9. September 2024
Missbrauch Vertretungsmacht § 15 Abs. 1 HGB
Corporate / M&A

Missbrauch der Vertretungsmacht i.V.m. § 15 Abs. 1 HGB

Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch bei dem Rechtsscheintatbestand nach § 15 Abs. 1 HGB.

Die GmbH wird als juristische Person beim Abschluss von Rechtsgeschäften gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG durch ihre Geschäftsführer* vertreten. Damit der Rechtsverkehr bei Vertragsschluss die Berechtigung des Vertreters nachvollziehen kann, statuiert § 39 Abs. 1 GmbHG eine Pflicht zur Eintragung der Geschäftsführerbestellung in das zuständige Handelsregister. 

Ist die Ernennung zum Geschäftsführer eingetragen und bekanntgemacht worden, kann ein Dritter wegen der positiven Publizitätswirkung der Bekanntmachung gem. § 15 Abs. 3 HGB auf dessen Vertretungsbefugnis vertrauen. 

Widerrufen die Gesellschafter die Bestellung des Geschäftsführers (§§ 38 Abs. 1, 46 Nr. 5 Var. 2 GmbHG), endet die Vertretungsmacht. Faktisch besteht sie wegen der Eintragung im Handelsregister jedoch so lange fort, bis auch der Widerruf der Bestellung eingetragen ist. Das geht aus § 15 Abs. 1 HGB hervor, der dieses Vertrauen in die negative Publizitätswirkung des Registers schützt. Schweigt das Handelsregister zu einer Tatsache, nämlich der Abberufung des Geschäftsführers, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheit sie eingetragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden. 

Eine Ausnahme besteht für den Fall, dass die Tatsache dem Dritten bekannt war (§ 15 Abs. 1 HGB a.E.). Ob für diese Kenntnis bereits das Wissen über einen Beschluss der Gesellschafterversammlung bezüglich der Abberufung des Geschäftsführers reicht und wann das Vertrauen des Dritten in das Handelsregister nicht mehr schutzwürdig ist, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Urteil v. 9. Januar 2024 – II ZR 220/22).

Sachverhalt: Verkauf des wesentlichen Vermögensgegenstandes durch den abberufenen Geschäftsführer

Klägerin des Rechtsstreits war eine Immobilien-GmbH. Den wesentlichen Vermögensgegenstand der GmbH stellte ein bebautes Grundstück dar. Mitte 2018 widerrief die Gesellschafterversammlung mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters die Bestellung des alleinvertretungsbefugten Geschäftsführers. Sowohl der Minderheitsgesellschafter als auch der – ehemalige – Geschäftsführer bezweifelten die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses aufgrund von behaupteten Mängeln bei der Einberufung der Gesellschafterversammlung. Der Minderheitsgesellschafter griff den Beschluss zwischenzeitlich mit einer Anfechtungsklage analog § 246 AktG an. Kurze Zeit nach der Versammlung verkaufte der Geschäftsführer, welcher weiterhin im Handelsregister als solcher eingetragen war, das Grundstück im Namen der Klägerin an die Beklagte. Ein Beschluss über die Zustimmung der Gesellschafter der Klägerin zu dem Geschäft fehlte. Die Beklagte behauptete, der für die Beurkundung des Grundstückskaufvertrags zuständige Notar habe das Fehlen eines Solchen für unschädlich erachtet. Auch erklärte sie, von dem Abberufungsbeschluss und den demgegenüber erhobenen Einberufungsmängeln des Minderheitengesellschafters und des Geschäftsführers gewusst zu haben.

Im Außenverhältnis war der Geschäftsführer weiterhin zu der Vornahme des Geschäfts befugt

Der BGH stellte fest, dass die Klägerin sich wegen der fehlenden Eintragung der Abberufung aufgrund der negativen Publizitätswirkung gem. § 15 Abs. 1 HGB so behandeln lassen musste, als bestünde die Vertretungsmacht des Geschäftsführers fort. Die Beklagte konnte trotz § 15 Abs. 1 HGB a.E. auf den Rechtsschein des Handelsregisters rekurrieren, da ihr der Widerruf der Bestellung nicht bekannt war. Dafür sei eine positive Kenntnis der einzutragenden Tatsache notwendig. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen nicht (RG, Urteil v. 22. März 1934 – II 18/34). 

Die Umstände müssen im Einzelfall geeignet sein, zwingend positive Kenntnis der Unrichtigkeit der Eintragung zu vermitteln. Dies wäre von der Klägerin zu beweisen gewesen. Zwar wusste die Beklagte von dem Abberufungsbeschluss der Gesellschaft. Die der Beklagten bekannten Zweifel an dessen Wirksamkeit sprächen aber gegen die positive Kenntnis. Das Wissen über solche Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Gesellschaft entwerteten die Aussagekraft eines Abberufungsbeschlusses entscheidend. Es oblag der Beklagten nicht, diese Zweifel einer Überprüfung zu unterziehen. § 15 Abs. 1 HGB gewähre einen abstrakten Vertrauensschutz, der keine Nachforschungen gebiete. Das gelte nach höchstrichterlicher Rechtsprechung selbst bei Kenntnis von einem Abberufungsbeschluss (RG, Urteil v. 22. März 1934 – II 18/34). Auch die kurze Zeit zwischen dem Entstehen der eintragungspflichtigen Tatsache in Form der Abberufung und dem rechtsgeschäftlichen Vorgang der Beurkundung geböten keine Abweichung von diesem Grundsatz.

