Das Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen bietet Vereinen neue Optionen bei der digitalen Beschlussfassung.
Ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung ist getan. Nachdem die virtuelle Beschlussfassung in den letzten Jahren – nicht zuletzt aufgrund Corona-bedingter Sonderregelungen – immer mehr zur Selbstverständlichkeit geworden ist und der Gesetzgeber für die Gesellschaftsformen der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung bereits dauerhafte gesetzliche Grundlagen zur Ermöglichung virtueller Beschlussfassungen geschaffen hat, ist dies nun auch für den Verein geschehen. Der Bundestag hat am 9. Februar 2023 das Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht beschlossen. Auch der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 3. März 2023 keine Einwände erhoben.
Nachdem der Bundespräsident das neue Gesetz am 14. März ausgefertigt hat, ist es am 21. März 2023, am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, in Kraft getreten.
Die Neuregelung des § 32 Abs. 2 BGB im Überblick
Mit dem Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht wird in § 32 BGB ein neuer Abs. 2 eingefügt, der verschiedene Regelungen zu den Versammlungsformen enthält. Der neue Gesetzestext lautet:
(2) Bei der Berufung der Versammlung kann vorgesehen werden, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). Die Mitglieder können beschließen, dass künftige Versammlungen auch als virtuelle Versammlungen einberufen werden können, an der Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation teilnehmen und ihre anderen Mitgliederrechte ausüben müssen. Wird eine hybride oder virtuelle Versammlung einberufen, so muss bei der Berufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.
Die Neufassung des Gesetzes ermöglicht damit künftig sowohl die Durchführung von sog. hybriden Mitgliederversammlungen als auch – unter weiteren Voraussetzungen – von rein virtuellen Mitgliederversammlungen. Damit weicht § 32 Abs. 2 BGB n.F. von der bisherigen gesetzlichen Grundkonzeption des § 32 BGB ab, wonach die Mitgliederversammlung grds. als Präsenzversammlung abzuhalten war. Die Durchführung sog. hybrider oder virtueller Versammlungen als Ausnahmen von diesem Grundsatz war – abgesehen von der Corona-bedingten Sonderregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 COVMG – nur bei entsprechender ausdrücklicher Satzungsermächtigung oder Zustimmung aller Mitglieder entsprechend § 32 Abs. 2 BGB a.F. zulässig.
Die einzelnen Neuerungen des geplanten § 32 Abs. 2 BGB n.F. im Überblick:
- Satz 1 ermöglicht sog. hybride Versammlungen. Bei der hybriden Versammlung handelt es sich um eine „Mischform“ aus virtueller und Präsenzversammlung, bei der ein Teil der Teilnehmer physisch an der Versammlung teilnimmt, während andere Teilnehmer* digital („im Wege elektronischer Kommunikation“) zugeschaltet sind und auf diesem Wege ihre Mitgliedschaftsrechte ausüben.
- Nach Satz 2 kann die Mitgliederversammlung durch (einfachen) Beschluss entscheiden, dass künftige Mitgliederversammlungen rein virtuell abgehalten werden können. Zu diesem Zweck kann die Mitgliederversammlung das Einberufungsorgan des Vereins ermächtigen, zu rein virtuellen Mitgliederversammlungen einzuladen.
- Satz 3 verlangt, dass bereits bei der Einberufung der hybriden oder virtuellen Versammlung anzugeben ist, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege elektronischer Kommunikation wahrnehmen können, d.h., das Kommunikationsmedium ist bereits bei der Einberufung zu benennen.
Zunächst nur Zulassung hybrider Mitgliederversammlungen
Ausweislich der Materialien zum Gesetzgebungsverfahren lehnt sich die Neufassung des Gesetzes an die Sonderregelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 COVMG an, bleibt aber im ersten Ansatz inhaltlich hinter dieser zurück. Die Sonderregelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 COVMG enthielt den Zusatz, dass Vereinsmitglieder ihre Mitgliedschaftsrechte virtuell ausüben „können oder müssen“. Den Zusatz „oder müssen“ sucht man in § 32 Abs. 2 BGB n.F. vergeblich. Anders als § 5 Abs. 2 Nr. 1 COVMG räumt § 32 Abs. 2 BGB n.F. dem Einberufungsorgan nicht die Befugnis ein, frei über die Einberufung einer hybriden oder rein virtuellen Versammlung zu entscheiden. Ohne besondere Satzungsermächtigung hat das Einberufungsorgan nach der Gesetzesnovelle zunächst nur die Wahl zwischen einer Präsenzversammlung und einer hybriden Versammlung.
