Keine Differenzhaftung, aber mögliche Haftung der Gesellschafter wegen existenzvernichtenden Eingriffs bei der Verschmelzung zweier GmbHs.
Der BGH macht in seiner Entscheidung vom 06. November 2018 (II ZR 199/17) grundsätzliche Ausführungen zum Anwendungsbereich der Differenzhaftung in Umwandlungsfällen sowie zur Haftung der Gesellschafter wegen existenzvernichtender Eingriffe bei der Verschmelzung einer in wirtschaftliche Schieflage geratenen GmbH.
Vor dem Hintergrund, dass die Verschmelzung einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen GmbH auf einen gesunden Rechtsträger (sanierende Verschmelzung) ein praktisch häufig eingesetztes Gestaltungsmittel darstellt, um ein aufwendiges Liquidationsverfahren zu vermeiden, kommt der Entscheidung des BGH für die Praxis eine besondere Bedeutung zu.
Insolvenzverwalter macht Ansprüche gegen die Gesellschafter der übertragenden und übernehmenden GmbH geltend
Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der F-GmbH. An der F-GmbH war der Beklagte zu 1) als Mehrheitsgesellschafter und der Beklagte zu 2) als Minderheitsgesellschafter beteiligt. Die F-GmbH als übernehmende Gesellschaft schloss mit der G-GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte zu 1) war, als übertragende Gesellschaft einen Verschmelzungsvertrag. Im Zuge der Verschmelzung erhöhte die F-GmbH ihr Stammkapital und gab neue Geschäftsanteile an den Beklagten zu 1) als Alleingesellschafter der G-GmbH aus. Acht Monate nach der Verschmelzung wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der F-GmbH eröffnet.
Der Kläger macht Ansprüche gegen die Beklagten als Gesamtschuldner geltend. Nach Auffassung des Klägers sei die übertragende GmbH sowohl am Verschmelzungsstichtag als auch bei Abschluss des Verschmelzungsvertrags zahlungsunfähig bzw. überschuldet gewesen. Dem Kläger stünden daher Ansprüche unter dem Gesichtspunkt eines existenzvernichtenden Eingriffs gegen die Beklagten zu, da diese vorsätzlich eine zahlungsunfähige Gesellschaft auf eine zahlungsfähige Gesellschaft verschmolzen hätten.
Keine Differenzhaftung des Gesellschafters der übertragenden GmbH
Der BGH verneinte zunächst eine Differenzhaftung des Beklagten zu 1) als Alleingesellschafter der übertragenden GmbH unter dem Gesichtspunkt der Überbewertung von Sacheinlagen. Nach Auffassung des II. Zivilsenats komme eine Differenzhaftung bei einer Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung einer GmbH ebenso wenig in Betracht wie bei der Verschmelzung einer Aktiengesellschaft. Denn die Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers würden keine Kapitaldeckungszusage abgeben, die für eine Differenzhaftung erforderlich sei. Diese lasse sich weder aus dem Verschmelzungsvertrag noch aus dem Verschmelzungsbeschluss ableiten. Bei einer im Rahmen einer Verschmelzung durchgeführten Kapitalerhöhung fallen vielmehr Inferent (übertragende Gesellschaft) und Bezugsberechtigter (Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers) auseinander. Im Übrigen schließe § 55 Abs. 1 UmwG explizit die Anwendung von § 55 Abs. 1 GmbHG aus, der bei einer Kapitalerhöhung eine Übernahmeerklärung des neuen Gesellschafters fordere.
Nach der Einschätzung des BGH könne eine Differenzhaftung der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft auch nicht damit begründet werden, dass die Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers nicht hinreichend gegen Überbewertungen des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers abgesichert seien. Die Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers seien auf andere Weise hinreichend geschützt. Sie könnten eine Verschmelzungsprüfung verlangen, für deren Richtigkeit die Verschmelzungsprüfer haften. Bei Fehlern der Bewertung des übertragenden Rechtsträgers seien sie mittelbar über die Organhaftung der Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG geschützt.
Mögliche Haftung der Gesellschafter wegen existenzvernichtenden Eingriffs
In einem nächsten Schritt prüfte der BGH die Haftung der beiden Beklagten unter dem Gesichtspunkt eines existenzvernichtenden Eingriffs. Der II. Zivilsenat stellte dabei klar, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die Existenzvernichtungshaftung keinen Abfluss von Vermögenswerten aus dem Gesellschaftsvermögen voraussetze.
Ein Entzug des Gesellschaftsvermögens könne auch durch die Erhöhung der Verbindlichkeiten beim übernehmenden Rechtsträger bewirkt werden, wenn hierdurch zielgerichtet und zu betriebsfremden Zwecken die den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkürzt werde. Aus Sicht der betroffenen Gläubiger stelle sich die mit der Verschmelzung verbundene Mehrung der Schulden nicht anders dar als der Entzug von Aktivvermögen.
Missachtung der Trennung von Gesellschaftsvermögen vom Gesellschaftervermögen begründet die Sittenwidrigkeit
Nach den Ausführungen des BGH sei durch eine bloße Schädigung des Gesellschaftsvermögens das spezifische Merkmal der Sittenwidrigkeit, das den Tatbestand des existenzvernichtenden Eingriffs kennzeichne, noch nicht erfüllt.
