5. November 2019
Vorsatzhaftung M&A
Mergers & Acquisitions (M&A)

Vorsatzhaftung durch Zurechnung – Die Achillesferse der M&A-Haftungsregime

Die Vorsatzhaftung infolge einer Verhaltens- oder Wissenszurechnung ist die Achillesferse vertraglich vereinbarter M&A-Haftungsregime.

Achilles, der stolze Held der Ilias, konnte sich selbst in kriegerischen Auseinandersetzungen sicher fühlen. Was sollte ihm auch groß passieren? Einer der Geburtssagen zufolge wurde er von seiner Mutter Thetis in den Unterweltfluss Styx getaucht und galt als unverwundbar. Doch so sehr sich Thetis auch mühte, ihren Achilles geschützt zu wissen, kam auch sie dabei nicht umher, ihn zumindest noch an seiner Ferse festzuhalten, die folglich unbenetzt blieb und Achilles zum Verhängnis werden sollte.

Was das mit M&A zu tun hat? Nun, in Unternehmenskaufverträgen sind es die Verkäuferanwälte, die sich dafür einsetzen, ihre Mandanten durch Haftungsbeschränkungen bestmöglich vor einer Haftung zu schützen. Doch es verbleibt stets eine verwundbare Stelle: Die vorsätzliche Haftung des Verkäufers kann nicht ausgeschlossen oder begrenzt werden (§ 276 Abs. 3; § 444 Alt. 1 BGB).

Vorsatzhaftung infolge Verhaltens- und Wissenszurechnung

Aufgrund der fehlenden Ausschlussmöglichkeit droht stets eine Inanspruchnahme über die vertraglich beschränkte Haftung hinaus wegen der vorsätzlichen Verletzung von Aufklärungspflichten (vorsätzliche culpa in contrahendo, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 bzw. arglistiges Verschweigen, § 444 Alt. 1 BGB). Angesichts ihres eigenen „reinen Gewissens″ der Käuferseite in den Verhandlungen nichts verheimlicht zu haben, können Verkäufer geneigt sein, dieses Risiko als theoretisch einzuschätzen.

Ein böses Erwachen gibt es dann, wenn sich ein Verkäufer unvermittelt gegen eine Vorsatzhaftung erwehren muss, da der Käufer behauptet, eine angeblich getroffene falsche Aussage oder ein Wissen des Fremdgeschäftsführers der Zielgesellschaft, sonstiger Mitarbeiter oder auch ein sonst im Zielunternehmen vorhandenes Wissen sei dem Verkäufer zuzurechnen und begründe Vorsatz.

Eine solche vorsatzbegründende Zurechnung ist die Achillesferse vertraglich vereinbarter M&A-Haftungsregime. Hierdurch drohen alle vertraglichen Haftungsbeschränkungen wegzufallen. Angesichts extensiver Rechtsprechung, deren Übertragbarkeit auf M&A-Transaktionen zum Teil fraglich und umstritten, aber nicht ausgeschlossen ist, kann dieses Risiko nicht überschätzt werden.

Zunächst muss man sich bewusst machen, dass zwischen einer Verhaltens- und einer bloßen Wissenszurechnung strikt zu trennen ist. Beide können jedoch zu einer unbeschränkten Vorsatzhaftung des Verkäufers führen.

Die Verhaltenszurechnung (§ 278 BGB) – Erfüllungsgehilfe vs. Auskunftsperson

Bei der Verhaltenszurechnung wird ein vollständig schuldhaftes Verhalten einer Person einer anderen zugerechnet. Konkret geht es also darum, ob sich ein Verkäufer zurechnen lassen muss, wenn Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter der Zielgesellschaft dem Käufer vorsätzlich unrichtige Informationen erteilen oder verschweigen. Ein bedingter Vorsatz kommt dabei bereits dann in Betracht kommt, wenn die Auskunft erteilende Person zwar weiß, dass sie die richtige Antwort nicht kennt, dem Käufer aber gleichwohl „ins Blaue hinein“ ungeprüft Auskünfte erteilt.

Für die Frage, ob das Verhalten zugerechnet wird, ist entscheidend, ob der Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter des Zielunternehmens als Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB zu qualifizieren sind. Eine Zurechnung findet nicht statt, wenn sie lediglich bloße Auskunftspersonen sind.

Wie insoweit die Abgrenzung zu erfolgen hat, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet. In der jüngeren Masterflex-Entscheidung führte das OLG Düsseldorf (Urteil v. 16. Juni 2016 – I-6 U 20/15) aus, dass im Rahmen der von einem Verkäufer geschuldeten Auskunftserteilung eingeschaltete Geschäftsführer des Zielunternehmens regelmäßig als Erfüllungsgehilfen des Verkäufers zu qualifizieren sind.

In der Literatur wird hingegen mehrheitlich eine restriktivere Auffassung vertreten (siehe etwa Wächter, M&A Litigation, 3. Aufl. 2017, Rn. 8.196, m.w.N.; Weißhaupt, ZIP 2016, 2447, 2451). So soll es darauf ankommen, wie Hilfspersonen im konkreten Einzelfall eingesetzt werden und insbesondere inwieweit sie auf die Verhandlungen Einfluss genommen haben.