Im Unterschied zu den ursprünglichen Gesetzesentwürfen wird die Kompetenz zur Einberufung hybrider – oder bei entsprechender Ermächtigung auch virtueller – Versammlungen nicht ausdrücklich dem Vorstand zugewiesen. Das Gesetz formuliert offener und weist die Kompetenz dem Einberufungsorgan zu, um auch Fälle zu erfassen, in denen die Satzung abweichend vom „Regelfall“ des Vorstands ein anderes Einberufungsorgan vorsieht.
Rein virtuelle Versammlung nur bei Ermächtigung durch die Mitgliederversammlung
Erst in einer Mitgliederversammlung kann das Einberufungsorgan ermächtigt werden, künftige Versammlungen auch rein virtuell abzuhalten. Im Unterschied zur hybriden Versammlung nehmen die Mitglieder an der (rein) virtuellen Versammlung ausschließlich im Wege der elektronischen Kommunikation teil und müssen auch ihre sonstigen Mitgliedschaftsrechte auf diesem Wege ausüben. Eine Teilnahme durch physische Anwesenheit am Versammlungsort steht den Mitgliedern in diesem Fall nicht offen.
Eine entsprechende Ermächtigung des Einberufungsorgans bedarf eines Beschlusses der Mitgliederversammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 32 Abs. 1 BGB). Eine Beschlussfassung außerhalb einer Mitgliederversammlung ist – wie bisher – gem. § 32 Abs. 2 BGB a.F. nur einstimmig möglich. Wie sich aus dem Wort „künftig“ im neuen Gesetzestext ergibt, kann die Ermächtigung nur für künftige Versammlungen erteilt werden, nicht aber für die Versammlung, in der der Beschluss gefasst wird.
Es ist möglich, das Einberufungsorgan zu ermächtigen, einzelne oder alle künftigen Versammlungen als virtuelle Versammlungen einzuberufen. Ebenso wie die Ermächtigung zur Durchführung virtueller Mitgliederversammlungen durch Beschluss erfolgt, kann sie auch durch Beschluss der Mitgliederversammlung wieder entzogen werden.
Geeignete Kommunikationsmittel
Die Teilnahme an der Versammlung und die Ausübung der übrigen Mitgliedschaftsrechte können im Wege elektronischer Kommunikation zugelassen werden. Abweichend von der Fassung des ursprünglichen Gesetzentwurfs des Bundesrates ist damit – den Empfehlungen der Sachverständigen und des Rechtsausschusses folgend – nicht nur die Bild- und Tonübertragung („Videokonferenztechnik“) möglich, sondern jede geeignete elektronische Kommunikation wie Telefonkonferenz, Meinungsaustausch per Internetdialog („Chat“), Abstimmung per E-Mail oder andere vergleichbare elektronische Verfahren.
Diese Erweiterung gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf ist zu begrüßen, da sie den Vereinen mehr Flexibilität bei der Durchführung ihrer Versammlungen einräumt. Die virtuelle Teilnahme und die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte können so organisiert werden, wie es für den Verein am besten geeignet ist.
Zu begrüßen ist auch, dass das Einberufungsorgan die Mitglieder bereits bei der Einberufung der Versammlung über den konkreten Weg der elektronischen Kommunikation informieren muss, über den die virtuelle Teilnahme und Ausübung der Mitgliedschaftsrechte möglich ist. Dies dient dem Schutz des Mitglieds und versetzt es in die Lage, rechtzeitig vor der Versammlung zu prüfen, ob es über die technischen Voraussetzungen zur Teilnahme und Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte über das gewählte elektronische Kommunikationsmittel verfügt.
Entsprechende Anwendung auf andere Vereinsorgane
Die Möglichkeit hybrider und virtueller Versammlungen besteht nun auf der Grundlage des § 32 Abs. 2 BGB n.F. nicht nur für Mitgliederversammlungen. Aufgrund der Verweisung in § 28 BGB bzw. § 86 S. 1 BGB besteht diese Möglichkeit auch für Sitzungen von mehrköpfigen Vereinsvorständen und Stiftungsvorständen.
