Das BVerfG befasste sich jüngst mit den Anforderungen an die mündliche Verhandlung im Eilrechtsschutz und setzt praxisrelevante Maßstäbe.
Landen gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten vor Gericht, ist häufig eine zügige Entscheidung geboten. Folglich kommt dem Eilrechtsschutz in der gesellschaftsrechtlichen Praxis eine hohe Bedeutung zu. Ein häufig auftretendes Beispiel ist der Gesellschafter, der sich gegen seine Abberufung als Geschäftsführer oder seinen Ausschluss aus der Gesellschaft zur Wehr setzen muss.
Solche Fälle stellen das befasste Gericht vor große Herausforderungen, nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen: Einerseits ist eine schnelle Entscheidung für einen effektiven Rechtsschutz des Antragstellers unerlässlich. Zugleich gebieten die Prozessgrundrechte des Antragsgegners, dass die Entscheidungsfindung nicht überstürzt erfolgt.
Vor diesem Hintergrund dürfte eine jüngst getroffene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 12. März 2024 – 1 BvR 605/24) auch im Gesellschaftsrecht große Beachtung finden. Die Verfassungshüter nahmen eine presserechtliche Auseinandersetzung zum Anlass, um sich mit grundlegenden Anforderungen an die mündliche Verhandlung im Eilrechtsschutz zu beschäftigen.
Der Weg zum BVerfG
Ausgangspunkt des Verfahrens war der Erlass einer einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Hamburg, mit der einer Presseverlegerin die Bebilderung zweier Artikel untersagt wurde. Die Antragstellerin reichte den Verfügungsantrag am 24. Januar 2024 bei dem LG Hamburg ein, jedoch war dieser bereits auf den 15. Januar 2024 datiert und inhaltlich nahezu gleichlautend mit einer außergerichtlichen Abmahnung an die Presseverlegerin vom 2. Januar 2024. Die Presseverlegerin beantragte in ihrer Erwiderung vom 30. Januar 2024, den Antrag zurückzuweisen. Schon am Folgetag erließ das LG Hamburg die beantragte einstweilige Verfügung durch Beschluss (324 O 38/24). Der Beschluss erging ohne mündliche Verhandlung, ohne dass das LG Hamburg näher ausführte, warum es einer mündlichen Verhandlung nicht bedurft hätte.
Gegen diese einstweilige Verfügung zog die Presseverlegerin im Wege der Verfassungsbeschwerde vor das BVerfG und stellte ihrerseits einen Eilantrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG mit dem Ziel, die einstweilige Verfügung des LG Hamburg einstweilen außer Vollzug setzen zu lassen. Sie stützte ihre Verfassungsbeschwerde unter anderem auf eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit: Zum einen hätte eine mündliche Verhandlung stattfinden müssen, zum anderen hätte das Absehen von der mündlichen Verhandlung begründet werden müssen.
Das Recht auf prozessuale Waffengleichheit
In seiner Entscheidung befasste sich das BVerfG insbesondere mit der Frage, ob die einstweilige Verfügung eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit darstellt.
Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess. Er dient der verfassungsrechtlichen Sicherung der Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Demnach muss das Gericht „den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbstständig geltend zu machen″.
Verfassungsrechtliche Gebotenheit einer mündlichen Verhandlung?
Ausgehend von diesen Grundsätzen stellte sich dem BVerfG die Frage, welche Vorgaben aus dem Recht auf prozessuale Waffengleichheit für die mündliche Verhandlung im Eilrechtsschutz folgen.
Das BVerfG betont, dass das Recht auf prozessuale Waffengleichheit ebenso wenig wie der Gehörsgrundsatz (Art. 103 Abs. 1 GG) einen uneingeschränkten Anspruch auf eine mündliche Verhandlung begründet. Folglich gestatte § 937 Abs. 2 ZPO den Erlass einer einstweiligen Verfügung in „dringenden Fällen“ ohne mündliche Verhandlung. Die Fachgerichte hätten einen weiten Wertungsrahmen für die Beurteilung des Vorliegens eines „dringenden Falls“ im Sinne von § 937 Abs. 2 ZPO. Anders ausgedrückt kann in Fällen besonderer Dringlichkeit über eine einstweilige Verfügung auch ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Als verfassungsrechtliches Minimum sehe der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit in solchen Fällen vor, dass die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern – im zu entscheidenden Fall durch die schriftliche Erwiderung der Presseverlegerin vom 30. Januar 2024.
Sodann weisen die Verfassungshüter aber darauf hin, dass selbst im Eilrechtsschutz das Absehen von einer mündlichen Verhandlung die Ausnahme darzustellen hat. Im Regelfall solle eine mündliche Verhandlung stattfinden. Zudem setze die Annahme einer gesteigerten Dringlichkeit im Sinne von § 937 Abs. 2 ZPO sowohl seitens des Antragstellers als auch seitens des Gerichts eine entsprechende zügige Verfahrensführung voraus. Wenn deutlich werde, dass eine unverzügliche Entscheidung anders als zunächst vorgesehen nicht zeitnah ergehen muss oder kann, so sei das Gericht dazu angehalten, die Frage nach der Dringlichkeit erneut zu überdenken und gegebenenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, auf deren Grundlage dann zu entscheiden ist.
Verletzung durch das LG Hamburg
Unter Zugrundelegung dessen kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die einstweilige Verfügung des LG Hamburg das Recht auf prozessuale Waffengleichheit der Presseverlegerin offenkundig verletzt.
Der Entscheidung des LG Hamburg sei nicht zu entnehmen, weshalb es von einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, obwohl eine solche auch im Eilrechtsschutz die Regel sei. Des Weiteren habe das LG Hamburg in Ermangelung jeglicher Ausführungen zu § 937 Abs. 2 ZPO nicht erkennen lassen, ob es sich in seiner Verfahrenshandhabung überhaupt vom einschlägigen einfachen Recht hatte leiten lassen, und bleibe selbst hinter einer nur formelhaft begründeten Verfahrenshandhabung zurück, was unlängst vom BVerfG in einem ähnlich gelagerten Fall als verfassungswidrig eingestuft wurde. Darin sieht das Bundesverfassungsgericht ein bewusstes und systematisches Übergehen des Prozessrechts.
Folgen für die Praxis
Für die gesellschaftsrechtliche Praxis sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung: Wenn eine einstweilige Verfügung derart dringend erforderlich ist, dass eine solche ohne mündliche Verhandlung ergehen soll, muss auch die Verfahrensführung möglichst zügig erfolgen, um keine Zweifel an der nach § 937 Abs. 2 ZPO erforderlichen gesteigerten Dringlichkeit aufkommen zu lassen. Mit anderen Worten: Erhält ein Gesellschafter eine Ladung zu einer Gesellschafterversammlung, an deren Ende etwa seine Abberufung oder sein Ausschluss aus der Gesellschaft erfolgen soll, so muss er umgehend hiergegen eine einstweilige Verfügung beantragen. Er sollte nicht bis wenige Tage vor der Versammlung zuwarten.
Umgekehrt kann die Gesellschaft in Fällen, in denen eine einstweilige Verfügung gegen sie ohne mündliche Verhandlung erlassen und dies nicht näher begründet wurde, direkt vor das BVerfG ziehen. Dort kann sie beantragen, dass die einstweilige Verfügung wegen eines Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit einstweilen außer Vollzug gesetzt wird.