BGH-Beschluss: Über rechtliche Hürden einer „Selbstbestellung“ von Vorstandsmitgliedern zu Geschäftsführern der Tochter-GmbH und die Folgen für die Praxis.
Mit Beschluss vom 17. Januar 2023 (II ZB 6/22) hat der BGH einen jahrzehntelangen Streit um die rechtlichen Voraussetzungen einer Bestellung von Geschäftsleitern* (Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer) einer Muttergesellschaft zu Geschäftsführern ihrer Tochtergesellschaft (sog. Selbstbestellungen) nun weitestgehend beendet. Der BGH entschied, dass die Vertretungsmacht eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft (AG) bei der Fassung eines Beschlusses über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nach § 181 Alt. 1 BGB beschränkt ist. Dies gelte unabhängig davon, ob die Geschäftsführerbestellung direkt durch den Vorstand der AG oder indirekt durch einen zwischengeschalteten Bevollmächtigten erfolge.
Hintergrund des BGH-Beschlusses: Ablehnung der Eintragung von zwei selbstbestellten Vorstandsmitgliedern als Geschäftsführer einer Tochter-GmbH in das Handelsregister
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall sah der Gesellschaftsvertrag der Mutter-AG vor, dass entweder zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam oder ein Vorstandsmitglied mit einem Prokuristen gemeinsam die Mutter-AG vertreten können. Eine entsprechende Vertretungsregel war auch für eine Tochter-GmbH, die die Mutter-AG zu gründen beabsichtigte, vorgesehen.
Ende 2019 bevollmächtigten zwei von drei Vorstandsmitgliedern der Mutter-AG (Dr. E und Dr. T, nicht hingegen D) mit notariell beglaubigter (§ 2 Abs. 2 GmbHG) Urkunde Dr. O, die Mutter-AG u.a. bei der Gründung einer oder mehrerer GmbHs und der Bestellung eines oder mehrerer Geschäftsführer zu vertreten. Dr. O errichte daraufhin als bevollmächtigter Vertreter der Mutter-AG eine GmbH undbestellte in der Gesellschafterversammlung der Tochter-GmbH die Vorstandsmitglieder der Mutter-AG (Dr. E, Dr. T und D) zu Geschäftsführern der Tochter-GmbH. Der Notar meldete anschließend die Tochter-GmbH zum Handelsregister an. Das Amtsgericht Offenbach (Registergericht) sah hierin – trotz der Untervertretung durch Dr. O – eine Selbstbestellung durch Dr. E und Dr. T zum Geschäftsführer und wertete diese als Eintragungshindernis.
Das Registergericht lehnte die Anmeldung in das Handelsregister ab und gab der Tochter-GmbH auf, sowohl eine Genehmigung der Geschäftsführerbestellung von Dr. E und Dr. T durch den Aufsichtsrat der Mutter-AG als auch eine „Befreiung der Vorstände von den Beschränkungen des § 181 Alt. 1 BGB für den konkreten Einzelfall“ nachzureichen. Die Antragstellerin reichte hiergegen Beschwerde beim OLG Frankfurt a.M. ein.
Das OLG Frankfurt a.M. sah zwar kein Erfordernis für eine Nachreichung einer „Befreiung der Vorstände von den Beschränkungen des § 181 Alt. 1 BGB für den konkreten Einzelfall“, forderte jedoch ebenfalls, dass der Aufsichtsrat der Mutter-AG die Bestellung der Vorstandsmitglieder zu Geschäftsführern der Tochter-GmbH genehmigt (OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 4. Januar 2022 – 20 W 225/20). Die Tochter-GmbH erhob gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. Rechtsbeschwerde beim BGH.
Die Selbstbestellung unterliegt den Beschränkungen des § 181 Alt. 1 BGB
Der BGH hob die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. zwar auf und verwies die Sache an das Registergericht zurück, erkannte jedoch wie das OLG Frankfurt a.M. in der Selbstbestellung gleichwohl ein behebbares Eintragungshindernis. Der Beschluss, die Vorstandsmitglieder Dr. E und Dr. T zu Geschäftsführern zu bestellen, sei wegen eines Verstoßes gegen § 181 Alt. 1 BGB schwebend unwirksam gewesen.
