Die Abfindung stellt einen Ausgleich für den Verlust des Aktieneigentums dar. Dementsprechend muss sie die Minderheitsaktionäre für den vollen Wert ihrer Aktien entschädigen. Um dies zu gewährleisten, wird die Barabfindung anhand des Unternehmenswertes der Zielgesellschaft sowie des Börsenkurses der Aktien der Zielgesellschaft bestimmt.

Die angemessene Barabfindung wird in der Praxis durch einen vom Hauptaktionär beauftragten Wirtschaftsprüfer ermittelt und bewertet. Zum Schutz der Minderheitsaktionäre wird der so ermittelte Betrag anschließend von einem gerichtlichen bestellten Wirtschaftsprüfer (sog. Angemessenheitsprüfer) überprüft.

Unternehmenswert

Der Unternehmenswert wird anhand betriebswirtschaftlicher Bewertungsgrundsätze ermittelt. Dabei wird hauptsächlich das vom Institut der deutschen Wirtschaftsprüfer standardisierte sog. Ertragswertverfahren (IDW S1) herangezogen. Daneben gelangt in der Praxis zunehmend auch die sog. discounted-cash-flow-Methode zur Anwendung.

Börsenkurs

Neben dem Unternehmenswert ist bei der Festsetzung der Barabfindung auch der Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft zu berücksichtigen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Barabfindung nicht unterhalb des relevanten Börsenkurses liegen. Dies gilt allerdings nur, sofern ein belastbarer Börsenkurs feststellbar ist; hieran fehlt es insbesondere, wenn die Aktie der Zielgesellschaft nicht ausreichend liquide ist.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Mindesthöhe der Barabfindung der nach Umsatz gewichtete durchschnittliche Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der erstmaligen Bekanntgabe des Squeeze-out relevant. Unter der „erstmaligen Bekanntgabe″ ist die erste Ankündigung des Squeeze-out zu verstehen, die eine Umsetzung aus Sicht eines verständigen Marktteilnehmers wahrscheinlich erscheinen lässt; die bekanntgegebene Information muss dementsprechend die unbedingte Ankündigung enthalten, den Squeeze-out durchführen zu wollen, und offenlegen, dass die Grundlagen geschaffen sind, diese Ankündigung in absehbarer Zeit umsetzen zu können.

Angemessenheit im Zeitpunkt der Beschlussfassung

Damit der Vorstand der Zielgesellschaft die Hauptversammlung einberuft, muss der Hauptaktionär an den Vorstand herantreten und unter Bezifferung der durch ihn bzw. der von ihm beauftragen Wirtschaftsprüfer ermittelten und durch den Angemessenheitsprüfer geprüften Barabfindung die Einberufung der Hauptversammlung verlangen (sog. „konkretes Übertragungsverlangen„).

Die Barabfindung muss somit zwingend bereits vor der Einberufung und damit auch vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Squeeze-out beschließen soll, feststehen. Dies widerspricht allerdings der gesetzlichen Regelung, wonach die Barabfindung im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung angemessen sein muss (§ 327b Abs. 1 AktG).

Aktualisierung der Unternehmensbewertung

Das konkrete Übertragungsverlangen wird in der Regel unmittelbar nach der Fertigstellung der Unternehmensbewertung gestellt. Zwischen dem Stichtag der Unternehmensbewertung und dem Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung liegen somit oft nur wenige Wochen (insbesondere die Einberufungsfrist).

Um die Aktualität der Unternehmensbewertung bzw. der Barabfindung zu gewährleisten, wird die Unternehmensbewertung üblicherweise auf den Tag der Hauptversammlung aktualisiert, d.h. bestätigt. Dies ist ohne weiteres möglich, sofern zwischen Hauptversammlung und Bewertungsstichtag keine Umstände eintreten, die eine abweichende Bewertung erforderlich machen.

Anpassung des Börsenkurses nur in Ausnahmefällen

Ein oftmals wesentlich längerer Zeitraum liegt zwischen dem Tag der erstmaligen öffentlichen Bekanntmachung des Squeeze-out (Stichtag für den relevanten Börsenkurs) und dem Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung. Erst nach der erstmaligen öffentlichen Bekanntmachung des Squeeze-out erfolgt die gerichtliche Bestellung des Angemessenheitsprüfers und der zeitintensive Prozess der Unternehmensbewertung wird eingeleitet. Somit vergehen zwischen dem Tag der Bekanntmachung und dem Tag der Hauptversammlung oft mehrere Wochen bis Monate.

