In den vergangenen Monaten sind Vorständen prominenter Gesellschaften bei ihrem Abgang hohe Abfindungen gezahlt worden. Das wirft die Frage auf, ob ein solcher „Goldener Handschlag“ den Grundsätzen guter Unternehmensführung entspricht. Der Deutsche Corporate Governance Kodex stellt eine scheinbar eindeutige Regel auf: Beim Abschluss von Vorstandsverträgen ist darauf zu achten, dass die Abfindung bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund zwei Jahresvergütungen nicht überschreitet (sogenannter „Abfindungs-Cap“). Scheidet der Vorstand nach Änderung der Mehrheitsverhältnisse an der Gesellschaft aus („Change of Control“), gilt eine Sonderregelung.
Zwar ist der Kodex grundsätzlich unverbindlich. Allerdings müssen Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Unternehmen jährlich erklären, ob sie dessen Empfehlungen einhalten. Ist die Erklärung unrichtig, handeln sie pflichtwidrig und können sich haftbar machen. Für das Jahr 2011 erklärt die große Mehrzahl der im DAX und MDAX vertretenen Gesellschaften, dass sie die Empfehlung zum Abfindungs-Cap einhalten.
Unter Juristen wurde intensiv diskutiert, wie der Abfindungs-Cap umzusetzen ist. Dabei ist Folgendes zu beachten: Liegt ein wichtiger Grund zur Vertragskündigung vor (z.B. eine grobe Pflichtverletzung), darf überhaupt keine Abfindung gezahlt werden. Als Geltungsbereich verbleiben also nur Fälle, in denen kein wichtiger Grund besteht. Dann kann der Vertrag aber nur einvernehmlich beendet werden. Verweigert der betreffende Vorstand seine Zustimmung – etwa weil ihm die gebotene Abfindung zu niedrig ist – bleibt der Vertrag unverändert in Kraft. Im Ernstfall ist die Abfindung also nur mit seiner Zustimmung durchsetzbar. Wie stellt man unter diesen Umständen die Einhaltung des Kodex sicher?
Man kann über die Vereinbarung einer Koppelungsklausel nachdenken. Sie erlaubt es dem Aufsichtsrat, den Vertrag gegen Zahlung einer Abfindung ordentlich – also ohne wichtigen Grund – zu kündigen, wenn die Amtszeit als Vorstand endet (die vom Vorstandsvertrag zu unterscheiden ist). In der Praxis kann es durchaus vorkommen, dass der Aufsichtsrat einen pflichtwidrig handelnden Vorstand abberuft, der Vertrag jedoch mangels Kündigungsmöglichkeit weiterläuft. Die gesetzlichen Hürden für die Vertragskündigung sind nämlich höher als für die Ablösung als Vorstand. Letztlich handelt es sich aber um Ausnahmefälle, so dass diese Lösung dem Zweck des Kodex kaum gerecht wird.
Die meisten Gesellschaften nehmen die Kodex-Vorschrift einfach wörtlich in den Vertrag auf. Das ändert aber nichts daran, dass es dem Vorstand überlassen bleibt, die Aufhebung gegen eine Abfindung von zwei Jahresgehältern zu akzeptieren oder den Vertrag weiterlaufen zu lassen. Die wörtliche Übernahme führt nämlich nur zu einer unverbindlichen Absichtserklärung – sie regt den Vorstand zur freiwilligen Einhaltung der Obergrenze an und bringt den Aufsichtsrat in einen Begründungszwang, wenn er eine höhere Abfindung gewährt. Trotz dieser Schwächen wird die Lösung anerkannt. Ist den Kodex-Autoren daraus ein Vorwurf zu machen?
Was die öffentliche Kritik leicht übersieht: Erstens kommt eine Abfindung nur in Betracht, wenn ein wichtiger Grund zur Vertragskündigung fehlt. Liegt ein solcher Grund vor, ist eine sofortige Entlassung ohne Abfindung möglich. Zweitens hat der Gesetzgeber dem Vorstand bewusst eine unabhängige Stellung bei der Unternehmensleitung eingeräumt, damit er die Gesellschaft ausschließlich im Unternehmensinteresse führt. Könnte der Aufsichtsrat den Vertrag gegen Zahlung von zwei Jahresvergütungen ohne wichtigen Grund einseitig beenden, müsste man sich vom Grundsatz der Unabhängigkeit verabschieden. Die Regel muss auch kein stumpfes Schwert sein: Ein Vorstand, der – trotz der gegenteiligen Empfehlung in seinem Vertrag und der öffentlichen Erklärung, den Kodex einzuhalten – eine höhere Abfindung verlangt, läuft Gefahr, seine Reputation zu beschädigen.