Zustimmungsbedürftigkeit der Willenserklärung über den Verkauf des Grundstücks

Vor dem Vertragsschluss sei im Innenverhältnis eine Einwilligung der Gesellschafterversammlung der Beklagten erforderlich gewesen. Bei besonders bedeutsamen Geschäften sei der Geschäftsführer gem. § 49 Abs. 2 GmbHG von sich aus angehalten, eine Zustimmung einzuholen. Die Verpflichtung zu der Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH sei eine solche Art von Geschäft. Dies gelte auch dann, wenn der Gegenstand des Unternehmens den Verkauf von Grundstücken umfasse. Das folge aus der Kontrollbefugnis der Gesellschafterversammlung sowie dem Minderheitenschutz. Demnach wäre der Geschäftsleiter nicht zu der Vornahme des Geschäfts befugt gewesen.

Beschränkungen im Innenverhältnis haben grundsätzlich keine Wirkungen im Außenverhältnis

Zwar sind die Geschäftsführer im Verhältnis zu der Gesellschaft verpflichtet, die Beschränkungen ihrer Vertretungsmacht einzuhalten (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Gegenüber dritten Personen entfaltet eine solche Begrenzung gem. § 37 Abs. 2 GmbHG aber keine rechtliche Wirkung. Etwas anderes gilt hingegen in Fällen des Missbrauchs der Vertretungsmacht (BGH, Beschluss v. 10. April 2006 – II ZR 337/05).

Missbrauch der Vertretungsmacht als Durchbrechung der Differenzierung zwischen Innen- und Außenverhältnis

Die Missachtung von Beschränkungen, die das Innenverhältnis des Vertreters zu dem Vertretenen betreffen, wirkt sich erst dann auf das Außenverhältnis aus, wenn die Grenzen des rechtlich Zumutbaren überschritten sind (BGH, Urteil v. 29. Oktober 2020 – IX ZR 212/19). 

Weiß der Geschäftsgegner oder drängt es sich ihm auf, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht, ist das Vertrauen in den Bestand des Geschäfts nicht schutzwürdig. Das ist der Fall, wenn Vertreter und Vertragsgegner kollusiv zusammenarbeiten, wenn der Missbrauch dem Geschäftsgegner bekannt ist oder wegen Evidenz bekannt sein müsste (BGH, Beschluss v. 10. April 2006 – II ZR 337/05). 

Die Kenntnis des Missbrauchs wird unterstellt, wenn der Vertreter seine Vertretungsmacht in einer solchen Weise benutzt hat, dass bei dem Vertragspartner Anhaltspunkte für einen Vertrauensverstoß zu Lasten des Vertretenen entstehen mussten. Erforderlich ist eine objektive Evidenz des Missbrauchs, die massive Verdachtsmomente voraussetzt. Liegen solche Umstände vor, kann der Geschäftsgegner aus dem formal von der Vertretungsmacht gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte herleiten (BGH, Urteil v. 8. Januar 2019 – II ZR 364/18).

Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 HGB

Die Besonderheit des Sachverhalts war, dass die Vertretungsmacht aufgrund der Abberufung nicht mehr bestand, sondern einzig wegen der Publizitätswirkungen des Handelsregisters fingiert wurde. Der BGH bestätigte, dass auch die durch Rechtsscheintatbestände geschaffene Vertretungsmacht aufgrund von Kenntnis oder objektiver Evidenz eines Missbrauchs gegenüber Dritten eingeschränkt sein könne (BGH, Urteil v. 9. Januar 2024 – II ZR 220/22). Die Fiktion könne keine weitergehenden Wirkungen haben, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe (BGH, Urteil v. 20. Januar 1954 – II ZR 155/52).

Missbrauch drängt sich auf, wenn wesentlicher Vermögensgegenstand ohne Zustimmung der Gesellschafter veräußert wird

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand nach all dem die Frage, ob der Beklagten sich ein Missbrauch der Vertretungsmacht aufgrund des fehlenden Gesellschafterbeschlusses im Innenverhältnis aufdrängen musste. Der BGH führte hierzu aus, dass einem Vertragspartner grundsätzlich klar sein müsse, dass der Geschäftsführer die GmbH nicht ohne Einwilligung der Gesellschaft unternehmenslos stellen könne. Das gelte auch, wenn nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen wird (BGH, Urteil v. 8. Januar 2019 – II ZR 364/18).

