Das VG Aachen greift zur Auslegung des Informationsfreiheitsgesetzes NRW auf die Begriffsdefinitionen des Geschäftsgeheimnisgesetzes zurück.
Gesetzliche Auskunftsansprüche der Bürger* gegen den Staat sollen dafür sorgen, dass Behörden gerecht, transparent und demokratisch handeln. Doch oft beziehen sich diese Anfragen auch auf Daten, die nicht nur das Handeln der Behörden selbst, sondern auch Geschäftsgeheimnisse von privaten Unternehmen betreffen. Besonders problematisch ist das bspw. bei Vergabeverfahren: Auf der einen Seite haben Bürger ein berechtigtes Interesse zu wissen, aus welchem Grund ein bestimmtes Unternehmen einen öffentlichen Auftrag erhalten hat. Auf der anderen Seite sind aber auch die Interessen der Unternehmen nachvollziehbar, die ihre Preiskalkulationen und technischen Details der Angebotsschreiben nicht mit jedem teilen wollen.
Dieses Spannungsfeld war Gegenstand eines Urteils des Verwaltungsgerichts Aachen (VG Aachen) vom 8. August 2022 (Az. 8 K 4232/18). Geklagt hatte ein Bürger, der trotz wiederholter Anfrage bei einer Behörde nicht die gewünschten Informationen zur Vergabe des Vertrags zum Bau einer Ampelanlage erhielt. Die Beklagte war eine kommunale Behörde des Landes NRW.
Langjähriger Streit um verkehrsrechtliche Maßnahmen
Der Klage ging eine mehrere Jahre zurückliegende gerichtliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien voraus, bei dem sie sich im Rahmen eines Vergleichs über Maßnahmen zur Befriedung einer Straße einigten. Ab 2015 wurden dazu eine Bürgerbefragung sowie mehrere Sitzungen und Beratungen durchgeführt, wurde die Erstellung eines Konzepts veranlasst sowie über den genauen Umfang des Vorhabens entschieden. Auch ein Ortstermin mit den beteiligten Ämtern und dem später beauftragten Unternehmen fand statt. Besonders erheblich war die Entscheidung über die Kosten, die zunächst auf EUR 69.000,00 angesetzt und später auf EUR 80.000,00 korrigiert wurden. Letztendlich beliefen sich die Kosten auf EUR 250.000,00. Die Vergabe des Auftrags zur Errichtung einer Ampelanlage erfolgte schließlich im sog. „freihändigen Vergabeverfahren“, in dem nur das später beauftragte Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde. Bei diesem Unternehmen handelte es sich um die bestehende Vertragspartnerin für die städtischen Ampelanlagen.
Der Kläger versuchte, vor Gericht Auskunft über Details zur Vergabe des Vertrags zum Bau der Ampel zu erhalten, wobei er sich auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) stützte. Das IFG NRW soll den freien Zugang zu behördlichen Informationen sicherstellen und enthält einen entsprechenden Auskunftsanspruch. Auf diese Weise sollen Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Akzeptanz und auch Kontrolle behördlicher Entscheidungen und der zugrunde liegenden politischen Beschlüsse erhöht werden.
Weigerung der Offenlegung mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse Dritter
Gestützt auf § 4 IFG NRW beantragte der Kläger über einen Zeitraum von ungefähr einem Jahr wiederholt Unterlagen und Niederschriften von Sitzungen zum Vorhaben des zuständigen Ausschusses, darunter auch Informationen zum Vergabeverfahren. Mehrfach erhob er den Vorwurf, dass seine Anfragen nicht oder nicht vollständig beantwortet worden seien. Die Beklagte verwies wiederholt auf die Nichtöffentlichkeit bzw. Vertraulichkeit der Inhalte und lehnte weitere Ausführungen mit Verweis auf den Schutz des behördlichen Entscheidungsbildungsprozesses in § 7 IFG NRW ab. Nach dieser Norm sind IFG-Anträge für bestimmte Unterlagen wie Entwürfe zu Entscheidungen, für Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung sowie für Protokolle vertraulicher Beratungen abzulehnen.