Die Wissenszurechnung (§ 166 BGB analog) – Sukzessive Erweiterung durch die Rechtsprechung

Dem Verkäufer kann eine unbeschränkte Vorsatzhaftung auch durch eine bloße Wissenszurechnung drohen. Parallel zur Wertung des § 276 Abs. 3 BGB kann sich gem. § 444 Alt. 1 BGB der Verkäufer auf eine Vereinbarung, durch welche Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat.

Nach der Rechtsprechung setzt arglistiges Verschweigen nicht zwingend voraus, dass der Verkäufer selbst Kenntnis hat. Auch zugerechnetes Wissen soll den Arglistvorwurf begründen können. Geleitet von Verkehrsschutzerwägungen hat die Rechtsprechung in Fällen, die zumeist die Wissenszurechnung in Behörden betrafen, Regeln zur Wissenszurechnung aufgestellt. Das Risiko einer Vorsatzhaftung des Verkäufers infolge einer bloßen Wissenszurechnung wurde hierdurch erheblich erhöht.

Zunächst wurde die Zurechnung über die gesetzliche Zurechnungsnorm (§ 166 BGB) hinaus auf sog. „Wissensvertreter″ erweitert, die zwar keine Vertretungsmacht haben, jedoch nach der Arbeitsorganisation dazu berufen sind, als „Repräsentant″ bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten (stRspr, siehe z.B. BGH, Urteil v. 24. Januar 1992 – V ZR 262/90; BGH, Urteil v. 14. Januar 2016 – I ZR 65/14).

Eine weitergehende Erweiterung erfolgte durch die Annahme einer Wissenszurechnung, soweit eine Organisation ihrer Pflicht nicht nachgekommen ist, ihr Wissen so zu organisieren, dass vorhandenes, jedoch auf verschiedene Stellen aufgeteiltes Wissen intern weitergegeben wird, bei Anlass abgefragt wird und typischerweise aktenmäßig festgehaltene Informationen gespeichert werden. Bei einem Verstoß müsse sich die Organisation so behandeln lassen, als habe sie von der Information Kenntnis gehabt (BGH, Urteil v. 15. April 1997 – XI ZR 105/96). Diese Erweiterung wurde mit einem „Gleichstellungsargument″ begründet, wonach ein arbeitsteilig organisiertes Unternehmen durch die Wissensaufspaltung nicht bessergestellt werden dürfe, als eine natürliche Person.

Eine Zurechnung wurde zudem nicht nur innerhalb einer Organisation, sondern im Einzelfall auch über die Grenzen juristischer Personen hinweg bejaht. Nämlich dann, wenn eine Behörde gezielt das Wissen anderer Behörden für eine bestimmte Aufgabe nutzt und mit dieser eine sog. „aufgabenbezogene Handlungs- und Informationseinheit″ bildet (BGH, Urteil v. 30. Juni 2011 – IX ZR 155/08).

Zu beachten ist schließlich auch, dass der Bundesgerichtshof eine Vorsatzhaftung nicht etwa an dem Fehlen eines subjektiven „Wollenselements″ scheitern ließ. So ist an sich für (bedingten) Vorsatz erforderlich, dass der Verkäufer zumindest mit der Möglichkeit rechnen und billigend in Kauf nehmen muss, dass der Vertragspartner den Fehler nicht kennt und bei seiner Offenlegung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte. Aus Gründen der Gleichstellung mit natürlichen Personen verzichtete der Bundesgerichtshof ausdrücklich auf dieses weitere subjektive Element (bedingten) Vorsatzes (BGH, Urteil v. 08. Dezember 1989 – V ZR 246/87). Er bejahte somit Arglist allein aufgrund fingierter Kenntnis und obwohl alle Beteiligten für sich genommen gutgläubig waren. Die Bejahung von Arglist infolge Wissenszurechnung soll hiernach ausdrücklich nicht mit einem „moralischen Unwerturteil“ verbunden sein (im ausdrücklichen Gegensatz zu einer deliktischen Haftung aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, siehe BGH, Urteil v. 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15).

Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung auf professionelle M&A-Transaktionen?

Für M&A-Transaktionen ist entscheidend, inwieweit diese Rechtsprechung, die in erster Linie die Wissenszurechnung in und zwischen Behörden betraf, auf M&A-Transaktionen Anwendung finden sollte:

  • Sind die Verkehrsschutzerwägungen auch dann passend, wenn es sich – anders als in den entschiedenen Fällen – bei den Parteien nicht um unterlegene Bürger gegenüber einem Behördenapparat, sondern um professionell beratene Wirtschaftsteilnehmer handelt?
  • Sind Geschäftsführer der Zielgesellschaft „Wissensvertreter″ der Verkäufer im Sinne dieser Rechtsprechung?
  • Bilden die Verkäufer und die Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter der Zielgesellschaft bei M&A-Transaktionen eine „aufgabenbezogene Handlungs- und Informationseinheit″?