Rechtsirrtum kann juristischen Laien schützen

Trotz der objektiven Evidenz des Missbrauchs schütze ein Rechtsirrtum den Geschäftsgegner, sofern dieser wiederum nicht evident sei. Eine solche Fehlvorstellung könne auf der – hier unrichtigen – Einschätzung des beteiligten Notars beruhen. Der Beklagten sei es gestattet, sich grundsätzlich auf den ausdrücklichen Rat des Notars zu verlassen, solange die Empfehlung weder erkennbar fehlerhaft noch offensichtlich auf falschen bzw. unzureichenden Grundlagen erteilt wurde, so der BGH (BGH, Urteil v. 9. Januar 2024 – II ZR 220/22).

Urteil verdeutlicht die Gefahren einer verspäteten Eintragung

Die Entscheidung zeigt anhand des Grundstücksverkaufs eindringlich, dass der Geschäftsführer auch nach seiner Abberufung der Gesellschaft einen unumkehrbaren Schaden zufügen kann, solange der Widerruf der Bestellung nicht in dem Handelsregister eingetragen ist. 

Daher sollte die Gesellschaft unmittelbar nach der Abberufung die entsprechende Anmeldung bei dem Handelsregister anstrengen. Als präventive Maßnahme bietet sich die Bestellung von mindestens zwei Geschäftsführern mit Gesamtvertretungsbefugnis an. Nach der Abberufung sollten Gesellschaften diese gegenüber Geschäftspartnern kommunizieren, um das Vertrauen auf die negative Publizitätswirkung des Handelsregisters nach § 15 Abs. 1 HGB zu zerstören.

Bestehen hingegen Zweifel an der Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses, kann das nach der Entscheidung des BGH wiederum gegen die Kenntnis des Geschäftsgegners nach § 15 Abs. 1 HGB a.E. sprechen. Nach dem Gericht können solche Zweifel daraus resultieren, dass sich der abberufene Geschäftsführer gerichtlich gegen die Abberufung zur Wehr setzt oder mitteilt, dies zu wollen. Dabei sei irrelevant, ob er tatsächlich gegen den Beschluss vorgehe. Auch die Kenntnis des Dritten von zwischen den Gesellschaftern bestehenden Meinungsverschiedenheiten über den Widerruf der Bestellung, die typischerweise eine Beschlussmängelklage nach sich ziehen, würden Zweifel an der Aussagekraft eines Abberufungsbeschlusses begründen.

Einstweilige Verfügung gegenüber dem ehemaligen Geschäftsführer als Abschreckungsmaßnahme denkbar

Befürchten die Gesellschafter bereits vor dem Widerruf der Bestellung, dass der Geschäftsführer bis zur Eintragung der Abberufung Rechtsgeschäfte vornehmen wird, bietet sich ein Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO an. Ziel der Anordnung wäre, dem abberufenen Geschäftsleiter die Führung der Geschäfte der Gesellschaft verbieten zu lassen. Für den Fall der Zuwiderhandlung würde dem Geschäftsführer ein Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft angedroht werden. 

Das OLG Saarbücken hat diese Vorgehensweise in einem Urteil ebenfalls im Zusammenhang mit der eigenmächtigen Veräußerung von Immobilien durch den ehemaligen Geschäftsführer zugelassen (OLG Saarbrücken, Urteil v. 11. Januar 2023 – 1 U 58/22). Durch die Androhung der Sanktionen könnte der Geschäftsleiter von zukünftigem Handeln im Namen der Gesellschaft abgehalten werden. Da die einstweilige Verfügung keine Änderung des Registers bewirkt, hat sie auf die Wirksamkeit von Geschäften des Geschäftsführers im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB hingegen keinen Einfluss.

Aus Käufersicht sollte bei Bedenken vorsichtshalber ein Gesellschafterbeschluss oder ein anderer Nachweis gefordert werden

Veräußert eine GmbH Grundstücke oder andere Objekte, kann die Einordnung als wesentlicher Vermögensgegenstand mit der Folge der Notwendigkeit eines Zustimmungsbeschlusses mitunter schwierig sein. Der Vertragspartner sollte sich daher einen Gesellschafterbeschluss vorlegen lassen, soweit es sich ihm aufdrängen muss, dass das verkaufte Objekt den wesentlichen Vermögensgegenstand darstellt. Denn das besprochene Urteil des BGH erinnert daran, dass anderenfalls ein Missbrauch der Vertretungsmacht naheliegt, der zur Unwirksamkeit des Geschäfts führt. Besteht Ungewissheit an der Bedeutung des Objekts für die GmbH, kann der Geschäftsgegner abseits des Gesellschafterbeschlusses auch eine Bestätigung fordern, dass es sich nicht um das wesentliche Vermögen handelt. Welches Vorgehen im Einzelfall sinnvoll ist, sollte im Zweifel unter Rücksprache mit einem Rechtsanwalt entschieden werden.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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