Ein aktuell anhängiges Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wirft die Frage auf, ob die Rolle von Rx-Rabattaktionen neu bewertet werden muss.
Jedenfalls nach der Auffassung des Generalanwalts am EuGH, Maciej Szpunar, stellen die verfahrensgegenständlichen Rabattaktionen für verschreibungspflichtige Arzneimittel („Rx“) keine Werbung für Arzneimittel dar, die der Arzneimittelrichtlinie entgegenstehen würde (vgl. Rechtssache C-517/23 [Apothekenkammer Nordrhein ./. DocMorris]).
Verfahrensgegenstand: Zulässigkeit von Rx-Rabattaktionen
In dem zugrunde liegenden Verfahren wendet sich die niederländische Versandapotheke DocMorris gegen mehrere Unterlassungsverfügungen der Apothekerkammer Nordrhein im Hinblick auf von DocMorris durchgeführte Rabattaktionen. Im Rahmen der Rabattaktionen wurden Kunden beim Erwerb von Rx-Arzneimitteln Rabatte in Form von Barrabatten, Gutscheinen oder einer prozentualen Ermäßigung für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte (nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel oder nicht verschreibungspflichtiger Gesundheits- oder Schönheitsprodukte) angeboten.
DocMorris sieht die Unterlassungsverfügungen als ungerechtfertigt an und fordert von der Apothekerkammer Nordrhein Schadensersatz in Millionenhöhe.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den EuGH ersucht, vorrangig zu beurteilen, ob die Arzneimittelrichtlinie (Richtlinie 2001/83/EG – 28263005de 67..100) auf die Rabattaktionen Anwendung findet. Sofern dies der Fall ist, soll der EuGH weiter dazu Stellung nehmen, ob es mit EU-Recht in Einklang steht, wenn eine nationale Vorschrift (hier: § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 Teilsatz 1 Buchst. a HWG) dahin ausgelegt wird, dass sie die Werbung für das gesamte Sortiment von Rx-Arzneimitteln einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versandapotheke mit Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen über einen Geldbetrag oder einen prozentualen Rabatt für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte verbietet. Aus der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zu Werbeaktionen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel („OTC“) und zu Gewinnspielen (vgl. EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2022 – C-530/20 – EUROAPTIEKA) ergäben sich aus Sicht des BGH Zweifel hinsichtlich der anzuwendenden Kriterien.
Argumentation des Generalanwalts: Keine Werbung
In seinen Schlussanträgen kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass die Rabattaktion nicht als Werbung für Arzneimittel zu werten sei, die der Arzneimittelrichtlinie entgegenstehe. Der Generalanwalt begründet dies insbesondere damit, dass sich die Rabattaktion auf den Erwerb von Rx-Arzneimitteln und nicht auf OTC-Arzneimittel beziehe.
Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick vor dem Hintergrund der deutlich strengeren Werbevorgaben für Rx-Arzneimittel – auch auf europäischer Ebene – überraschend. Der Generalanwalt stützt seine Einschätzung im Wesentlichen auf folgende Argumente:
- Die Rabattaktion diene in erster Linie der Bewerbung der Versandhandelsapotheke DocMorris. Sie ziele darauf ab, Kunden dazu zu bewegen, sich für DocMorris und nicht für eine andere Apotheke zu entscheiden. Das Ziel bestehe hingegen nicht darin, für den Kauf bestimmter oder unbestimmter Arzneimittel zu werben.
- Bei Rx-Arzneimitteln liege die Entscheidungsgewalt über das Für und Wider der Verschreibung eines konkreten Arzneimittels weiterhin bei einem Arzt. Ärzte seien jeweils an das für sie geltende Berufsrecht gebunden. Dieses verbiete grundsätzlich wirtschaftliche Entscheidungskriterien im Zusammenhang mit der Behandlung von Patienten. Eine Werbeaktion einer Apotheke sei daher nicht geeignet, den unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimitteln zu fördern, sofern der Erwerb eines Arzneimittels eine ärztliche Verschreibung voraussetzt. Die bloße Möglichkeit, dass ein Arzt aufgrund der Bitte eines informierten Patienten dazu veranlasst wird, ein anderes Arzneimittel als das von ihm zunächst bevorzugte zu verschreiben, reiche nicht aus, um aufseiten des Arzneimittelherstellers eine Werbeabsicht anzunehmen. Zudem stelle dies grundsätzlich keine besondere Gefahr für die Gesundheit des Patienten dar.
- Für den Patienten stelle sich nach Ausstellung der Verordnung lediglich die Frage, in welcher Apotheke er das – tatsächlich benötigte – Arzneimittel erwerben möchte. Die Kernaussage der Werbeanzeige sei demnach nicht der Kauf der beworbenen Arzneimittel, sondern der Aufruf an die Kunden, die Apotheke aufzusuchen. Eine Förderung eines unzweckmäßigen Arzneimittelgebrauchs sei nicht erkennbar.
Folgt man der Argumentation des Generalanwalts, würde dies jedenfalls auch zu einem stärkeren Wettbewerb unter den Apotheken führen.
Kritik an der Auffassung
Die Auffassung des Generalanwalts stößt teilweise auf Kritik. Diese würde zu einem schwer verständlichen Auseinanderfallen des Begriffs „Werbung für Arzneimittel“ im Hinblick auf Rx und OTC-Arzneimittel führen. Zudem sei die Verhinderung der Beeinflussung von Ärzten durch Verbraucher wesentliches Anliegen der Werbeverbote. Diese seien notwendig, da ein hinreichender Schutz allein durch die Hürde der ärztlichen Verordnung nicht gegeben sei.
Noch keine abschließende Entscheidung
Nach den Schlussanträgen steht nun die Entscheidung des EuGH an. Die Richter der zuständigen Fünften Kammer sind nicht an die Schlussanträge gebunden. Wie die konkrete Auslegung der deutschen Normen im Hinblick auf das entsprechende Urteil des EuGH erfolgt, bleibt sodann dem BGH vorbehalten.