Darüber hinaus bezog sich die Beklagte darauf, dass es sich bei technischen Informationen, Know-how, betriebsinternen Abläufen, Preisen etc. um Geschäftsgeheimnisse des beauftragten Unternehmens handle. Dieses habe der Offenlegung nicht zugestimmt, da es ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung habe. Auch die Involvierung der Dienststelle des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI NRW) führte nicht zu einer Einigung, weil die Beklagte an ihrer Auffassung, dass die angefragten Inhalte vertraulich seien, festhielt. Der Kläger erhob daher Klage. Während des Prozesses legte die Beklagte einige der angefragten Dokumente in geschwärzter Form offen, was dem Kläger jedoch nicht ausreichte.
Rückgriff auf das Geschäftsgeheimnisgesetz ist zulässig
Das VG Aachen beschäftigte sich im Detail mit der Verteidigung der Behörde, dass sie über Geschäftsgeheimnisse Dritter keine Auskunft geben dürfe. Dabei verwies das Gericht zunächst auf die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A), die vergaberechtliche Bestimmungen enthält und die öffentliche Hand verpflichtet. Danach sind die Angebote und Anlagen der Unternehmen im (freihändigen) Vergabeverfahren geheim zu halten (§§ 14 Abs. 8 und 14a Abs. 9 VOB/A). Allerdings handle es sich bei diesen Vorschriften nur um Verwaltungsvorschriften und nicht um spezialgesetzliche Rechtsvorschriften, die den Auskunftsanspruch in § 4 IFG NRW einschränken könnten.
Indessen enthalte das IFG NRW einen eigenen Ausschlussgrund für sog. „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“. So ist der Antrag auf Informationszugang gem. § 8 IFG NRW abzulehnen, wenn dadurch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offenbart würden und ein wirtschaftlicher Schaden entstünde. Die Begriffe „Betriebsgeheimnis“ und „Geschäftsgeheimnis“ sind dabei nicht legaldefiniert. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 13/1311, S. 13) setzt die Vorschrift den Begriff so voraus, wie er in der Rechtsprechung entwickelt ist. Nach Auffassung des VG Aachen war daher auf Rechtsprechung und Schrifttum zu anderen Vorschriften zurückzugreifen. Insofern zog das Gericht schlicht die Definition aus § 2 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) heran.
Danach sind Geschäftsgeheimnisse Informationen, die nicht allgemein bekannt sind und an deren Nichtveröffentlichung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht. Nach Beurteilung des Gerichts besteht ein solches wirtschaftliches Interesse,
[…] wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.
Behörde muss Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens wahren
Vor diesem Hintergrund lehnte das Verwaltungsgericht den Auskunftsanspruch in dem konkreten Fall ab. Die Behörde habe hinreichend substantiiert dargelegt, dass es sich bei den begehrten Unterlagen um Geschäftsgeheimnisse nach der vorgenannten Definition handle. Würden die Angebotsunterlagen veröffentlicht, könnten Konkurrenten daraus auch Rückschlüsse für zukünftige Aufträge oder gar die Herstellung des vertragsgegenständlichen Produkts ziehen. Insbesondere technische Spezifikationen und Details sowie Preise und Preiskalkulationen seien nach diesen Maßstäben schutzwürdig; die Möglichkeit des Entstehens eines wirtschaftlichen Schadens sei insofern indiziert.