Abweichende Satzungsregelungen weiterhin möglich
Da § 32 BGB dispositiv ist, können Vereine auch zukünftig durch entsprechende Satzungsregelungen abweichende Regelungen für die Mitgliederversammlung treffen. Die Vereine können in ihren Satzungen die Voraussetzungen für eine hybride oder virtuelle Teilnahme an Mitgliederversammlungen abweichend von § 32 Abs. 2 BGB n.F. regeln, die gesetzlichen Regelungen ergänzen oder modifizieren oder auch hybride und virtuelle Mitgliederversammlungen ausschließen.
Kompromisslösung, kein großer „digitaler Wurf“
Die Neufassung des § 32 Abs. 2 BGB n.F. ist einem Kompromiss geschuldet. Im Gesetzgebungsverfahren gab es unter den Sachverständigen Stimmen, die sich – in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 1 COVMG – für eine weitergehende Ermöglichung rein virtueller Mitgliederversammlungen aussprachen. Es wurde jedoch befürchtet, dass die Rechte der Vereinsmitglieder zu stark eingeschränkt würden und die Vereinsdemokratie bei virtuellen Versammlungen leiden könnte, wenn das Einberufungsorgan die Mitglieder zu einer rein virtuellen Teilnahme verpflichten könnte. Offenbar hatte man den Fall vor Augen, dass die rein virtuelle Durchführung einer Versammlung den Mitgliedern Schwierigkeiten bereiten könnte, spontan Mehrheiten untereinander zu organisieren, sei es wegen fehlender technischer Voraussetzungen oder wegen mangelnden Verständnisses im Umgang damit.
Eine Beibehaltung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 COVMG konnte daher nicht vereinbart werden. Als „Mittelweg“ lässt § 32 Abs. 2 BGB n.F. daher ohne besondere Satzungsermächtigung zunächst nur eine hybride oder Präsenzversammlung zu, bei der dann entschieden werden kann, ob in Zukunft auch virtuelle Versammlungen möglich sein sollen.
Die gewählte Kompromisslösung stellt – sieht man von der Corona-spezifischen Sonderregelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 COVMG ab – einen Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage dar. Bedauerlich bleibt jedoch, dass der Gesetzentwurf „im ersten Schritt“ nur die hybride Mitgliederversammlung zulässt. In der Praxis dürfte sich die Vorbereitung und Durchführung hybrider Mitgliederversammlungen häufig als komplizierter erweisen als die Durchführung rein virtueller Mitgliederversammlungen. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die Planungssicherheit für das einberufende Organ. Denn das Wahlrecht der Mitglieder (ob virtuelle oder physische Teilnahme) verpflichtet das Einberufungsorgan, einen physischen Versammlungsort mit ausreichender Kapazität vorzuhalten. Dies kann insbesondere mitgliederstarke Vereine vor nicht unerhebliche Planungsschwierigkeiten stellen. Zum anderen muss bei der hybriden Versammlung durch geeignete technische Vorkehrungen sichergestellt werden, dass die virtuell zugeschalteten Mitglieder ihre Mitgliedschaftsrechte in vollem Umfang ausüben können, gleichzeitig aber technische Manipulationen, wie z.B. eine doppelte Stimmabgabe (einmal im Rahmen der Präsenzversammlung und einmal per virtueller Zuschaltung), ausgeschlossen sind.
Will das Einberufungsorgan solche „Fallstricke“ vermeiden, ist es – vorbehaltlich abweichender Satzungsregelungen – künftig darauf angewiesen, von der Mitgliederversammlung zur Einberufung rein virtueller Versammlungen ermächtigt zu werden.
Satzungsregelungen zur hybriden und virtuellen Mitgliederversammlung weiterhin sinnvoll
Im Ergebnis ist die gesetzliche Neuregelung daher nicht der „große digitale Wurf“, der die virtuelle Mitgliederversammlung der Präsenzversammlung rechtlich gleichstellt. Für Vereine, die ein echtes Wahlrecht zwischen beiden Versammlungsformen haben wollen, bedarf es daher weiterhin einer entsprechenden ausdrücklichen Satzungsregelung. In dieser können dann auch weitere für die Praxis (teil-)virtueller Mitgliederversammlungen wichtige Punkte geregelt werden, die – um nur einige Beispiele zu nennen – den Ablauf der (teil-)virtuellen Versammlung, den Umfang der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte oder die Folgen technischer Störungen betreffen. Damit wird für die Vereine eine deutlich höhere Rechtssicherheit erreicht, als sie die gesetzliche Neuregelung bieten kann.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.