Im vorliegenden Fall liege die Sittenwidrigkeit aber in der Missachtung des Prinzips der Trennung des Gesellschaftsvermögens vom Gesellschaftervermögen und der strikten Bindung des Gesellschaftsvermögens zur – vorrangigen – Befriedigung der Gläubiger. Die Beklagten hätten die Verbindlichkeiten der insolvenzreifen GmbH auf die übernehmende Gesellschaft verlagert und dadurch deren Insolvenz versursacht.
Die Missachtung des Prinzips der Vermögenstrennung und Bindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung ihrer Gläubiger ergebe sich somit daraus, dass die Beklagten die Verschmelzung als Gestaltungsmittel eingesetzt hätten, um die Verbindlichkeiten der G-GmbH auf die F-GmbH zu verlagern und hierdurch das vom Gesetz vorgesehenen Liquidationsverfahren zu umgehen.
Der II. Zivilsenat wies die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurück.
Folgen der BGH-Entscheidung für die Praxis: Auswirkungen im Vorhinein beachten
Der BGH positioniert sich in der Entscheidung erstmals zu einer im Zusammenhang mit GmbH-Verschmelzungen praxisrelevanten Streitfrage. Nach der Auffassung des II. Zivilsenats besteht für die Gesellschafter der übertragenden GmbH keine Differenzhaftung, wenn der Wert des übertragenen Vermögens das dafür ausgegebene Stammkapital nicht deckt.
Damit knüpft der BGH an seine Rechtsprechung zur Aktiengesellschaft an, für die er bereits im Jahr 2007 entschieden hat, dass eine Differenzhaftung der Aktionäre bei einer Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers mangels einer Kapitaldeckungszusage nicht besteht (BGH, Urteil vom 12. März 2007 – II ZR 302/05). Die an einer Verschmelzung beteiligten Gesellschafter müssen daher keine Differenzhaftung wegen einer möglichen Überbewertung der eingebrachten Sacheinlagen befürchten. Gleichwohl sollte in der Praxis bei einer Verschmelzung mit verbundener Sachkapitalerhöhung geprüft werden, ob der Wert des übertragenen Vermögens tatsächlich das Stammkapital deckt, da das Registergericht im Falle einer ersichtlichen Unterdeckung die Eintragung verweigern oder ein Wertgutachten anfordern kann (OLG Rostock, Urteil vom 19. Mai 2016 – 1 W 4/15).
Ferner präzisiert der BGH in dem Urteil seine Rechtsprechung zur Existenzvernichtungshaftung: Er stellt klar, dass ein Entzug von Gesellschaftsvermögen als Voraussetzung für einen existenzvernichtenden Eingriff grundsätzlich auch in der Erhöhung von Verbindlichkeiten liegen könne. Mit dieser Klarstellung weitet der II. Zivilsenat den Anwendungsbereich der Rechtsfigur des existenzvernichtenden Eingriffs deutlich aus, da nach der bisherigen Rechtsprechung für eine entsprechende Haftung an einen Vermögensentzug bzw. eine Vermögensabschöpfung bei der Gesellschaft angeknüpft wurde (BGH, Urteil vom 16. Juli 2007 – II ZR 3/04).
Des Weiteren stellt der Senat klar, dass sich die für die Existenzvernichtungshaftung erforderliche Sittenwidrigkeit des Vermögensentzugs nur aus solchen Umständen ableiten lasse, die Ausdruck einer Missachtung des Prinzips der Trennung des Gesellschaftsvermögens vom Vermögen der Gesellschafter und der strikten Bindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger sei. Für die Praxis bedeutsam ist dabei insbesondere die Feststellung des II. Zivilsenats, dass eine Sittenwidrigkeit des Vermögensentzugs dann anzunehmen sei, wenn die Verbindlichkeiten der übertragenden GmbH außerhalb eines geordneten Liquidationsverfahrens auf die übernehmende GmbH verlagert und dadurch die Insolvenz der übernehmenden GmbH ausgelöst werde.
Zusammengefasst zeigt die Entscheidung für die Praxis, dass vor einer Verschmelzung immer die Auswirkungen auf den übernehmenden Rechtsträger geprüft werden sollten. Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei dem übertragenden Rechtsträger um eine in wirtschaftliche Schieflage geratene GmbH handelt. In diesem Fall sollte vor der Verschmelzung geprüft werden, ob hierdurch die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) des übernehmenden Rechtsträgers herbeigeführt wird. Steht als Ergebnis dieser Prüfung fest, dass durch die Verschmelzung der übernehmende Rechtsträger selbst in eine wirtschaftliche Schieflage gerät, hat die Verschmelzung zu unterbleiben. Wird dagegen der Fortbestand des übernehmenden Rechtsträgers durch die Fusion nicht in Frage gestellt, stellt die sanierende Verschmelzung, auch nach dieser Entscheidung, eine in Betracht zu ziehende Gestaltungsoption dar.