Es gibt hierzu noch keine belastbaren öffentlichen Entscheidungen vor staatlichen Gerichten. Auch in der Literatur sind diese Fragen und überhaupt die Rechtsprechung zur vorsatzbegründenden Wissenszurechnung hochumstritten. Einigkeit dürfte letztlich wohl nur darum zu erzielen sein, dass stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

Risikobegrenzung durch Gestaltung des Transaktionsprozesses

Es bleibt eine Ungewissheit, unter welchen Voraussetzungen ein (Schieds-)Gericht eine Verhaltenszurechnung bejahen könnte und es insbesondere die extensive Rechtsprechung zur Wissenszurechnung auf M&A-Transaktionen für anwendbar erachten könnte. Daher sollte dem damit verbundenen Risiko einer Vorsatzhaftung durch eine entsprechende Prozess- und Vertragsgestaltung begegnet werden.

So kann bereits bei der Organisation des Transaktionsprozesses dafür Sorge getragen werden, dass im Streitfall auf die konkreten Umstände des Einzelfalls verwiesen werden kann, um darzulegen, dass eine Zurechnung im vorliegenden Fall ausscheidet.

Die Erwartung des Verkäufers für eine falsche oder unzureichende Auskunftserteilung durch bestimmte Personen selbst bei Vorsatz nicht einstehen zu müssen, sollte möglichst frühzeitig gegenüber dem Käufer signalisiert und als „Key Issue″ betont werden. Die Wahrscheinlichkeit, entsprechend weiterreichende Haftungsausschlüsse bei den Vertragsverhandlungen durchsetzen zu können, schwindet, je später ein entsprechendes Verlangen kommuniziert wird. Gegenüber dem Käufer kann insoweit deutlich gemacht werden, dass insbesondere die Geschäftsführer der Zielgesellschaft bloße Auskunftspersonen sind und – mit Blick auf eine drohende Wissenszurechnung – die Verkäufer auch nicht als „Wissensvertreter“ repräsentieren.

Zugleich ist darauf zu achten, dass die tatsächlichen Umstände nicht eine andere Sprache sprechen. Insbesondere sollte sehr darauf geachtet werden, in welcher Form die Geschäftsführung der Zielgesellschaft eingebunden wird. Während übliche Managementpräsentationen und die Beantwortung von Fragen im Rahmen im Rahmen von Q/A-Prozessen der Rolle als bloßer Auskunftsperson nicht widersprechen, sollte eine prominente Beteiligung im eigentlichen Verhandlungsteam vermieden werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die späteren Bemühungen eine haftungsbegründende Zurechnung vertraglich auszuschließen bereits durch den tatsächlichen Verkaufsprozess konterkariert werden. Insoweit gilt es auch zu bedenken, dass die Anwälte häufig erst später in den Verkaufsprozess eingebunden werden, weshalb beispielsweise M&A-Berater, die bereits früher involviert sind, ebenfalls entsprechend sensibilisiert sein müssen.

Risikobegrenzung durch Gestaltung des Unternehmenskaufvertrags

Auch in dem Unternehmenskaufvertrag selbst gibt es eine ganze Reihe von Optionen, mit denen dem Risiko einer Vorsatzhaftung infolge Zurechnung begegnet werden kann. Bezüglich einer Verhaltenszurechnung können die Vertragsparteien beispielsweise ihr gemeinsames Verständnis fixieren, dass die Geschäftsführer der Zielgesellschaft keine Erfüllungsgehilfen, sondern lediglich Auskunftspersonen sind. Zwar bleibt es dabei, dass es auf die tatsächlichen Umstände ankommt, in der Rechtsprechung wurde jedoch bei der Beurteilung dieser Umstände auch dem gemeinsamen Parteiverständnis bestätigend Beachtung geschenkt (so bezugnehmend auf den Letter of Intent, OLG Düsseldorf, Urteil v. 16. Juni 2016 – I-6 U 20/15).

Zudem kann die Haftung für Erfüllungsgehilfen selbst für vorsätzliches Handeln ausgeschlossen werden (§ 278 Abs. 2 Satz 2 BGB). Um dies in den Verhandlungen durchzusetzen zu können, kann ein möglicher Kompromiss darin bestehen, dass eine Garantie zu konkreten Themen und Aussagen abgegeben wird, sodass der Käufer eine Absicherung erhält, jedoch innerhalb der vertraglichen Haftungsbeschränkungen.

Auch in Bezug auf die Wissenszurechnung können die Parteien vertragliche Regelungen treffen. So ist es nach herrschender Meinung möglich, die Wissenszurechnung vertraglich abzubedingen oder jedenfalls bestimmte Wissensvertreter abschließend zu benennen, wie es im Hinblick auf kenntnisqualifizierte Garantien regelmäßig geschieht. Schließlich empfiehlt es sich Nachforschungs- und Erkundigungspflichten vertraglich zu regeln. Je konkreter solche Pflichten ausgestaltet sind, desto besser kann ein Verkäufer im Streitfall darauf verweisen, dass er diesen Pflichten nachgekommen ist.

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