Darüber hinaus sei es auch nicht erforderlich, die Angebotsunterlagen im Einzelnen auf mehr oder weniger schutzwürdige Informationen zu prüfen. Denn die Vorgaben des Vergaberechts, z.B. in den §§ 14 Abs. 8, 14a Abs. 9 VOB/A begründeten nach Auffassung des Gerichts eine zumindest abstrakt-generelle Wertung, wonach Angebotsunterlagen insgesamt geheim zu halten seien. Dafür sei auch unerheblich, dass es sich bei der VOB/A um bloße Verwaltungsvorschriften handle (so bereits das OVG Münster, Urteil v. 21. November 2018 – 15 A 861/17):
Denn – wie ausgeführt – sind deren Vorschriften bei der Frage, ob die tatbestandliche Voraussetzung des § 8 Satz 1 IFG NRW – Offenbarung eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses – erfüllt ist, als allgemeine Wertungsnormen zu beachten, die gerade auch die Beklagte binden, und zwar über Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der allgemeinen Verwaltungspraxis auch im Außenverhältnis.
IFG-Auskunftsanspruch ist kein Fragerecht
Auch mit seinen restlichen Auskunftsbegehren hatte der Kläger nur wenig Erfolg. In mehreren Fällen sah das Gericht schon kein Rechtsschutzinteresse gegeben, da die Informationen bereits übermittelt worden waren oder aber die Behörde nachvollziehbar dargelegt hatte, dass die begehrten Informationen nicht existierten. Der Auskunftsanspruch bezieht sich nach Auffassung des Gerichts nur auf tatsächlich bei der Behörde vorhandene Informationen. Ob es die Behörde pflichtwidrig unterlassen habe, bestimmte Informationen zu dokumentieren, spiele für den Auskunftsanspruch keine Rolle. Auch könne nicht verlangt werden, dass Informationen erst noch produziert werden, etwa indem Verwaltungsmitarbeiter nachträgliche Erinnerungsvermerke verfassen oder sie nachträglich befragt würden. Nur verkörperte Informationen könnten herausverlangt werden.
Der Kläger hatte allerdings damit Erfolg, dass ihm eine Reihe von Sitzungsniederschriften bereitgestellt werden mussten. Zwar waren diese bereits öffentlich im Internet verfügbar und war der Kläger über ihren Inhalt gut informiert. Die rein theoretische Verfügbarkeit über das Internet genügte dem Gericht allerdings nicht, weil die Angaben der Behörde zur Auffindbarkeit der Informationen nicht präzise genug waren. Das Gericht kritisierte einen nicht unerheblichen Suchaufwand, der mit den Zielen des IFG NRW, insbesondere der transparenten Verwaltung und dem freien Informationszugang, nicht vereinbar sei.
Begrüßenswerte Bestätigung des Geheimhaltungsinteresses
Unternehmen haben ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Angebotsunterlagen in Vergabeverfahren vertraulich behandelt werden. Wenn sie damit rechnen müssen, dass ihre internen Daten nach Abschluss eines Vergabeverfahrens veröffentlicht werden, würde das auch Auswirkungen auf die Qualität der künftigen Angebote haben. Es ist daher nachvollziehbar, dass das VG Aachen der Geheimhaltung mehr Gewicht zumisst als dem Informationsinteresse der Bürger. Nicht umsonst sehen das Bundesinformationsfreiheitsgesetz ebenso wie die Landesinformationsfreiheitsgesetze entsprechende Ausnahmen vom Auskunftsanspruch für grundgesetzlich geschützte Positionen wie das geistige Eigentum (Art. 14 GG) und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen (Art. 12 GG) vor.
Dass zur Auslegung des IFG NRW auf die Begriffsdefinitionen des GeschGehG zurückgegriffen wurde, ist ebenfalls zu begrüßen. Seit seiner Umsetzung im Jahr 2019 hat sich das GeschGehG als zentrales Gesetz für Geheimnisschutz etabliert. Der deutsche Gesetzgeber setzte damit die europäische Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (RL [EU] 2016/943) um, wodurch der Geheimnisschutz europaweit harmonisiert wurde. Die Heranziehung des GeschGehG ist daher nur folgerichtig, zumal rechtsgebietsübergreifend einheitlich verwendete Begriffsdefinitionen für mehr Rechtssicherheit sorgen.
Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Felix Henkes erstellt.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.