Trotzdem ist eine Anpassung des der Barabfindung zu Grunde gelegten Börsenkurses auf den Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung nur in Ausnahmefällen angezeigt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Anpassung nur dann geboten, wenn zwischen der erstmaligen öffentlichen Bekanntgabe des Squeeze-out und dem Tag der Hauptversammlung ein „längerer Zeitraum″ verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse im Allgemeinen eine Anpassung geboten erscheinen lässt; die Anpassung erfolgt im Wege der sog. Hochrechnung.

Bestimmung des „längeren Zeitraums″

Wann ein solcher „längerer Zeitraum″ vorliegt, ist in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat allerdings einen zeitlichen Rahmen gesetzt: Ein „längerer Zeitraum″ liegt danach jedenfalls bei einem Zeitraum von siebeneinhalb Monaten vor (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2010 – II ZB 18/09 „Stollwerck″). Bei einem Zeitraum von dreieinhalb Monaten und weniger ist eine Hochrechnung hingegen nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 – II ZB 10/10). Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und Landgerichte bewegt sich innerhalb dieses Rahmens: Liegen zwischen erstmaliger öffentlicher Bekanntgabe des Squeeze-out und dem Tag der Hauptversammlung nicht mehr als sechseinhalb Monaten wird eine Anpassung des Börsenkurses einheitlich abgelehnt.

Den vom Bundesgerichtshof gesetzten Rahmen hat das Landgericht Frankfurt am Main (Urteil, vom 4. Februar 2019 – Az. 3-05 O 68/17) vor kurzem weiter konkretisiert. Danach soll ohne Vorliegen besonderer Umstände ein „längerer Zeitraum″ bereits bei einer Dauer von mehr als sieben Monaten bestehen (im konkreten Fall: sieben Monate und acht Tage). Seine Auffassung begründet das Landgericht Frankfurt am Main damit, dass erfahrungsgemäß zwischen erstmaliger öffentlicher Bekanntgabe des Squeeze-out und Tag der Hauptversammlung nur vier bis fünf Monate lägen. Fälle, in denen sieben Monate bis zur Hauptversammlung vergehen, gebe es nur äußerst selten. Deshalb müsse jedenfalls im Normalfall ab dem siebten Monat von einem „längeren Zeitraum″ gesprochen werden und eine Hochrechnung erfolgen.

Hochrechnung des Börsenkurses

Die Methodik der Hochrechnung ist weder gesetzlich geregelt noch durch einheitliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung festgelegt. Üblich und anerkannt ist jedenfalls eine Hochrechnung anhand der branchenspezifischen Entwicklung (Branchenindex oder Peer Group) auf den Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung.

Dieser Vorgehensweise hat sich auch das Landgericht Frankfurt am Main im Grundsatz angeschlossen; allerdings hat es im konkreten Fall sowohl die durchschnittliche Entwicklung eines Branchenindex als auch die durchschnittliche Börsenkursentwicklung von Peer Group-Unternehmen berücksichtigt.

Folgen für die Praxis

Durch die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main wurde das Vorliegen eines „längeren Zeitraums″ weiter konkretisiert. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich weitere Gerichte dieser Auffassung anschließen werden.

Um dennoch bei Squeeze-out-Prozessen eine Hochrechnung des Börsenkurses zu vermeiden, sollten zwischen erstmaliger öffentlicher Bekanntmachung des Squeeze-out (Referenzstichtag für den Börsenkurs) und dem Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung weniger als sieben Monate liegen.

Dies gilt insbesondere, da Antragsteller in anschließenden Spruchverfahren häufig damit argumentieren, dass die erhaltene Gegenleistung in Ermangelung einer Hochrechnung zu niedrig sei.

Auch wenn die Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt am Main speziell zu einem Squeeze-out ergangen ist, lassen sich die Feststellungen und Überlegungen gleichermaßen auf andere gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen, wie Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, Eingliederungen sowie Verschmelzungen, übertragen.

Tags: Börsenkurs Hauptversammlung SQUEEZE-OUT