24. April 2023
Kündigung Dauerschuldverhältnis
Corporate / M&A

Schicksal von Dauerschuldverhältnissen bei Umwandlungen und Strukturmaßnahmen

Das Recht zur außerordentlichen Kündigung von Dauerschuldverhältnissen nach § 314 BGB wird oft unterschätzt. Eine aktuelle Gerichtsentscheidung stärkt die Position des Kündigenden bei Übergang eines Dauerschuldverhältnisses im Rahmen von Verschmelzungen.

Die Verschmelzung ist die zentrale Form der Umstrukturierung. Neben betriebswirtschaftlichen Vorteilen erfreut sie sich insbesondere deshalb großer Beliebtheit, weil der aufnehmende Rechtsträger gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in alle Rechte und Pflichten des übertragenden Rechtsträgers eintritt.

Der Übergang von Verträgen ohne oder sogar gegen den Willen des Vertragspartners ist vor allem bei Langzeitverträgen mit wirtschaftlich attraktiven Konditionen interessant: So können beispielsweise Altverträge, die die wirtschaftlichen Verhältnisse vor der Inflation widerspiegeln, durch das Instrument der Verschmelzung auf fremde Dritte übertragen werden.

Ob dem Vertragspartner in dieser Situation ein Sonderkündigungsrecht zusteht, wurde in der Vergangenheit unterschiedlich beurteilt. Demgegenüber scheint sich in der Rechtsprechung – wie durch das aktuelle Urteil des OLG München vom 29. August 2022 – 33 U 4846/21 – eine recht klare, wenngleich nicht unproblematische, Linie herauszubilden.

OLG München: Kündigung von Dauerschuldverhältnissen bei Unzumutbarkeit des neuen Vertragspartners

Ein Fitnessstudiobetreiber unterhielt mit einer GmbH einen Beratungsvertrag sowie einen Vertrag über die Erstellung einer Interessenanalyse. Nach Vertragsschluss wurde die GmbH mit der G Group und diese wiederum auf die Klägerin verschmolzen. In der Folgezeit wurde auch die I-GmbH, mit der der Fitnessstudiobetreiber früher eine für diesen nicht zufriedenstellende Geschäftsbeziehung unterhielt, auf die Klägerin verschmolzen.

Der Fitnessstudiobetreiber kündigte die Verträge mit der GmbH außerordentlich und führte zur Begründung an, Grundvoraussetzung für die Vertragsunterzeichnung sei gewesen, dass der Gebietsschutz gegenüber der I-GmbH eingehalten werde und dass keinerlei Berührungspunkte mit der I-GmbH bestünden. Außerdem habe der Fitnessstudiobetreiber von einer Boutique beraten werden wollen, was aufgrund der Größe der GmbH in Folge der Verschmelzung nicht mehr möglich sei. 

Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und klagte Vergütungsansprüche gegen den Fitnessstudiobetreiber ein. Das OLG München sah die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung als gegeben an und gab der Klage statt. 

Die Verschmelzung der GmbH auf die G Group stelle für sich genommen zwar noch keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 314 BGB dar. Es bedürfe vielmehr besonderer Umstände, die die weitere Erbringung der Dienste durch den übernehmenden Rechtsträger unzumutbar machten; insoweit seien allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reiche aus, wenn der Kündigende aufgrund der Umstrukturierung mit konkreten nachteiligen Änderungen in der Zusammenarbeit rechnen müsse, die nicht ganz unerheblich sind. 

Dies könne bereits der Fall sein, wenn die Ziele, die der Kündigende mit dem Dauerschuldverhältnis verband, zukünftig nicht mehr realisierbar seien, etwa weil er mit einem der verschmolzenen Unternehmen und dessen Mitarbeitern aufgrund vorheriger Erfahrungen gerade nicht mehr zusammenarbeiten wolle oder weil er nur mit einer „Boutique” habe kontrahieren wollen und sich jetzt einem deutlich größeren Vertragspartner gegenübersehe. So liege der Fall hier.

Die geringen Anforderungen an die Kündigungsgründe begründet das OLG München damit, dass der Gesetzgeber mit der Anordnung der Gesamtrechtnachfolge in die negative Vertragsfreiheit eingreife. Als Korrektiv für diesen Eingriff dürften an die Kündigungsgrunde keine hohen Anforderungen gestellt werden.

Anschluss an bisherige Rechtsprechung

Der BGH hat sich zu den Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung bislang in zwei Fällen geäußert. In beiden Fällen stritten die Parteien über den Übergang des (WEG-)Verwalteramtes sowie des Verwaltervertrages nach Verschmelzung des Verwalters auf einen neuen Rechtsträger. Der BGH entschied, dass an den wichtigen Grund keine hohen Anforderungen zu stellen seien. Ausreichend sei bereits, wenn der Kündigende mit konkreten nachteiligen Änderungen in der Zusammenarbeit rechnen müsse, die nicht ganz unerheblich sind.

Im Übrigen geht das OLG München mit seiner Begründung jedoch über die Rechtsprechung des BGH hinaus. Denn während den Dauerschuldverhältnissen, über die der BGH zu entscheiden hatte, noch ein besonderes Vertrauensverhältnis innewohnte, nimmt das OLG München ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund unabhängig von einem persönlichen Vertrauensverhältnis an. Ferner stellt das Gericht fest, dass die Kündigungsgründe einer gerichtlichen Kontrolle größtenteils entzogen seien. Stattdessen – so das OLG München – stehe dem Kündigenden bei der Feststellung des wichtigen Grundes ein Ermessen zu, dessen Ausübung nur auf Willkür hin zu überprüfen sei.

Sonderkündigungsrecht auch in anderen Konstellationen relevant

Die Entscheidung des OLG München verleiht der Generalklausel des § 314 BGB gewisse Konturen und wertet das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund von einer Notlösung zu einer echten Option auf, die bei geplanten Verschmelzungen und anderen Umwandlungsmaßnahmen stets berücksichtigt werden sollte. 

Bei Lichte betrachtet, stehen die Urteile jedoch nur zufällig mit Verschmelzungen im Zusammenhang. Der BGH und das OLG München begründen das Vorliegen eines wichtigen Grundes vielmehr losgelöst von den vorausgegangenen Verschmelzungen und stellen allein auf die individuelle Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag ab. Es ist daher ratsam, das Sonderkündigungsrecht auch bei anderen Vorgängen, die Veränderungen des Vertragspartners mit sich bringen, im Hinterkopf zu behalten. Dies gilt umso mehr, wenn das Dauerschuldverhältnis durch ein persönliches Näheverhältnis geprägt ist oder die Leistungserbringung durch bestimmte Personen oder nach einem bestimmten Qualitätsstandard vereinbart wurde, der nach der strukturellen Veränderung nicht mehr gewährleistet ist. 

Zu einer solchen Konstellation kann es – außerhalb von Umwandlungsvorgängen – beispielsweise bei einem Share Deal kommen. Auch wenn der Vertragspartner rechtlich gesehen unverändert bleibt, gehen Anteilsübertragungen häufig mit personellen Veränderungen einher. 

Hängt der wirtschaftliche Erfolg einer geplanten Umwandlung oder Strukturmaßnahme von dem Übergang eines bestimmten Dauerschuldverhältnisses ab, kann es daher ratsam sein, vor der geplanten Maßnahme das Einverständnis des Vertragspartners einzuholen. Ansonsten kann es zu unangenehmen Überraschungen kommen. 

Tags: Corporate / M&A Dauerschuldverhältnis Kündigung Umwandlung