Der BGH hat hiermit die in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Rechtsfrage, ob die Selbstbestellung von Vorstandsmitgliedern einer AG zu Geschäftsführern ihrer Tochter-GmbH in den Anwendungsbereich des § 181 Alt. 1 BGB fällt oder nicht, weitestgehend entschieden. Der BGH schloss sich der überwiegenden Meinung an, die bei einer Selbstbestellung die Anwendbarkeit des § 181 Alt. 1 BGB bejaht.
§ 181 Alt. 1 BGB beschränkt die Vertretungsmacht bei sog. „Insichgeschäften“. Der Vertreter kann, wenn es ihm nicht gestattet ist, im Namen des Vertretenen mit sich selbst im eigenen Namen kein Rechtsgeschäft abschließen. Der BGH entschied, dass eine Selbstbestellung von Vorstandsmitgliedern zu GmbH-Geschäftsführern von Tochtergesellschaften ein solches Insichgeschäft i.S.d. § 181 Alt. 1 BGB darstelle.
Die Geschäftsführerbestellung besteht aus zwei Akten:
- der internen Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung zur Herbeiführung des Bestellungsbeschlusses (Beschlussfassung) und
- der externen Bestellungserklärung gegenüber dem zu bestellenden Geschäftsführer.
Bei der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung der Tochter-GmbH wird die Alleingesellschafterin (Mutter-AG) durch ihre Vorstandsmitglieder vertreten. Die Stimmabgabe zur Beschlussfassung richtet sich unmittelbar nur an die Tochter-GmbH. Bei der externen Bestellungserklärung handelt das Vorstandsmitglied dagegen in Doppelfunktion: Auf der einen Seite gibt das Vorstandsmitglied im Namen der Mutter-AG, die als Alleingesellschafterin der Tochter-GmbH für die Abgabe der Bestellungserklärung zuständig ist, die Bestellungserklärung ab. Auf der anderen Seite nimmt das Vorstandsmitglied im eigenen Namen die Bestellung zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH an.
Nach Auffassung des BGH stellt das aus interner Stimmabgabe und externer Bestellungserklärung bestehende Rechtsgeschäft „Bestellung“ zwar ein mehraktiges, aber dennoch einheitliches Rechtsgeschäft dar, sodass bereits auf die interne Stimmabgabe § 181 Alt. 1 BGB Anwendung finde, auch wenn die Stimmabgabe sich nur an die Tochter-GmbH und nicht den zu bestellenden Geschäftsführer richte.
Dies gelte laut BGH auch dann, wenn das betreffende Vorstandsmitglied einen Vertreter (Dr. O) bevollmächtige, den Geschäftsführerbestellungsbeschluss zu fassen. Der Vertreter sei genauso in seiner Vertretungsmacht beschränkt wie das Vorstandsmitglied. Die Bestellung des Dr. E und des Dr. T durch Dr. O zu Geschäftsführern der Tochter-GmbH unterliege daher genauso den Beschränkungen des § 181 Alt. 1 BGB, als wenn Dr. E und Dr. T den Bestellungsbeschluss selbst gefasst hätten.
Der BGH entschied zudem, dass § 112 AktG bei der Selbstbestellung von Vorstandsmitgliedern zu Geschäftsführern der Tochter-GmbH keine Anwendung findet. § 112 AktG bestimmt, dass die AG gegenüber ihren eigenen Vorstandsmitgliedern von ihrem Aufsichtsrat vertreten wird. § 112 AktG setzt somit ein Rechtsgeschäft zwischen der AG und einem ihrer Vorstandsmitglieder voraus. Der BGH lehnte die Anwendung des § 112 AktG auf die Selbstbestellung mit dem Argument ab, die Bestellung des Geschäftsführers der Tochter-GmbH sei ein Organakt der Tochter-GmbH, sodass gerade kein Rechtsgeschäft zwischen der Mutter-AG und einem ihrer Vorstandsmitglieder vorliegt.
Für die Erteilung der Genehmigung des ohne Vertretungsmacht vorgenommenen Rechtsgeschäfts gilt die allgemeine aktienrechtliche Vertretungsregelung des § 78 AktG
Die Entscheidungen des OLG Frankfurt a.M. und des BGH decken sich hinsichtlich der Nichtanwendbarkeit von § 112 AktG und der Anwendbarkeit von § 181 Alt. 1 BGB. Beide Gerichte folgern zudem, dass wegen des Verstoßes gegen § 181 Alt. 1 BGB der Geschäftsführerbestellungsbeschluss schwebend unwirksam sei, aber noch nachträglich genehmigt und damit geheilt werden könne.
Entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt a.M. ist nach Ansicht des BGH für die nachträgliche Genehmigung jedoch nicht der Aufsichtsrat der Mutter-AG zuständig. Vielmehr gelte für die Erteilung der Genehmigung des ohne Vertretungsmacht vorgenommenen Rechtsgeschäfts die allgemeine aktienrechtliche Vertretungsregelung des § 78 AktG, sodass grds. der Vorstand der Mutter-AG zuständig sei.
Bei der Erteilung der Genehmigung dürften zwar Dr. E und Dr. T nicht mitwirken. Das dritte Vorstandsmitglied D aber, der weder an der Bevollmächtigung des Dr. O noch an der Beschlussfassung beteiligt war, könne gemeinsam mit einem Prokuristen die Mutter-AG bei der Erteilung der nachträglichen Genehmigung wirksam vertreten. Eine Interessenkollision, die die Anwendung des § 181 Alt. 1 BGB zur Folge hätte, sei bei D nicht gegeben, da dieser wirksam zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH bestellt worden sei. Durch die Genehmigung des Bestellungsbeschlusses durch die Mutter-AG, vertreten durch ihren Vorstand D und einen Prokuristen, könne die zunächst schwebend unwirksame Bestellung geheilt und das Eintragungshindernis beseitigt werden.
Bereits erfolgte Selbstbestellungen sind zu überprüfen und bei zukünftigen Selbstbestellungen ist § 181 Alt. 1 BGB zu beachten
Der BGH-Beschluss dürfte zahlreiche Unternehmen betreffen, da Selbstbestellungen in der Praxis weit verbreitet sind. § 181 BGB ist eine Norm des allgemeinen Zivilrechts, somit gelten § 181 BGB und damit der BGH-Beschluss nicht nur für Mutter-AG-/Tochter-GmbH-Sachverhalte, sondern grds. für alle Selbstbestellungen (z.B. Mutter-GmbH/Tochter-GmbH). Unternehmen sollten daher prüfen, ob bei bereits erfolgten Selbstbestellungen die Vorgaben des § 181 Alt. 1 BGB eingehalten worden sind. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung der Selbstbestellung zu prüfen.
Hinsichtlich künftiger Selbstbestellungen ist zu überlegen, wie die Vorgaben des § 181 Alt. 1 BGB beachtet werden können. Die einfachste Möglichkeit ist, die Geschäftsleiter (Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer) der Muttergesellschaft von den Beschränkungen des § 181 Alt. 1 BGB generell zu befreien. Aus Corporate-Governance-Sicht ist diese Vorgehensweise wegen des Missbrauchspotenzials jedoch regelmäßig nicht zu empfehlen.
Eine Alternative ist, dem Geschäftsleiter der Muttergesellschaft für den konkreten Fall der Selbstbestellung vor der Beschlussfassung das Insichgeschäft zu gestatten. Fraglich ist, wer bei einer Mutter-AG für die vorherige Gestattung zuständig ist. Der BGH hat in seinem Beschluss nur entschieden, dass die Mutter-AG die Bestellung nachträglich genehmigen muss und zwar vertreten durch ihren nicht durch § 181 Alt. 1 BGB beschränkten Vorstand. Die Frage, wer für die vorherige Gestattung zuständig ist, hat der BGH in seinem Beschluss hingegen nicht beantwortet. Bei einer Mutter-AG ist dies der Aufsichtsrat. Bei einer Mutter-GmbH ist die Gesellschafterversammlung zuständig.
Als weitere Lösungsmöglichkeit kommt in Betracht, dass sich die Geschäftsleiter der Muttergesellschaft gegenseitig zur Selbstbestellung ermächtigen (§ 78 Abs. 4 S. 1 AktG für die Mutter-AG und § 78 Abs. 4 S. 1 AktG analog für die Mutter-GmbH). Dem Beschluss des BGH kann entnommen werden, dass er vielleicht anders entschieden hätte, wenn es eine solche gegenseitige Ermächtigung gegeben hätte.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.